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Zurück in der deutschen Schweiz beginne ich sofort, unseren Umzug zu organisieren. Markus kann mir nicht viel helfen, da er ja bereits im Tessin arbeitet. Als mir klar wird, wie hoch die Kosten mit einem professionellen Umzugsunternehmen wären, beschließe ich, den Umzug selbst in die Hand zu nehmen. Bei einer Autovermietung schaue ich mir den größten Lastwagen an, den man mit PKW-Führerschein fahren darf, und komme zu dem Entschluss, dass dieser ausreichen muss. Alles, was keinen Platz findet, wird in den kommenden Tagen verkauft oder verschenkt. Nur das Wichtigste wird verpackt und das ist immer noch mehr als genug. Nicht für alles finden wir Abnehmer. Napirais komplettes Mädchenzimmer, das erst fünf Jahre alt ist, und einiges mehr bleibt übrig. Wir verständigen ein nahe gelegenes Brockenhaus, eine Einrichtung, der man nicht mehr benötigte Möbel umsonst überlassen kann. In großen Lagerhallen werden sie zu günstigen Preisen verkauft, und der Erlös wird gemeinnützigen Zwecken zugeführt. Sofort erklären sich die Mitarbeiter des Brockenhauses bereit, am vereinbarten Tag den Rest abzuholen.

Der große Tag rückt immer näher und Markus und ich wissen noch nicht, wer uns beim Einpacken helfen wird, da es nicht meiner Art entspricht, bei Freunden über Umzugsprobleme zu quengeln. Irgendwie, denke ich, werden sich die wahren Freunde schon melden. Und tatsächlich: Vier Tage vor dem Umzug kündigt Anneliese tatkräftiges Zupacken an. Auch Anna erscheint mit ihrem mittlerweile kräftigen Sohn und einer ihrer erwachsenen Töchter am Umzugstag. Mein Vater, zu dem ich seit seiner Scheidung von meiner Mutter lange Zeit kaum mehr Kontakt hatte, kommt, um uns beim Einpacken zu helfen. Ich bin wirklich gerührt. Auch Napirai wird von zwei Freundinnen unterstützt und so ist am Abend vor der langen Fahrt in den Süden unser Hab und Gut sicher verstaut. Alles, was nun keinen Platz oder Abnehmer gefunden hat, soll morgen von dem Brockenhaus während unserer Abwesenheit abgeholt werden. Zum letzten Mal schlafen wir in der leeren Wohnung auf Luftmatratzen. Am frühen Morgen startet Markus, begleitet von meinem Vater, mit dem Lastwagen. Ich fahre mit unserem voll gestopften Auto hinterher. Napirai verbringt ihren letzten Schultag in Bäretswil.

Im Tessin schleppen wir bei tropischen Temperaturen von 35 Grad alles hoch in unsere neue Wohnung. Während dieses Schweiß treibenden Unternehmens klingelt plötzlich mein Handy. Ein Mitarbeiter des Brockenhauses teilt mir mit, dass sie nun doch kein Interesse an den zurückgelassenen Sachen hätten. Auf meine irritierte Frage nach dem Grund erhalte ich die trockene Antwort, dass das Kinderzimmer sich ohne Matratze schlecht verkaufen ließe. Zudem sei beim Kleiderschrank die Rückwand aus Sperrholz und nicht aus festem Holz. So etwas wollen ihre anspruchsvollen Kunden eben nicht! Aja, dann seien noch zwei Aufkleber am Bücherregal. Auch bei allen anderen Gegenständen wird gemeckert, gerade so, als sei Voraussetzung, dass die Möbel ungebraucht sind! Als ich etwas unwirsch entgegne, das sei wohl ein Witz, schließlich hätte ich nicht im Müll gewohnt, erklärt mir der dreiste Angestellte, sie würden die Sachen schon mitnehmen, wenn ich dafür bezahle. Nun bin ich wirklich wütend und sage, sie sollen alles stehen lassen und die Wohnung verlassen. Den Sinn dieser Organisation verstehe ich von diesem Tag an nicht mehr.

Mit großer Empörung fahren wir am selben Tag die lange Strecke zurück, um den Mietwagen wieder abzugeben. Zuvor müssen wir noch die vielen Möbel aufladen und das komplette Kinderzimmer auseinander bauen. Napirai ist enttäuscht, dass ihr schönes Zimmer nicht einmal beim Brockenhaus Anklang findet. Wir beladen den Lastwagen mit dem ganzen Rest und fahren ihn zu einem Kollegen in Wetzikon, der unsere Notlage versteht und sich angeboten hat, die Sachen am Montag zur Müllverbrennungsanlage zu bringen. Als wir alles bei seinem offenen Unterstand abgeladen haben, ist es bereits nach 22 Uhr. Bevor wir einsteigen, erblicke ich im gegenüber liegenden Garten eine Gruppe von Afrikanern, die uns neugierig beobachtet, während ihr Gartenfest offensichtlich dem Ende zugeht. Mir kommt eine Idee und ich sage zu Markus: »Geh doch schnell rüber und sage diesen Leuten, dass alles, was hier steht, gratis mitzunehmen ist.« Er erntet ein freundliches Nicken. Total erschöpft, aber stolz, alles gemeistert zu haben, bringen wir den Lastwagen endlich zurück und fahren eine halbe Stunde später in unserem Wagen noch einmal bei dem Unterstand vorbei. Zu unserer großen Freude stellen wir fest, dass alle Gegenstände einen glücklichen Besitzer gefunden haben. Am nächsten Tag erzähle ich Napirai, dass wohl in Zukunft irgendwo ein afrikanisches Kind in ihrem ehemaligen Bett schlafen und viel Freude an der Kinderzimmereinrichtung haben wird. Jetzt leuchten auch ihre Augen.

Drei Monate nach unserem ersten Italienisch-Kurs wohnen wir nun alle glücklich in Lugano. Napirai lebt sich immer besser ein, obwohl sie natürlich noch sehr an den ehemaligen Freundinnen hängt. Aber drei Stunden Zugfahrt ist ja keine unüberwindbare Distanz. Wir leben immer noch in der Schweiz und nicht in Afrika und bis heute bereut niemand von uns den spontanen Ortswechsel. Unsere Wohnung befindet sich in einer älteren Villa und die Besitzerin ist für uns als Freundin und moderne Oma ein wahrer Sonnenschein.

Seitdem ich hier im Tessin bin, verspüre ich immer häufiger das Bedürfnis, den vielen Leserinnen und Lesern einen Wunsch zu erfüllen und die Fortsetzung meines Erstlingswerkes zu schreiben. Nie wäre ich vorher nur auf den Gedanken gekommen! Aber hier, bei den manchmal fast tropischen Temperaturen und dem wunderschönen Blick auf den See sowie den vielen interessanten Bekanntschaften, wird es mir sicher leicht fallen. Endlich kann ich auf diese Weise die vielen Fragen beantworten, die mich selbst heute noch täglich erreichen. Ich freue mich auf diese Arbeit und fühle mich glücklich und zufrieden. Die Pläne für ein Hotel verschiebe ich auf unbestimmte Zeit.

Aufs Neue staune ich, wie eine bestimmte Sekunde im Leben alles entscheiden kann und den gewohnten Rhythmus urplötzlich in eine andere Richtung lenkt. Man muss nur den Mut haben, es zuzulassen!

Aufbruch zum Kilimandscharo

Während des Schreibens im folgenden halben Jahr spüre ich immer wieder Heimweh nach Afrika und auch den Wunsch, zu wissen, wie mein Empfinden beim Betreten afrikanischen Bodens wäre. Kürzlich kam ein Trekkingkatalog ins Haus, da ich schon lange den Wunsch hege, auf eine entsprechende Tour zu gehen. Beim Durchblättern fällt mein Blick auf den Kilimandscharo. Als ich beim Lesen feststelle, dass man heute von Europa direkt zum Kilimandscharo fliegen kann, ohne kenianischen Boden zu betreten, verspüre ich den urplötzlichen Wunsch, auf diese Weise nach Afrika zurückzukehren. Auf das Dach von Afrika!

Interessiert studiere ich die verschiedenen Besteigungsrouten. Von Neugier getrieben setze ich mich vor den PC und suche im Internet unter dem Schlagwort »Kilimandscharo« alles, was mir interessant erscheint. Stundenlang lese ich Reiseberichte und diverse Informationen. Abends kann ich nicht einschlafen. Immer wieder frage ich mich, ob ich fit genug bin für diese Besteigung. Mit Markus kann ich mich leider nicht sofort austauschen, da er sich aus beruflichen Gründen gerade für zehn Tage in Marokko aufhält und ich solch eine verrückte Blitzidee nicht am Telefon besprechen möchte. Ich döse im Bett vor mich hin und als es endlich Morgen wird, fühle ich mich so, als wäre ich bereits die ganze Nacht durchmarschiert.

Für mich steht fest: Ich werde es wagen! Endlich möchte ich wieder afrikanischen Boden betreten und, wenn ich schon nicht nach Kenia reisen kann, so wenigstens in die Nähe und von ganz oben hinüberschauen.

Napirai ist über meine Pläne nicht gerade begeistert und fragt nur: »Mama, ist das nicht gefährlich? Gehen da noch andere Frauen in deinem Alter hinauf?« Na ja, was das wohl wieder heißen mag! Schließlich kann ich doch nicht mehr warten, bis Markus nach Hause kommt, da ich mich Tag und Nacht nur noch mit diesem Thema beschäftige und so erzähle ich bei einem der nächsten Anrufe von meinem Vorhaben. Zu meiner großen Überraschung findet er die Idee sehr gut und unterstützt mich schon jetzt am Telefon. Ich bin überglücklich.