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»Was willst du damit andeuten?« fragte Miguel Heredia. »Denkst du vielleicht daran, ihn zu berauben?«

»Wer einen Verbrecher beraubt, bekommt hundert Jahre Ablaß«, lautete die belustigte Antwort. »Und eine Flotte anzugreifen, die über dreitausend Kanonen geladen hat, ist viel gefährlicher, als es mit einem einzigen Schiff aufzunehmen, dessen Kapitän geistig nur in der Lage ist zu zerstören, und in Panama landet, wenn er nach Kuba will.«

»Du bist verrückt!«

»Verrückt?« gab der Panamese zurück. »Natürlich! Jeder, der ein Geschäft betreibt, das ihn früher oder später an den Galgen bringt, muß verrückt sein.« Er beugte sich vor, und sein Ton wurde drängender: »Überlegt euch doch nur einen Augenblick lang, ob wir nicht eine Möglichkeit finden können, diesem Idioten eine Falle zu stellen… Das wäre so, als fiele uns die halbe Flotte in die Hände.«

»Was weißt du von ihm?« wollte Celeste mit beunruhigendem Interesse wissen.

»Sicher ist nur, daß er aus einer Aristokratenfamilie im Languedoc stammt. Als Kind hat er Bartolome de las Casas gelesen und war danach überzeugt, daß alle Spanier Ungeheuer sein mußten, die aus Zerstreuung Indios vierteilen ließen. Das hat ihm offenbar den Geist verwirrt, und bald ist er mit einem Onkel, der Korsar war, aufs Meer hinausgefahren und hat aller Welt verkündet, er sei der >Todesengel<, dem Gott befohlen habe, die Spanier zu vernichten. Daher sein Name und der seines Schiffs.«

»Der >Todesengel< auf der Zorn Gottes!« murmelte Miguel Heredia sichtlich beeindruckt. »Und einen solchen Kerl willst du betrügen? Du mußt lebensmüde sein!«

»Hör mal…!« gab Lucas Castano zurück, ohne die Ruhe zu verlieren. »Das Leben hat mich gelehrt, daß sich ein >Todesengel< oft leichter betrügen läßt als ein armer Teufel, denn der arme Teufel ist stets darauf gefaßt, daß man ihn betrügen könnte, während das einem >Todesengel< nicht einmal im Traum einfallen würde. Hier ist nicht Gewalt, sondern List gefragt.« Er deutete vielsagend auf Sebastián. »Und darin bist du immer ein wahrer Meister gewesen, hier auf der Jacare.«

Nachdem er all seinen »Besitz« gegen einen schlichten Kreditbrief des jüdischen Geldverleihers Samuel eingetauscht hatte, kehrte Don Hernando Pedrárias Gotarredona nach Cumaná zurück, wo er befriedigt feststellte, daß sein getreuer Sekretär Lautario Espinosa alle Anweisungen genauestens befolgt hatte. Im nahen Golf von Paria lag eine stolze Brigg vor Anker, bewaffnet mit 32 vierundzwanzigpfündigen und 28 sechsunddreißigpfündigen Kanonen.

Ihr Kapitän, Joáo de Oliveira, ein schielender und sehr schmutziger Mann aus Lissabon, war bekannter unter dem Namen Tiradentes, da er die Gewohnheit hatte, eine schwere Verfehlung damit zu bestrafen, daß er dem Missetäter einen Zahn zog. An der Küste Brasiliens genoß er einen gewissen Ruf, weniger seiner Heldentaten wegen, sondern vielmehr, weil er der erste »Christ« war, der geradezu eine Sucht entwickelte, die bitteren Blätter zu kauen, mit denen die Indios der Anden Hunger- und Durstgefühle bekämpften. Tiradentes hatte im Bordell von Candela Fierro sein Quartier aufgeschlagen, weil er an Land keinen Schlaf fand, wenn er nicht wenigstens drei Huren im Bett hatte. Als der Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla bei ihm auftauchte, mußte er die Mädchen förmlich mit Tritten aus dem Zimmer treiben und fand nichts dabei, noch splitternackt geräuschvoll in ein Becken zu urinieren.

»Ich versichere Euch, die Botafumeiro ist wahrscheinlich das beste Schiff auf dieser Seite des Ozeans.«

»Besser als die Jacare?« wollte Don Hernando sofort wissen. Er beugte sich aus dem Fenster und betrachtete den Fluß, um das schamlose Schauspiel hinter seinem Rücken nicht mit ansehen zu müssen.

»Ich kenne die Jacare nicht«, entgegnete der Portugiese, während er sich in aller Gemächlichkeit ankleidete. »Aber wie ich gehört habe, segelte sie mit allen Winden gut. Das kann ich auch, aber meine Feuerkraft ist doppelt so groß.« Er ließ ein Rülpsen hören, das nach billigem Fusel stank. »Der Zustand meiner Besatzung ist allerdings prekär. Ich brauche Leute.«

»Wie viele?«

»Mindestens achtzig. Vor allem Männer für Segel und Geschütze.«

»Ich glaube nicht, daß wir die in Cumaná finden werden.«

»Natürlich nicht!« bestätigte Tiradentes, zog sich die Stiefel an und sprang auf die Beine. »Das habe ich schon versucht, aber es gibt nur zwei Häfen, in denen man eine gute Mannschaft anheuern kann: Tortuga und Port-Royal. Ich persönlich bin für Tortuga.«

Die bloße Erwähnung der kleinen Insel, auf der sich pro Quadratmeter die meisten Todfeinde der Casa de Contratación von Sevilla aufhielten, war schon genug, Don Hernando Pedrárias den Magen umzudrehen. Er starrte in das spöttische Lächeln eines abstoßenden Mannes, dessen riesige Zähne die Kokablätter für immer schwarz gefärbt hatten.

»Tortuga?« wiederholte er sichtlich beunruhigt. »Haltet Ihr es für ratsam, dort vor Anker zu gehen, wo unsere Mission darin besteht, ein Piratenschiff zu verfolgen und zu vernichten?«

Der andere spuckte in das Urinbecken, ohne das fast beleidigende Lächeln abzustellen.

»Port-Royal wäre schlimmer! Alle, die vor Tortuga ankern, wären glücklich, sich gegenseitig beim geringsten Anlaß zu versenken, und kein Pirat wird den Tod eines Jacare Jack beklagen. Im Gegenteil: Sie würden auf seinem Grab tanzen. Gehen wir einen trinken.«

Dankbar begrüßte Don Hernando Pedrárias die Gelegenheit, das Zimmer, in dem es nach Schweiß, Wollust und Urin roch, verlassen zu können. Als sie im Schatten eines Samanbaums Platz nahmen, dessen Wurzeln der Fluß Manzanares umspülte, ging es ihm schon wieder besser.

Einen Augenblick lang schoß ihm jener andere Manzanares bei Madrid durch den Kopf, in dem er als Junge des öfteren mit den Söhnen des Herzogs von Alhumada gebadet hatte, und er mußte sich fragen, wie er nur so tief hatte sinken können.

Der Portugiese schien zu begreifen, daß der andere Zeit zum Nachdenken brauchte. Nach längerem Schweigen fragte Don Hernando mißmutig:

»Was ist, wenn sie mich in Tortuga an Bord entdecken?«

»Dann eröffnen sie das Feuer auf die Botafumeiro«, kam es rasch zurück. »Aber deswegen braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen, denn ich bin dort der einzige, der weiß, wer Ihr seid. Sobald Ihr an Bord kommt, müßt Ihr Euren Namen ändern.«

»Meinen Namen kann ich wohl ändern, aber nicht den Akzent. Ich spreche nur Spanisch.«

»Wahrscheinlich wimmelt es in Tortuga nur so vor spanischen Renegaten. Die meisten Steuermänner sind abtrünnige Spanier, denn sonst kämen sie in diesem Archipel nicht zurecht. Sie sind praktisch die einzigen, die Zugang zu den Seekarten der Casa hatten.«

Die berühmten Seekarten oder Routenbücher, auf denen Winde, Strömungen und gefährliche Untiefen der Karibischen See verzeichnet waren, zählten verständlicherweise zu den besonders eifersüchtig gehüteten Geheimnissen ihrer Zeit. Eine lange Abfolge erfahrener Kartographen hatte diese Routenbücher mit unendlicher Geduld auf der Grundlage der zahllosen, unschätzbar wertvollen Daten zusammengetragen, die ihnen die spanischen Seefahrer in anderthalb Jahrhunderten Navigation an den unbekannten und gefährlichen Küsten der Neuen Welt zur Verfügung gestellt hatten.

Die Navigatorenschule der Casa de Contratación war die einzige Einrichtung, die per Dekret ungehinderten Zugang zu diesem unschätzbar wertvollen Archiv hatte. Ein Navigator, der sich die wesentlichen Informationen dieser Routenbücher im Gedächtnis einprägen konnte, war daher zweifellos ein privilegierter Mann, für dessen Dienste bisweilen astronomische Summen gezahlt wurden.

Ohne die Hilfe eines solchen Mannes riskierte selbst der beste Kapitän, mitten in der Nacht auf eine der unzähligen kleinen Inseln aufzulaufen, die kreuz und quer in der gesamten Karibik verstreut waren. Korallenriffe versenkten wesentlich mehr Piratenschiffe als die Kriegsschiffe der Krone.