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»Was ist los mit euch?«fragte Meyerhof zurück.»Er ist verrückt«, sagte Lebenthal.»Er ist gesund geworden, und das hat ihm meschugge gemacht. Sechs Jahre ist er ein ängstlicher, mieser Bocher gewesen der sich nicht traute, den Schnabel aufzumachen – dann hat ein Wunder ihn vor dem Schornstein gerettet, und jetzt ist er Samson Meyerhof.«

»Ich will keine Rache«, flüsterte Rosen.»Ich will nur hier heraus!«»Was? Und die ganze SS soll davonkommen, ohne daß abgerechnet wird?«»Es ist mir egal! Ich will nur heraus!«Rosen preßte verzweifelt die Hände zusammen und flüsterte so intensiv, als hinge alles davon ab:»Ich will nichts weiter als heraus! Heraus hier!«

Meyerhof starrte ihn an.»Weißt du, was du bist? Du bist -«»Sei ruhig, Meyerhof!«

Berger hatte sich aufgesetzt.»Wir wollen nicht wissen, was wir sind. Wir alle sind hier nicht, was wir waren und was wir sein möchten. Was wir wirklich noch sind, wird sich später zeigen. Wer weiß das letzt? Jetzt können wir nur warten und hoffen und meinetwegen beten.«

Er zog die Husarenjacke um sich und legte sich wieder zurück.»Rache«, sagte Ahasver nach einiger Zeit nachdenklich.»Das würde viel Rache werden müssen. Und Rache zieht neue Rache nach sich – was nützt das?«Der Horizont flammte auf.

»Was war das?«fragte Bucher. Ein leises Grollen antwortete.»Es ist kein Bombardement«, erklärte Sulzbacher.»Wieder ein Gewitter. Warm genug ist es dafür.«»Wenn es regnet, werden wir die vom Arbeitslager wecken«, sagte Lebenthal.

»Sie können dann hier draußen liegen. Sie sind kräftiger als wir.«Er wandte «Ich zu 509.»Dein Freund, der Bonze, auch.«

Es blitzte wieder.»Hat einer von denen drinnen etwas von einem Abtransport gehört?«fragte Sulzbacher.

»Nur Gerüchte. Das letzte war, daß tausend ausgesondert werden sollen.«

»O Gott!«Rosens Gesicht schimmerte blaß in der Dunkelheit.»Sie werden natürlich uns nehmen.

Die Schwächsten. Um uns loszuwerden.«

Er blickte 509 an. Alle dachten an den letzten Transport, den sie gesehen hatten.

»Es ist ein Gerücht«, sagte 509.»Wir haben jetzt jeden Tag unzählige Latrinenparolen gehört. Laßt uns ruhig sein, bis ein Befehl kommt. Dann können wir immer noch sehen, was Lewinsky, Werner und die auf der Schreibstube für uns tun können. Oder wir hier.«

Rosen schauderte.»Wie sie die damals an den Beinen unter den Betten hervorgerissen haben -«

Lebenthal sah ihn voll Verachtung an.»Hast, du nie mehr gesehen in deinem Leben als das?«

»Ja -«

»Ich war einmal auf einem großen Schlachthof«, sagte Ahasver.»Ich war da für das koschere Schlachten. In Chikago. Manchmal wußten die Tiere, was passieren würde. Sie rochen das Blut. – Dann rannten sie so – wie die damals. Irgendwohin. In Ecken. Und man zog sie ebenso an den Beinen heraus -«

»Du warst in Chicago?«fragte Lebenthal.

»Ja -«

»In Amerika? Und du bist zurückgekommen?«

»Es war vor fünfundzwanzig Jahren.«

»Du bist zurückgekommen?«Lebenthal starrte Ahasver an.»Hat man je so etwas gehört?«

»Ich hatte Heimweh. Nach Polen.«

»Weißt du -«, Lebenthal brach ab. Es war zu viel für ihn.

XX

Das Wetter klärte sich am Morgen auf zu einem grauen, milchigen Tag. Es blitzte nicht mehr; aber es rollte immer noch dumpf und fern hinter den Wäldern.

»Merkwürdiges Gewitter«, sagte Bucher.»Sonst sieht man Wetterleuchten und hört keinen Donner, wenn es abzieht. Hier ist es umgekehrt.«

»Vielleicht kommt es zurück«, erwiderte Rosen.

»Warum soll es zurückkommen?«

»Bei uns zu Hause gehen Gewitter manchmal tagelang zwischen den Bergen umher.«

»Hier sind keine Bergkessel. Nur die eine Linie drüben, und die ist nicht hoch.«

»Hast du noch andere Sorgen?«fragte Lebenthal.

»Leo«, sagte Bucher ruhig,»Sieh du lieber zu, daß wir etwas zu kauen kriegen. Selbst wenn es altes Schuhleder ist.«

»Sonst noch Aufträge?«fragte Lebenthal nach einer Pause des Erstaunens.

»Nein.«

»Schön. Dann paß auf, was du quatschst! Und besorge dir dein Futter selber, du Grünschnabel!

Hat man je so etwas gehört an Frechheit?«

Lebenthal versuchte auszuspucken, aber sein Mund war trocken, und sein Gebiß flog bei der Anstrengung heraus. Er fing es im letzten Augenblick in der Luft auf und setzte es wieder ein.»Das hat man davon, daß man für euch jeden Tag sein Fell riskiert«, sagte er ärgerlich.»Vorwürfe und Befehle! Nächstens erscheint noch Karel mit Aufträgen.«509 kam heran.»Was habt ihr?«

»Frag den da.«Lebenthal zeigte auf Bucher.»Gibt Befehle. Sollte mich nicht: wundern, wenn er Blockältester werden möchte.«509 sah Bucher an. Er hat sich verändert, dachte er. Es ist mir nicht so aufgefallen, aber er hat sich verändert.»Was ist wirklich los?«fragte er.

»Gar nichts. Wir haben nur über das Gewitter geredet.«

»Was geht euch das Gewitter an?«»Nichts. Es ist nur sonderbar, daß es immer noch donnert.

Dabei sind keine Blitze da und auch keine Wolken. Nur die graue Suppe da oben. Aber! das sind doch keine Gewitterwolken.«

»Probleme! Es donnert, aber es blitzt nicht! Gojim naches!«krächzte Lebenthal von seinem Platz her.»Meschugge!«509 sah zum Himmel. Er war grau und schien ohne Wolken zu sein. Dann lauschte er.

»Es donnert tatsä – «Er brach ab. Seine Haltung veränderte sich. Er lauschte plötzlich mit seinem ganzen Körper.

»Noch einer!«sagte Lebenthal.»Meschugge ist Trumpf heute.«

»Ruhig!«flüsterte 509 scharf.

»Also du auch -«

»Ruhig! Verdammt! Sei ruhig, Leo!«

Lebenthal schwieg. Er merkte, daß es nicht mehr um das Gewitter ging. Er beobachtete 509, der gespannt auf das ferne Rumpeln horchte. Alle schwiegen letzt und lauschten.

»Hört zu«, sagte 509 dann langsam und so leise, als fürchte er, etwas flöge davon, wenn er lauter spräche.»Das ist kein Gewitter. Das ist -«

Er horchte wieder.»Was?«Bucher stand dicht neben ihm. Beide blickten sich an und horchten.

Das Rumpeln wurde etwas lauter und sank dann zurück.»Das ist kein Donner«, sagte 509.»Das ist -«Er wartete noch einen Augenblick, dann sah er sich um und sagte, immer noch sehr leise:»Das ist Artilleriefeuer.«

»Was?«

»Artilleriefeuer. Das ist kein Donner.«

Alle starrten sich an.»Was habt ihr?«fragte Goldstein in der Tür.

Keiner antwortete etwas.»Nun – seid ihr erfroren?«

Bucher drehte sich um.»509 sagt, daß man Artilleriefeuer hören kann. Die Front kann nicht mehr weit weg sein.«

»Was?«Goldstein kam näher.»Wirklich? Oder phantasiert ihr bloß?«

»Wer würde bei so etwas Quatsch reden?«

»Ich meine: täuscht ihr euch nicht?«fragte Goldstein.

»Nein«, sagte 509.

»Verstehst du was davon?«

»Ja.«

»Mein Gott.«Rosens Gesicht verzerrte sich. Er begann plötzlich zu schluchzen.

509 horchte weiter.»Wenn der Wind umschlägt, müssen wir es deutlicher hören.«

»Was glaubst du, wie weit weg sie noch sein können?«fragte Bucher.

»Ich weiß nicht genau. Fünfzig Kilometer. Sechzig. Nicht viel weiter.«

»Fünfzig Kilometer. Das ist nicht weit.«

»Nein, das ist nicht weit.«

»Sie müssen Tanks haben. Sie können das rasch machen. Wenn sie durchbrechen – wieviel Tage glaubst du, brauchen sie – vielleicht nur einen -«, Bucher stockte.

»Einen Tag?«wiederholte Lebenthal.»Was sagst du da? Einen Tag?«Wenn sie durchbrechen.

Wir haben gestern noch nichts gehört. Heute ist es da.

Morgen kann es näher sein. Übermorgen – oder am Tag nach übermorgen -«»Rede nicht! Rede nicht so etwas! Mach keine Menschen verrückt!«schrie Lebenthal plötzlich.

»Es ist möglich, Leo«, sagte 509.

»Nein!«Lebenthal schlug die Hände vor die Augen.

»Was meinst du, 509?«Bucher hatte ein totblasses, erregtes Gesicht.»Übermorgen? Oder wieviel Tage?«

»Tage!«schrie Lebenthal und ließ die Hände sinken.»Wie können es jetzt nur noch Tage sein?«