76.

Böse denken heisst böse machen. — Die Leidenschaften werden böse und tückisch, wenn sie böse und tückisch betrachtet werden. So ist es dem Christenthum gelungen, aus Eros und Aphrodite — grossen idealfähigen Mächten — höllische Kobolde und Truggeister zu schaffen, durch die Martern, welche es in dem Gewissen der Gläubigen bei allen geschlechtlichen Erregungen entstehen liess. Ist es nicht schrecklich, nothwendige und regelmässige Empfindungen zu einer Quelle des inneren Elends zu machen und dergestalt das innere Elend bei jedem Menschen nothwendig und regelmässig machen zu wollen! Noch dazu bleibt es ein geheim gehaltenes und dadurch tiefer wurzelndes Elend: denn nicht Alle haben den Muth Shakespeare's, ihre christliche Verdüsterung in diesem Puncte so zu bekennen, wie er es in seinen Sonetten gethan hat. — Muss denn Etwas, gegen das man zu kämpfen, das man in Schranken zu halten oder sich unter Umständen ganz aus dem Sinne zu schlagen hat, immer böse heissen! Ist es nicht gemeiner Seelen Art, sich einen Feind immer böse zu denken! Und darf man Eros einen Feind nennen! An sich ist den geschlechtlichen wie den mitleidenden und anbetenden Empfindungen gemeinsam, dass hier der eine Mensch durch sein Vergnügen einem anderen Menschen wohlthut, — man trifft derartige wohlwollende Veranstaltungen nicht zu häufig in der Natur! Und gerade eine solche verlästern und sie durch das böse Gewissen verderben! Die Zeugung des Menschen mit dem bösen Gewissen verschwistern! — Zuletzt hat diese Verteufelung des Eros einen Komödien-Ausgang bekommen: der» Teufel «Eros ist allmählich den Menschen interessanter als alle Engel und Heiligen geworden, Dank der Munkelei und Geheimthuerei der Kirche in allen erotischen Dingen: sie hat bewirkt, bis in unsere Zeiten hinein, dass die Liebesgeschichte das einzige wirkliche Interesse wurde, das allen Kreisen gemein ist, — in einer dem Alterthum unbegreiflichen Übertreibung, der später einmal auch noch das Gelächter nachfolgen wird. Unsere ganze Dichterei und Denkerei, vom Grössten bis zum Niedrigsten, ist durch die ausschweifende Wichtigkeit, mit der die Liebesgeschichte darin als Hauptgeschichte auftritt, gezeichnet und mehr als gezeichnet: vielleicht dass ihrethalben die Nachwelt urtheilt, auf der ganzen Hinterlassenschaft der christlichen Cultur liege etwas Kleinliches und Verrücktes.

77.

Von den SeelenMartern. — Bei irgend welchen Martern, die Einer einem fremden Leibe zufügt, schreit jetzt Jedermann laut auf; die Ernpörung gegen einen Menschen, der dessen fähig ist, bricht sofort los; ja, wir zittern schon bei der Vorstellung einer Marter, welche einem Menschen oder Thiere zugefügt werden könnte, und leiden ganz unerträglich, von einer fest bewiesenen Thatsache dieser Art zu vernehmen. Aber man ist noch weit entfernt, in Betreff der Seelen-Martern und der Entsetzlichkeit ihrer Zufügung ebenso allgemein und bestimmt zu empfinden. Das Christenthum hat sie in einem unerhörten Maasse zur Anwendung gebracht und predigt diese Art Folter noch fortwährend, ja, es klagt ganz unschuldig über Abfall und Lauwerden, wenn es einen Zustand ohne solche Martern antrifft, — Alles mit dem Ergebniss, dass die Menschheit sich gegen den geistigen Feuertod, die geistigen Foltern und Folterwerkzeuge heute noch mit der gleichen ängstlichen Geduld und Unentschlossenheit benimmt, wie ehemals gegen die Grausamkeit am Leibe von Mensch und Thier. Die Hölle ist wahrlich kein bloses Wort geblieben: und den neu geschaffenen wirklichen Höllenängsten hat auch eine neue Gattung des Mitleidens entsprochen, ein grässliches centnerschweres, früheren Zeiten unbekanntes Erbarmen mit solchen» unwiderruflich zur Hölle Verdammten«, wie es zum Beispiel der steinerne Gast gegen Don Juan zu erkennen giebt und welches in den christlichen Jahrhunderten wohl zum Öfteren schon Steine zum Wehklagen gebracht hat. Plutarch giebt ein düsteres Bild vom Zustand eines Abergläubischen innerhalb des Heidenthums: diess Bild wird harmlos, wenn man den Christen des Mittelalters dagegen hält, welcher muthmaasst, er möchte der» ewigen Qual «nicht mehr entrinnen können. Ihm zeigen sich entsetzliche Ankündiger: vielleicht ein Storch, der eine Schlange im Schnabel hält und noch zögert, sie zu verschlucken. Oder die Natur wird plötzlich bleich, oder es fliegen glühende Farben über den Boden hin. Oder die Gestalten von verstorbenen Anverwandten nahen, mit Gesichtern, welche Spuren furchtbarer Leiden tragen. Oder die dunklen Wände im Zimmer des Schlafenden erhellen sich und auf ihnen zeigen sich in gelbem Qualme Marterwerkzeuge und ein Gewirr von Schlangen und Teufeln. Ja, welche entsetzliche Stätte hat das Christenthum schon dadurch aus der Erde zu machen gewusst, dass es überall das Crucifix aufrichtete und dergestalt die Erde als den Ort bezeichnete,»wo der Gerechte zu Tode gemartert wird«! Und wenn die Gewalt grosser Bussprediger einmal all das heimliche Leiden der Einzelnen, die Marter des Kämmerleins «in die Öffentlichkeit trieb, wenn zum Beispiel ein Whitefield predigte» wie ein Sterbender zu Sterbenden«, bald heftig weinend, bald laut stampfend und leidenschaftlich, mit den einschneidendsten und plötzlichsten Tönen, und ohne Scheu davor, die ganze Wucht eines Angriffs auf eine einzelne anwesende Person zu richten und sie auf eine furchtbare Weise aus der Gemeinde auszusondern, — wie schien sich da jedesmal die Erde wirklich in die» Wiese des Unheils «umwandeln zu wollen! Man sah dann ganze zusammengeströmte Massen wie unter dem Anfall Eines Wahnsinns; Viele in Krämpfen der Angst; Andre lagen da, ohne Bewusstsein, bewegungslos: Einige zitterten heftig oder durchschnitten die Luft mit durchdringendem, stundenlang anhaltendem Geschrei. überall ein lautes Athmen, wie von Leuten, die halberwürgt nach Lebensluft schnappten.»Und wirklich, sagt ein Augenzeuge einer solchen Predigt, waren fast alle zu Gehör kommenden Laute diejenigen von Menschen, die in bitterer Qual sterben.«— Vergessen wir nie, wie erst das Christenthum es war, das aus dem Sterbebett ein Marterbett gemacht hat, und dass mit den Scenen, welche auf ihm zeither gesehen wurden, mit den entsetzlichen Tönen, welche hier zum ersten Male möglich erschienen, die Sinne und das Blut zahlloser Zeugen für ihr Leben und das ihrer Nachkommen vergiftet worden sind! Man denke sich einen harmlosen Menschen, der es nicht verwinden kann, einmal solche Worte gehört zu haben:»Oh Ewigkeit! Oh dass ich keine Seele hätte! Oh dass ich nie geboren wäre! Ich bin verdammt, verdammt, auf immer verloren. Vor sechs Tagen hättet ihr mir helfen können. Aber es ist vorbei. Ich gehöre jetzt dem Teufel, ich will mit ihm zur Hölle gehen. Brechet, brechet, arme steinerne Herzen! Wollt ihr nicht brechen? Was kann noch mehr geschehen für steinerne Herzen? Ich bin verdammt, damit ihr gerettet werdet! Da ist er! Ja, da ist er! Komm, guter Teufel! Komm!«—

78.

Die strafende Gerechtigkeit. — Unglück und Schuld, — diese beiden Dinge sind durch das Christenthum auf Eine Wage gesetzt worden: sodass, wenn das Unglück gross ist, das auf eine Schuld folgt, jetzt immer noch unwillkürlich die Grösse der Schuld selber darnach zurückbemessen wird. Diess aber ist nicht antik, und desshalb gehört die griechische Tragödie, in der so reichlich und doch in so anderem Sinne von Unglück und Schuld die Rede ist, zu den grossen Befreierinnen des Gemüths, in einem Maasse, wie es die Alten selber nicht empfinden konnten. Sie waren so harmlos geblieben, zwischen Schuld und Unglück keine» adäquate Relation «anzusetzen. Die Schuld ihrer tragischen Heroen ist wohl der kleine Stein, über welchen diese stolpern und desswegen sie wohl den Arm brechen oder sich ein Auge ausschlagen: die antike Empfindung sagte dazu:»Ja, er hätte etwas bedachtsamer und weniger übermüthig seinen Weg machen sollen!«Aber erst dem Christenthum war es vorbehalten, zu sagen:»Hier ist ein schweres Unglück, und hinter ihm muss eine schwere, gleichschwere Schuld verborgen liegen, ob wir sie schon nicht deutlich sehen! Empfindest du Unglücklicher nicht so, so bist du verstockt, — du wirst noch Schlimmeres zu erleben haben!«— Sodann gab es im Alterthum wirklich noch Unglück, reines, unschuldiges Unglück; erst im Christenthum wird alles Strafe, wohlverdiente Strafe: es macht die Phantasie des Leidenden auch noch leidend, sodass er bei allem Übel-ergehen sich moralisch verwerflich und verworfen fühlt. Arme Menschheit! — Die Griechen haben ein eigenes Wort für die Empörung über das Unglück des Andern: dieser Affect war unter christlichen Völkern unstatthaft und hat sich wenig entwickelt, und so fehlt ihnen auch der Name für diesen männlicheren Bruder des Mitleidens.