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Drittes Kapitel

Eine wunderliche Freundschaft war es, welche zwischen Narziß und Goldmund begann; wenigen nur gefiel sie, und manchmal konnte es so scheinen, als mißfiele sie den beiden selbst.

Narziß, der Denker, hatte es damit zunächst am schwersten. Ihm war alles Geist, auch die Liebe; es war ihm nicht gegeben, gedankenlos sich einer Anziehung anheimzugeben. Er war in dieser Freundschaft der führende Geist, und lange Zeit war er es allein, der Schicksal, Umfang und Sinn dieser Freundschaft bewußt erkannte. Lange Zeit blieb er einsam mitten im Lieben und wußte, daß der Freund ihm erst dann wirklich angehören werde, wenn er ihn zur Erkenntnis würde geführt haben. Innig und glühend, spielend und rechenschaftslos gab Goldmund sich dem neuen Leben hin; wissend und verantwortlich nahm Narziß das hohe Schicksal an.

Für Goldmund war es zuerst eine Erlösung und Genesung. Sein junges Liebesbedürfnis war soeben, durch den Anblick und Kuß eines hübschen Mädchens, mächtig aufgeweckt und zugleich hoffnungslos zurückgeschreckt worden. Denn dies fühlte er im Innersten, daß all sein bisheriger Lebenstraum, alles, woran er glaubte, alles, wozu er sich bestimmt und berufen meinte, durch jenen Kuß im Fenster, durch den Blick jener dunklen Augen an der Wurzel gefährdet war. Vom Vater zum Mönchsleben bestimmt, mit ganzem Willen diese Bestimmung annehmend, mit der Glut erster Jugendinbrust einem frommen und asketisch-heldischen Ideal zugewandt, hatte er bei der ersten flüchtigen Begegnung, beim ersten Anruf des Lebens an seine Sinne, beim ersten Gruß des Weiblichen unweigerlich gespürt, daß hier sein Feind und Dämon stehe, daß das Weib seine Gefahr sei. Und jetzt bot ihm das Schicksal eine Rettung, jetzt kam, in der dringendsten Not, diese Freundschaft ihm entgegen und bot seinem Verlangen einen blühenden Garten, seiner Ehrfurcht einen neuen Altar. Hier war ihm zu lieben erlaubt, war ihm erlaubt, ohne Sünde sich hinzugeben, sein Herz einem bewunderten, älteren, klügeren Freunde zu schenken, die gefährlichen Flammen der Sinne in edle Opferfeuer zu verwandeln, zu vergeistigen.

Schon im ersten Frühling dieser Freundschaft aber stieß er auf wunderliche Hemmnisse, auf unerwartete, rätselhafte Kälten, auf erschreckende Forderungen. Denn ihm lag es ferne, sich seinen Freund als Widerspiel und Gegenpol zu denken. Ihm schien, es bedürfe ja nur der Liebe, nur der aufrichtigen Hingabe, um aus zweien eins zu machen, um Unterschiede auszulöschen und Gegensätze zu überbrücken. Wie herb und sicher, wie klar und unerbittlich aber war dieser Narziß! Ihm schien ein harmloses Sichhingeben, ein dankbares gemeinsames Wandern im Lande der Freundschaft unbekannt und unerwünscht zu sein. Wege ohne Ziel, träumerisches Dahinwandeln schien er nicht zu kennen, nicht zu dulden. Wohl hatte er sich, als Goldmund krank schien, um ihn besorgt gezeigt, wohl half und riet er ihm getreulich in allen Angelegenheiten der Schule und Gelehrsamkeit, erklärte ihm schwierige Stellen der Bücher, öffnete ihm Blicke ins Reich der Grammatik, der Logik, der Theologie; aber niemals schien er so recht mit dem Freunde zufrieden und einverstanden, ja oft genug schien er ihn zu belächeln und nicht ernst zu nehmen. Goldmund fühlte zwar, daß dies nicht bloße Schulmeisterei sei, nicht bloßes Wichtigtun des Älteren und Gescheiteren, daß etwas anderes dahinterstehe, etwas Tieferes, Wichtigeres. Erkennen aber konnte er dies Tiefere nicht, und so machte seine Freundschaft ihn oft traurig und ratlos.

In Wirklichkeit wußte Narziß recht wohl, was an seinem Freunde sei, er war nicht blind für seine blühende Schönheit, noch für seine naturhafte Lebenskraft und blumige Fülle. Er war keineswegs ein Schulmeister, der eine glühende junge Seele mit Griechisch füttern, eine unschuldige Liebe mit Logik beantworten wollte. Allzusehr vielmehr liebte er den blonden Jüngling, und für ihn war dies eine Gefahr; denn Lieben war für ihn kein natürlicher Zustand, sondern ein Wunder. Er durfte sich nicht verlieben, sich nicht mit dem wohligen Anschauen dieser hübschen Augen, mit der Nähe dieser blühenden lichten Blondheit begnügen, er durfte dieser Liebe nicht erlauben, auch nur einen Augenblick beim Sinnlichen zu verweilen. Denn wenn Goldmund sich zum Mönch und Asketen und zu einem lebenslangen Streben nach Heiligkeit bestimmt fühlte – Narziß war wirklich zu einem solchen Leben bestimmt. Ihm war Lieben nur in einer einzigen, der höchsten Form erlaubt. An Goldmunds Bestimmung zum Asketen aber glaubte Narziß nicht. Deutlicher als ein anderer verstand er in Menschen zu lesen, und hier, wo er liebte, las er mit gesteigerter Klarheit. Er sah Goldmunds Natur, die er trotz des Gegensatzes innigst verstand; denn sie war die andere, verlorene Hälfte seiner eigenen. Er sah diese Natur von einer harten Schale umpanzert, von Einbildungen, Erziehungsfehlern, Vaterworten, und ahnte längst das ganze, nicht komplizierte Geheimnis dieses jungen Lebens. Seine Aufgabe war ihm klar: dies Geheimnis seinem Träger zu enthüllen, ihn von der Schale zu befreien, ihm seine eigentliche Natur zurückzugeben. Es würde schwer sein, und das Schwerste daran war, daß ihm der Freund vielleicht darüber verlorengehen würde.

Unendlich langsam rückte er dem Ziele näher. Monate vergingen, ehe auch nur ein ernster Angriff, ein tiefgreifendes Gespräch zwischen beiden möglich wurde. So weit waren sie, trotz aller Freundschaft, auseinander, so weit war der Bogen zwischen beiden gespannt. Ein Sehender und ein Blinder, so gingen sie nebeneinander; daß der Blinde von seiner eigenen Blindheit nichts wußte, war nur für diesen selbst eine Erleichterung.

Die erste Bresche schlug Narziß, als er das Erlebnis zu erforschen suchte, das ihm damals den erschütterten Knaben in einer schwachen Stunde zugetrieben hatte. Die Erforschung war weniger schwierig, als er gedacht hatte. Längst fühlte Goldmund das Bedürfnis, das Erlebnis jener Nacht zu beichten; doch gab es niemanden außer dem Abt, zu dem er genug Vertrauen fühlte, und der Abt war nicht sein Beichtvater. Als nun Narziß in einer Stunde, die ihm günstig schien, den Freund an jenen ersten Beginn ihres Bundes erinnerte und sachte an das Geheimnis rührte, sagte der ohne Umschweife: »Es ist schade, daß du die Weihen noch nicht hast und noch nicht Beichte hören kannst; gern hätte ich mich von jener Sache in der Beichte befreit und gern dafür eine Strafe abgebüßt. Aber meinem Beichtvater konnte ich sie nicht sagen.«

Vorsichtig, listig grub Narziß weiter, die Fährte war gefunden. »Du erinnerst dich«, probierte er, »an jenen Morgen, wo du krank zu sein schienst; du hast ihn nicht vergessen, denn damals sind wir ja Freunde geworden. Ich habe oft daran denken müssen. Vielleicht hast du es nicht beachtet, aber ich war damals recht hilflos.«

»Du hilflos!?« rief der Freund ungläubig. »Aber der Hilflose war ja ich! Ich war es doch, der dastand und schluckte und kein Wort herausbrachte und schließlich wie ein Kind zu weinen anfing! Pfui, ich schäme mich noch heute dieser Stunde; ich glaubte, ich würde dir nie mehr vor die Augen treten können. Daß du mich so jämmerlich schwach gesehen hast!«

Tastend drang Narziß vor.

»Ich verstehe«, sagte er, »daß dir das unangenehm war. Ein so fester und tapferer Kerl wie du, und vor einem Fremden weinen, gar noch vor einem Lehrer, das paßte in der Tat nicht zu dir. Nun, damals hielt ich dich eben für krank. Wenn das Fieber ihn schüttelt, mag auch ein Aristoteles sich sonderbar benehmen. Aber dann warst du ja gar nicht krank! Es war ja gar kein Fieber! Und das ist es, wessen du dich schämtest. Niemand schämt sich, einem Fieber zu unterliegen, nicht wahr? Du schämtest dich, weil du etwas anderem erlegen warst, weil da etwas dich überwältigt hatte. War denn etwas Besonderes geschehen?«

Goldmund zögerte ein wenig, dann sagte er langsam: »Ja, es war etwas Besonderes geschehen. Laß mich annehmen, du seiest mein Beichtvater; es muß ja doch einmal gesagt sein.«

Mit gesenktem Kopf erzählte er dem Freunde die Geschichte jener Nacht.

Lächelnd sagte darauf Narziß: »Nun ja, das ‚Ins Dorf gehen’ ist in der Tat verboten. Aber man kann vieles Verbotene tun und kann darüber lachen, oder man kann es beichten, und es ist erledigt und geht einen nichts mehr an. Warum solltest du denn nicht auch einmal, wie fast jeder Schüler, diese kleinen Torheiten begehen? Ist denn das so schlimm?«

Ohne Hemmung, zornig brach nun Goldmund los: »Du sprichst wirklich wie ein Schullehrer! Du weißt ja genau, um was es sich handelt! Natürlich sehe ich keine große Sünde darin, einmal den Hausregeln ein Schnippchen zu schlagen und einen Schülerstreich mitzumachen, obwohl auch das ja nicht gerade zu den Vorübungen des Klosterlebens gehört.«

»Halt!« rief Narziß scharf. »Weißt du nicht, Freund, daß für viele fromme Väter gerade diese Vorübungen nötig waren? Weißt du nicht, daß einer der kürzesten Wege zum Leben eines Heiligen das Leben des Wüstlings sein kann?«

»Ach, rede nicht!« wehrte Goldmund ab. »Ich wollte sagen: nicht das bißchen Ungehorsam war es, das mein Gewissen belud. Es war etwas anderes. Es war das Mädchen. Es war ein Gefühl, das ich dir nicht schildern kann! Ein Gefühl, daß, wenn ich dieser Verlockung nachgäbe, wenn ich auch nur die Hand ausstreckte, um das Mädchen anzurühren, ich niemals mehr zurück könne, daß mich dann die Sünde wie ein Höllenschlund einschlucken und nie mehr herausgeben werde. Daß es dann mit allen schönen Träumen, mit aller Tugend, mit aller Liebe zu Gott und dem Guten ein Ende hätte.«

Narziß nickte, sehr nachdenklich.

»Die Liebe zu Gott«, sagte er langsam, die Worte suchend, »ist nicht immer eins mit der Liebe zum Guten. Ach, wenn es so einfach wäre! Was gut ist, wissen wir, es steht in den Geboten. Aber Gott ist nicht nur in den Geboten, du, sie sind nur der kleinste Teil von ihm. Du kannst bei den Geboten stehen und kannst weit von Gott weg sein.«

»Verstehst du mich denn nicht?« klagte Goldmund. »Gewiß verstehe ich dich. Du fühlst im Weib, im Geschlecht, den Inbegriff alles dessen, was du ‚Welt’ und ‚Sünde’ nennst. Aller anderen Sünden, so scheint es dir, bist du entweder gar nicht fähig, oder aber sie würden, wenn du sie begingest, dich doch nicht erdrücken, sie würden sich beichten und gutmachen lassen. Nur die eine Sünde nicht!«

»Jawohl, genau so fühle ich es.«

»Du siehst, ich verstehe dich. Du hast ja auch nicht so sehr unrecht, die Geschichte von Eva und der Schlange ist ja wahrlich keine müßige Fabel. Und doch hast du nicht recht, Lieber. Du hättest recht, wenn du der Abt Daniel wärest oder dein Taufpatron, der heilige Chrysostomus, wenn du ein Bischof oder Priester oder auch nur ein kleiner simpler Mönch wärest. Der bist du ja aber nicht. Du bist ein Schüler, und wenn du auch den Wunsch hast, für immer im Kloster zu bleiben, oder wenn dein Vater diesen Wunsch für dich hat, so hast du doch noch kein Gelübde abgelegt, noch keine Weihe erhalten. Wenn du heut oder morgen durch ein hübsches Mädchen verführt würdest und der Versuchung erlägest, so hättest du keinen Schwur gebrochen, kein Gelübde verletzt.«