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Zwei Jahre zuvor hatte der schmierige Joáo de Oliveira – wie unzählige Söldnerkapitäne vor ihm – einen krassen Fehler begangen und zu einem sicherlich überhöhten Preis eine angeblich echte Seekarte erworben, auf der die Antillen exakt verzeichnet waren. Doch bald mußte er feststellen, daß er sich eine plumpe Fälschung eingehandelt hatte, oder, was noch schlimmer war, eine »spanische Fälschung«, die ihn geradewegs ins Verderben schicken konnte.

Schon seit langer Zeit hatte die Casa de Contratación nämlich die üble Angewohnheit, von Zeit zu Zeit falsche Seekarten und Routenbücher auf den »Markt« zu werfen, die in die Hände von Piraten und Korsaren fallen sollten. Wenn diese den ausgeklügelten Anweisungen folgten, zerschellten sie früher oder später auf einem der so gefürchteten Riffe.

Nur die besten spanischen Navigatoren konnten solche »Fallen« auf Anhieb entlarven. Das war der Grund, warum die »Renegaten« auf dem chaotischen Arbeitsmarkt der aktiven Seeräuberei so astronomisch hohe Summen kassierten.

Kapitän Tiradentes hatte zwar eine Karte, auf der die genaue Lage von Hispaniola und Puerto Rico verzeichnet war, doch hätte er niemals seine Hand dafür ins Feuer gelegt, daß besagte Inseln tatsächlich innerhalb der angegebenen Längen- und Breitengrade lagen.

Als ihm also Don Hernando Pedrárias mit absoluter Sicherheit bestätigte, daß zwischen der Punta de Penas und dem im Nordwesten liegenden Puerto Rico nur tiefe See lag, befahl er diesen Kurs und hoffte geduldig, daß vor seinem Bug schließlich eine ferne Küste auftauchen würde.

Trotzdem ließ er den Ausguck im Mastkorb und am Davit nie unbemannt, und bei Anbruch der Nacht befahl er, das Großsegel zu reffen, und fuhr lediglich mit dem Focksegel weiter. Alle Lichter an Bord waren gelöscht und alles lauschte gespannt in die Nacht hinaus, um jedes Geräusch, das nach Brandung klang, zu entdecken.

In der vierten Nacht, in der absolute Stille und Finsternis herrschten, erhellten plötzlich immer mehr Sterne den Horizont. Schnell mußte Kapitän Oliveira verblüfft feststellen, daß es sich dabei keinesfalls um Sterne handelte, sondern um Hunderte von besorgniserregenden Lichtern, die mit bemerkenswerter Geschwindigkeit auf seine Steuerbordseite zukamen.

»Sáo Bento, hilf!« rief er entgeistert aus. »Die Flotte!«

In der Tat konnte es sich nur um die mächtige spanische Flotte handeln, die in diesem Jahr mit Verspätung Sevilla verlassen hatte und im Konvoi, ihres Kurses und ihrer Stärke gewiß, nach San Juan de Puerto Rico segelte, von wo aus sie später Südkurs nach Cartagena de Indias einschlagen würde.

Die Flotte!

Die komplette Mannschaft der Botafumeiro betrachtete fasziniert von der Luvreling aus das stolze Schauspiel, das die majestätische Armada bot, und einige Augenblicke lang fühlte sogar Hernando Pedrárias selbst einen gehörigen Stolz, in einem Land geboren zu sein, das zu einer solchen militärischen Machtdemonstration fähig war.

Schließlich wandte er sich an den Portugiesen, der in kurzen Abständen Flüche ausstieß, ohne dabei auch nur einen Augenblick darauf zu verzichten, seine Kokablätter weiterzukauen, und fragte ihn:

»Was gedenkt Ihr zu tun?«

»Zwischen ihnen zu kreuzen«, tönte es entschlossen zurück.

»Zwischen dieser Unmenge von Schiffen zu kreuzen?« rief er aus. »Seid Ihr verrückt geworden? Sie werden uns entern.«

»Nicht, wenn wir geschickt manövrieren. Ich habe nicht genügend Leute, um alle Segel zu setzen, Fahrt aufzunehmen und sie hinter uns zu lassen.« Er spuckte über die Reling. »Und wenn wir unseren jetzigen Kurs halten, überrollen sie uns einfach.« Er wandte sich an den Mann am Steuerrad, der in der Dunkelheit kaum auszumachen war. »Hart Steuerbord! Und ihr dort, Groß- und Besansegel setzen.« Und als sich die Männer schon entfernten, fügte er mit schallendem Gelächter hinzu: »Und macht sicherheitshalber die Rettungsboote los!«

So brisant die Situation auch war und so sehr ihn schon seit der ersten Begegnung der Mann aus Lissabon anwiderte, Don Hernando Pedrárias konnte nicht umhin, die absolute Kaltblütigkeit des Kapitäns zu bewundern, den es offensichtlich kolossal amüsierte, auf eine Unmenge riesiger Schiffe zuzusteuern, die wie blinde Büffel vorwärts stürmten. Er mußte ihnen in finsterer Nacht ausweichen, und dabei konnte er lediglich auf seine eigene Geschicklichkeit und eine Handvoll halbgenesener Männer zählen, die kaum ausreichten, um auch nur die Hälfte der Segel zu setzen.

»Drei Mann ans Steuer!« rief er, als seine eigene Galionsfigur nur noch eine knappe Meile von den Galionsfiguren der Vorhut trennte. »Zwei Grad Backbord! Alle Segel anziehen!«

Der erfahrene Kapitän Joáo de Oliveira wußte, daß die schwere Flotte wie gewöhnlich mit allen Segeln fuhr, um die Rückenwinde zu nutzen. In ihrem Windschatten würde er praktisch nicht mehr von der Stelle kommen. Daher beschloß er, mehr Fahrt zu machen, solange er noch genügend Wind dazu hatte, um sich selbst auf die ankommenden Schiffe zu stürzen, nicht frontal, sondern im Winkel von etwa 40 Grad im Verhältnis zu den Positionslichtern der ersten Linie.

Auf diese Weise wurde einerseits zwar das Risiko eines Zusammenstoßes beträchtlich größer, wenn der Kapitän in der Dunkelheit die wahre Länge der Galeonen, zwischen denen er kreuzen wollte, nicht rechtzeitig erkannte, andererseits behielt er damit eine gewisse Kontrolle über die Botafumeiro, die ansonsten wie ein im Wasser treibender Korken hilflos den Fregatten des Begleitschutzes aus der zweiten und dritten Linie ausgeliefert gewesen wäre, die sie im Handumdrehen in Stücke geschossen hätten.

Die Davitwachen eines so großen Flottenverbands waren logischerweise vor allem damit beschäftigt, den vorgeschriebenen Abstand zu den Positionslichtern der übrigen Schiffe zu halten und den Steuermännern die Kursänderungen zuzurufen. Im übrigen vertrauten sie darauf, daß sie auf kein Hindernis stoßen konnten, solange sie ihrem Flaggschiff blind folgten.

Daß da plötzlich eine Brigg aus der Finsternis auftauchte, traf die Wachen daher völlig unvorbereitet. So sehr sich das Schiff auch bemühen konnte, der Flotte auszuweichen, ein Desaster innerhalb des Verbands, in dem kein nicht vorher von Signalen angekündigtes Manöver möglich war, schien nahezu unausweichlich.

Während die Minuten verstrichen und die Entfernung zur Flotte schrumpfte, gewann die Botafumeiro an Fahrt und stürzte sich wie ein Blitz auf das erste der Lichter. An Bord schlugen inzwischen alle Herzen bis zum Hals, denn beim kleinsten Fehler würde die Botafumeiro unweigerlich ein massives Handelsschiff rammen, das ihr an Tonnage um das Doppelte überlegen war.

Nur eine knappe halbe Meile lag zwischen den Bordseiten der Flottenschiffe, ebenso groß war der Abstand zwischen den Linien: nicht gerade berauschend viel Platz, um auf offener See zu manövrieren, besonders dann nicht, wenn man die Länge der jeweiligen Schiffe in der Dunkelheit schätzen mußte.

»Ein Grad Backbord!« befahl der Lissaboner schließlich. »Die Taue fest anziehen!«

Im letzten Augenblick öffnete Joáo de Oliveira den Winkel etwas weiter und ließ ein großes, über acht Meter hohes Schiff in seinem Kielwasser passieren, wobei der Klüverbaum des Spaniers fast den Achtersteven der Botafumeiro streifte. Nun steuerte er die Botafumeiro direkt auf die mittleren Positionslichter des zweiten Schiffs zu. Bis er es erreicht hätte, würde dieses ihn überholt haben. Als er den schwachen Schein der großen Achterlaternen ausmachen konnte, wußte er, daß die Gefahr für den Augenblick gebannt war. Nachdem er wieder einmal ausgespuckt hatte, murmelte er:

»Steuer geradeaus!«

Hastig ließen die vier Männer das Steuerrad kreisen. Kurz darauf schrie der Portugiese aus vollem Halse:

»Nach zwei Minuten volle Wende Steuerbord! Paßt auf die Mastbäume auf!«

Der Befehl ging von Mund zu Mund.

Alle an Bord, der kränkliche schwarze Koch eingeschlossen, beeilten sich, den Befehl auszuführen. Sie wußten, daß es um ihr Leben ging, und so drehte sich die Brigg bald wie eine elegante Ballerina um sich selbst.