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Die SS vermied es, sie durch die Straßen marschieren zu lassen. Sie wollte nicht, daß man sie sah; und sie wollte jetzt auch nicht, daß die Gefangenen zu viel von der Zerstörung sähen.

Sie näherten sich einem kleinen Birkenwald. Die Stämme schimmerten seidig im letzten Licht. Die SS-Wachen und die Kapos verteilten sich den Zug entlang. Die SS hielt die Waffen schußbereit.

Die Gefangenen trotteten vorwärts. Vögel zwitscherten in den Ästen. Ein Hauch von Grün und Frühling hing in den Zweigen.

Schneeglöckchen und Primeln wuchsen an den Gräben. Wasser gluckste. Niemand beachtete es.

Alle waren zu müde. Dann kamen aufs neue Felder und Äcker, und die Wachen zogen sich wieder zusammen.

Lewinsky ging dicht neben Werner. Er war aufgeregt.»Wo hast du es hingetan?«fragte er, ohne die Lippen zu bewegen.

Werner machte eine kleine Bewegung und drückte den Arm an die Rippen.

»Wer hat es gefunden?«

»Münzer. An derselben Stelle.«

»Dieselbe Marke?«

Werner nickte.

»Haben wir jetzt alle Teile?«

»Ja. Münzer kann sie im Lager montieren.«

»Ich habe eine Handvoll Patronen gefunden. Konnte nicht sehen, ob sie passen. Mußte sie rasch wegstecken. Hoffe, sie passen.«

»Wir werden sie schon gebrauchen können.«

»Hat sonst noch jemand was?«

»Münzer hat noch Revolverteile. «

»Lagen sie an derselben Stelle wie gestern?«

»Ja.«

»Jemand muß sie dahin gelegt haben.«

»Natürlich. Jemand von außen.«

»Einer von den Arbeitern.«

»Ja. Es ist jetzt das drittemal, daß was da war. Kein Zufall.«

»Kann es einer von den Unseren gewesen sein, die im Munitionswerk aufräumen?«

»Nein. Sie sind nicht herübergekommen. Wir würden es auch wissen. Es muß jemand von außen sein.«

Die Untergrundbewegung des Lagers hatte schon seit längerer Zeit versucht, Waffen zu bekommen. Sie erwartete einen Endkampf mit der SS und wollte wenigstens nicht ganz wehrlos sein. Es war fast unmöglich gewesen, Verbindungen zu bekommen; aber seit dem Bombardement hatte das Aufräumkommando plötzlich an bestimmten Stellen Waffenteile und Waffen gefunden.

Sie waren unter Schutt versteckt gewesen und mußten von Arbeitern dorthin placiert worden sein, um in der Unordnung der Zerstörung gefunden zu werden. Diese Funde waren der Grund dafür, daß das Aufräumkommando plötzlich mehr Freiwillige hatte als sonst. Es waren alles verläßliche Leute.

Die Häftlinge passierten eine Wiese, die mit Stacheldraht eingefriedet war. Zwei Kühe mit weißrotem Fell kamen dicht an den Draht und schnoberten. Eine muhte. Ihre friedlichen Augen glänzten. Fast keiner der Gefangenen sah hin; es machte sie nur noch hungriger, als sie schon waren.

»Glaubst du, daß sie uns heute vor dem Wegtreten untersuchen werden?«

»Warum? Sie haben es gestern doch auch nicht getan. Unser Kommando war nicht in der Nähe der Waffenabteilung. Nach dem Aufräumen außerhalb des Munitionswerkes untersuchen sie gewöhnlich nicht.«

»Man weiß nie. Wenn wir die Sachen wegwerfen müssen -«

Werner blickte gegen den Himmel. Er leuchtete in Rosa und Gold und Blau.»Es wird ziemlich dunkel sein, wenn wir ankommen. Wir müssen sehen, was passiert. Hast du deine Patronen gut eingewickelt?«

»Ja. In einem Lappen.«

»Gut. Wenn etwas geschieht, gib sie nach rückwärts zu Goldstein. Der gibt sie weiter zu Münzer.

Der zu Remme. Einer von ihnen wird sie wegwerfen. Wenn wir Pech haben und die SS an allen Seiten ist, laß sie in der Mitte der Gruppe fallen, wenn es nötig ist. Wirf sie nicht zur Seite. Sie können dann keinen Bestimmten fassen. Ich hoffe, daß das Kommando vom Baumroden gleichzeitig mit uns ankommt. Müller und Ludwig wissen dort Bescheid. Beim Einrücken wird ihre Gruppe ein Kommando falsch verstehen, wenn wir untersucht werden, und in unsere Nähe kommen und die Sachen aufnehmen.«

Die Straße machte eine Kurve und näherte sich in einer langen, geraden Linie wieder der Stadt.

Schrebergärten mit Holzlauben säumten sie ein. Leute in Hemdsärmeln arbeiteten darin. Nur wenige blickten auf. Sie kannten die Häftlinge schon. Der Geruch von aufgebrochener Erde kam von den Gärten herüber. Ein Hahn krähte.

Schilder für Automobilisten standen am Rande: Achtung, Kurve. Siebenundzwanzig Kilometer bis Holzfelde.

»Was ist denn das da hinten?«fragte Werner plötzlich.»Ist das schon das Baumkommando?«

Weit vor ihnen auf der Straße sahen sie eine dunkle Masse von Menschen. Sie war so weit, daß man nicht erkennen konnte, wer es war.»Wahrscheinlich«, sagte Lewinsky.

»Sie sind früher als wir. Vielleicht holen wir sie noch ein.«

Er drehte sich um. Hinter ihnen wankte Goldstein. Er hatte die Arme um die Schultern von zwei Mann gelegt und schleppte sich dahin.»Kommt«, sagte Lewinsky zu den beiden, die ihn trugen.

»Wir werden euch ablösen. Nachher, vor dem Lager, könnt ihr ihn wieder nehmen.«

Er nahm Goldstein von der einen Seite, und Werner stützte ihn von der anderen.

»Mein verdammtes Herz«, keuchte Goldstein.»Vierzig Jahre alt und das Herz kaputt.

Zu idiotisch.«

»Warum bist du mitgekommen?«fragte Lewinsky.»Du hättest zur Schuhabteilung abgeschoben werden können.«

»Wollte einmal sehen, wie es außerhalb des Lagers ist. Frische Luft. War ein Fehler.«

Goldstein grinste mühsam über sein graues Gesicht.

»Du wirst dich erholen«, sagte Werner.»Laß dich ruhig über unsere Schultern hängen.

Wir können dich gut tragen.«

Der Himmel verlor den letzten Glanz und wurde fahler. Blaue Schatten stürzten von den Hügeln herab.»Hört zu«, flüsterte Goldstein.»Steckt, was ihr bei euch habt, in meine Sachen. Wenn sie untersuchen, werden sie euch untersuchen und vielleicht die Bahren auch. Aber uns Schlappmacher werden sie nicht kontrollieren. Wir sind einfach zusammengeklappt. Uns werden sie so durchlassen.«

»Wenn sie untersuchen, werden sie alle untersuchen«, sagte Werner.

»Nein, nicht uns, die schlapp gemacht haben. Es sind noch ein paar mehr auf dem Weg dazugekommen. Steckt die Sachen unter mein Hemd.«

Werner wechselte einen Blick mit Lewinsky.»Laß gut sein, Goldstein. Wir kommen schon durch.«

»Nein, gebt sie mir.«

Die beiden antworteten nicht.

»Für mich ist es ziemlich egal, ob ich geschnappt werde. Für euch nicht.«

»Quatsch.«

»Es hat nichts mit Opferwillen und Großtuerei zu tun«, sagte Goldstein mit einem verzerrten Lächeln.»Er ist nur praktischer. Ich mach sowieso nicht mehr lange.«

»Wir werden das alles sehen«, erwiderte Werner.»Wir haben noch fast eine Stunde Weg. Vor dem Lager gehst du wieder zurück in deine frühere Reihe. Wenn etwas passiert, geben wir dir die Sachen. Du gibst sie sofort weiter zurück zu Münzer. Zu Münzer, verstehst du?«

»Ja.«

Eine Frau auf einem Fahrrad kam vorbei. Sie war dick und trug eine Brille und hatte einen Pappkarton vor sich auf der Lenkstange. Sie blickte zur Seite. Sie wollte die Gefangenen nicht sehen.

Lewinsky sah auf und blickte dann schärfer nach vorn.»Hört zu«, sagte er.»Das dahinten ist nicht das Baumkommando.«

Die schwarze Masse vor ihnen war näher gekommen. Sie holten sie nicht ein, sie kam ihnen entgegen. Sie konnten jetzt auch sehen, daß es eine lange Reihe von Menschen war, die nicht in regelmäßiger Kolonne marschierten.

»Neue Zugänge?«fragte jemand hinter Lewinsky.»Oder ist es ein Transport?«

»Nein. Sie haben keine SS bei sich. Und sie marschieren nicht in der Richtung zum Lager. Das sind Zivilisten.«

»Zivilisten?«

»Das siehst du doch. Sie haben Hüte auf. Und Frauen sind dabei. Kinder auch. Viele Kinder.«

Man konnte sie jetzt deutlich sehen. Die beiden Kolonnen näherten sich jetzt rasch.

»Rechts heran!«schrie die SS.»Scharf rechts heran! In den Graben, die äußerste Reihe rechts.

Los!«

Die Aufseher liefen die Gefangenenkolonne entlang.»Rechts! Los, rechts heran! Laßt die linke Hälfte der Straße frei. Wer ausbiegt, wird erschossen!«