Sischas Großvater fühlte sich im KZ nicht besonders gut. Er erlebte sogar schnöden Undank. Außer sibirischem schönem Wetter hatte er, als „sozial fern Stehender“ (eine andere Bezeichnung für „Feind des Volkes“) mit Kriminellen – „sozial Nahestehenden“, zu tun. Diese „sozial Nahestehenden“ terrorisierten „Feinde des Volkes“ mit dem Segen der KZ-Obrigkeiten. Der Großvater war schon bereit, vom Leben Abschied zu nehmen, als Genosse Stalin das Zeitliche segnete. Dann, nach einiger Zeit, wurde er befreit und sogar rehabilitiert. Er kam zurück nach Rostow und konnte wieder in seiner ehemaligen Wohnung wohnen. Die stand sowieso leer, weil der NKWD-Offizier arbeitete jetzt in Moskau und zum KGB-Offizier wurde. Apropos, die Wjagins Nachbarn, die alle auch Professoren waren, gaben ihnen die früher ausgeliehenen Möbelstücke nie zurück. Ja, Kuchen!
Sischa lernte in der Schule mit beneidenswerter Leichtigkeit und bereitete keine Schwierigkeiten seinen Eltern. Bis er fünfzehn Jahre alt war. In diesem Alter entdeckte Sischa und seine Freunde den Wein. Diese Entdeckung gefiel ihm sehr, vielleicht zu sehr. Aber Sischa war jung und konnte im betrunkenen Zustand auch gut lernen. Mit siebzehn Jahren studierte er schon Philologie an der Rostower Uni. XXX XXXXX XXX XXX.
Die ersten zwei Jahre des Studentenlebens waren schön, rochen aber nach Wein. Am Ende des zweiten Jahres wurde Sischa zu Quartalssäufer. Er besuchte Uni nicht mehr, lernte echte Alkoholiker kennen und trank mit ihnen „Solnzedar“ im Hof des Kindergartens, wie es üblich in Russland war, in der Laube. Nach einiger Zeit kam er nicht mehr nach Hause und übernachtete im Freien.
Sischas Opa duldete solche Freiheit nicht lange und brachte ihn in geschlossene psychiatrische Anstalt – anonym, natürlich. Gleichzeitig besorge er ihm einen Urlaub wegen Krankheit. Die geschlossene psychiatrische Anstalt gefiel Sischa nicht und sein drittes Jahr an der Uni begann er ganz nüchtern. Doch sein Schicksal stellte ihn immer auf die Probe. Diesmal kam zu ihm das Schicksal in Gestalt eines Mädchens.
Dieses Mädchen namens Ksücha – einige Jahre älter als er, war blond (im besten Sinne des Wortes), mit großen grauen Augen und hervorstehenden Schneidezähnen. Sie war sehr belesen, verfügte wie Sischa über eine gute Eloquenz, hatte einen Großvater mit derselben Geschichte wie von Sischa, und suchte nach einem Mann. Außer des letzten Punkts passte sie zu Sischa ausgezeichnet. Obendrein – beide hatten Telefone, das kam in der Sowjetunion echt selten vor. Einige sowjetische Bürger sollten bis zu zwanzig Jahren Schlange stehen, um eine Festnetznummer zu bekommen. Die beiden Telefonbesitzer nutzten ihr Glück und telefonierten sehr oft miteinander.
Sischa und Ksücha lernten sich an einer Geburtstagsfeier von gemeinsamem Freund kennen und die Blitzliebe begann. Hin oder her war Sischa ganz von den Socken. Ksücha wohnte am Rand der Stadt im Sapadnyj Gebiet und verliebter Sischa, der sie immer bis zu ihrem Haus begleitete (was in Russland selbstverständlich zum Umwerben gehört), sollte jedes Mal mit dem Taxi nach Hause fahren, weil keine anderen Verkehrsmöglichkeiten in der Nacht existierten. Das machte ihn schnell knapp bei der Kasse. Dazu galt Sapadnyj Gebiet als hoch gefährlich wegen herumlaufenden Kriminellen verschiedenen Arten, so fühlte Sischa eine heftige Angst, wenn er ein Taxi suchte.
Ksücha war schon seit einer Woche im Besitz ihres Diploms, als sie Sischa begegnete. Sie war zweiundzwanzig und ein halb Jahre alt und war schon alte Jungfer für russische Verhältnisse. Was Jungfer betrifft, so konnte sie über nichts klagen. Ksücha war sehr emanzipiert und wusste genau, dass sie einen Mann brauchte ehe als Prestigeobjekt, weil alle ihre Bekannten schon einen hatten und einige sogar erlaubte sich ein zweites Exemplar wegen Defektes des Erstes. Ihr Vater besorgte für sie eine Stelle am Lehrstuhl für Philosophie der Uni und sie wollte dort als ganz erwachsene Frau erscheinen – das heißt, verheiratete. Was Sischa betraf, so ihre Pläne bestanden darin, ihn kirre zu machen.
Ksücha kannte die prekäre Sischas Geldsituation. Dazu blieb es so wenig Zeit bis zum Beginn des Semesters an der Uni und sie war noch nicht vermählt! Also entschied sie mit Sischa reinen Tisch machen. Sie erzählte ihm, dass es viel praktischer wäre, wenn er nicht nach Hause mit dem Taxi fahren sollte, sondern bei ihr bleiben konnte. Noch zusätzlich erwähnte sie, dass sie im nächsten Semester an seiner Fakultät als Dozentin für Ethik eintreten sollte. Sischa verstand die Argumentation sehr gut. Eigentlich hatte er nichts gegen Ehe. Ksücha war nicht sein erstes Mädchen, sondern das dritte. Warum denn nicht? Er war einverstanden. Ksücha war fast genau seine Kragenweite.
Hochzeit fand in einem Café des Sapadnyj Gebiets statt. Man lud etwa hundert Gäste ein. Außer Verwandten, bekannten und unbekannten den Neuvermählten, waren Sischas Freunde und Ksüchas Freunde und Bekannten anwesend. Von der Letzten war es besonders viel, weil junge Frau Gemahlin ihnen allen ihren Erfolg zeigen wollte. Das junge Paar tanzte ihr ersten Walzer. Die Braut trug ein rosa Kleid, der Bräutigam – einen braun und gelb karierten Anzug. Sie bewegten sich schwer und sehr langsam, weil, erstens – Sischa konnte überhaupt nicht tanzen und trat immer wieder auf den Fuß der Braut, zweitens – die Braut trug zu kleine Schuhe. So erfuhr Sischa, dass seine Auserwählte einen seltsamen Komplex hatte, der die Größe ihrer Füße betraf. Sie war fester Überzeugung, dass es sich einer anständigen Dame gehörte, kleine Füße zu haben. Deswegen kaufte sie sich immer Schuhe, die drei Größen kleiner waren, als sie brauchte. Ksücha litt übermäßig, wenn sie in diesen Schuhen humpelte, aber Schönheit nimmt doch seinen Tribut, oder?
Also, die Neuvermählten tanzten ihren Heiratswalzer. Mit Trennen in Augen – Ksücha wegen Schmerzen in Füßen, Sischa – wegen verlorener Freiheit und heldenhafter Versuchen sich wach halten, weil er wahnsinnig schlafen wollte – es gelang ihm, schon etwas intus zu besorgen. Der Anblick an leidendes tanzendes Paar war so trüb, dass einige Gäste begannen auch zu weinen. Die achtzigjährige Ksüchas Großgroßmutter nahm ihre Arznei gegen Herzschmerzen ein. Nach dem Tanz applaudierten nur zwei Menschen – die beiden Mütter der Neuvermählten. Sie waren sehr froh, dass es Sischa und Ksücha gelang, den Tanz zum Ende zu bringen. Andere Gäste, tief beeindruckt, tranken einige Gläser ein nach einender ohne Pause, um wieder in Stimmung zu kommen.
Die Hochzeitfeier war ein großer Erfolg. Gäste tranken mit überschwänglichem Lob sehr geschätzte in der UdSSR georgische Weine – das war das Verdienst der Sischas Mutter, die in der Handel arbeitete und nutzte alle ihre Beziehungen, um diese Weine zu bekommen. Man aß Kiew-Koteletten und Apfelsinen. So war alles auf höchstem Niveau. Sischa gelang es, nur einmal mit dem Gesicht in den Salat hinzufallen – ein Jahr in geschlossener psychiatrischer Anstalt war doch nicht umsonst! Die Braut konnte Fußschmerzen nicht mehr ertragen und begann sich mit wunderschönem Wein „Kindzmarauli“ schnell zu betäuben und das auch mit großem Erfolg. Wie dem auch sei, bald brachten die Verwandten beider betrunkenen Neuvermählten nach Hause und ließen sie dort ausschlafen. Die Hochzeitsnacht sollte wohl an einem anderen Tag stattfinden.
In Abwesenheit des frisch vermählten Brautpaares wurde die Feierlichkeit etwas lebendiger. Die beiden Schwiegermütter erzählten gegenseitig, was für einen Schatz ihr Kind sei und was für ein Glück das Kind der anderen habe, so ein schönes und kluges Geschöpf in eigenen Besitz zu bekommen. Dabei gratulierten sie gegenseitig und tranken tüchtig „Twischi“. Nach einigen Flaschen kamen sie zur Frage, wer von beiden Kindern den größten Profit bekam und hier stimmten ihre Meinungen nicht überein. Und zwar – überhaupt nicht. Überhaupt nicht. Weil Herr Gott Ksüchas Mutter etwas mehr Eloquenz segnete, verzichtete Sischas Mutter auf „Twischi“, schenkte sich „Chwantschkara“ (ein roter Wein) und goss den langsam auf das Kleid Ksüchas Mutter. Der Wein machte einen schönen Fleck, der mit der Form an Halbinsel Krim erinnerte. Ksüchas Mutter bevorzugte in Urlaub ehe nach Kaukasus zu fahren, als nach Krim, so antwortete sie alsbald mit Eiersalat, der mit der Form an Elbrus, der höchsten Berg des Großen Kaukasus, erinnerte.