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»Doktor, dieser Mann ist mehr als einfach nur krank«, sagte ich. »Mit ihm stimmt wirklich etwas nicht. Was können wir denn jetzt tun?«

»Wir können nur eines tun. Seine Krankheit bestimmen und ihn angemessen medizinisch behandeln. Tut mir leid, Teufelsaustreibungen machen wir hier leider nicht. Ich glaube auf keinen Fall, dass es etwas Schlimmeres ist als ein fortgeschrittener Fall von Hypersuggestion. Ihr Freund ist in dieses Haus gegangen und wurde hysterisch, als er glaubte, das Atmen zu hören. Es war möglicherweise sein eigenes Atmen.«

»Aber ich habe es doch auch gehört.«

»Mag sein«, meinte Dr. Jarvis kurz angebunden.

»Doktor«, sagte ich ärgerlich.

Aber Dr. Jarvis kam mir zuvor, bevor ich weiterreden konnte: »Bevor Sie anfangen, mir mangelnde Fantasie vorzuwerfen, denken Sie bitte daran, dass ich hier arbeite«, schnauzte er. »Alles, was ich tue, muss vor dem Direktorium begründet werden. Falls ich hier etwas von dämonischer Besessenheit und Augen erzähle, die in der Dunkelheit rot glühen, dann werde ich meine Beförderung vorübergehend zu den Akten legen können. Außerdem wird man meine Arbeitsmöglichkeiten und die notwendigen Finanzen stark einschränken.«

Er kam um das Bett herum und sah mir gerade in die Augen. Leise und eindringlich sagte er: »Ich habe auch gesehen, dass die Augen von Mr. Machin rot wurden. Doch wenn wir etwas unternehmen wollen, irgendetwas Wirksames, dann sprechen wir besser nicht laut darüber. Verstehen Sie das?«

Ich sah ihn neugierig an: »Wollen Sie mir sagen, dass Sie glauben, dass er wirklich besessen ist?«

»Ich versuche, Ihnen gar nichts zu sagen. Ich glaube nicht an Dämonen und ich glaube auch nicht an Besessenheit. Aber ich glaube, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Etwas, das wir aber selbst herausfinden müssen, ohne dass das Krankenhaus davon erfährt.«

In diesem Augenblick bewegte sich Dan und stöhnte. Ich spürte, dass mir die Haare im Nacken alarmierend zu Berge standen, aber als er sprach, war er offensichtlich ziemlich normal.

»John …«,murmelte er. »John …«

Ich beugte mich über ihn. Seine Augen waren nur einen Schlitz weit geöffnet und seine Lippen ganz rissig.

»Ich bin hier, Dan. Was ist los? Wie fühlst du dich?«

»John …«,flüsterte er . »Lass mich nicht gehen …«

Ich schaute zu Dr. Jarvis hinüber. »Es ist alles in Ordnung, Dan. Niemand will dich gehen lassen.«

Dan hob schwach eine Hand. »Lass mich nicht gehen, John. Es ist das Herz, John. Lass mich nicht gehen

Dr. Jarvis beugte sich näher zu Dan. »Ihr Herz? Tut Ihnen das Herz weh? Spüren Sie irgendwelche Krämpfe – oder Schmerzen?«

Dan schüttelte den Kopf, nur eine schwache Andeutung. »Es ist das Herz«, flüsterte er so leise, dass es kaum zu hören war. »Es schlägt und schlägt und schlägt. Es schlägt noch immer. Es ist das Herz, John, es schlägt noch weiter! Es schlägt noch!«

»Dan«, flüsterte ich eindringlich. »Dan, du darfst dich da nicht so hineinsteigern! Dan, um Gottes willen!«

Dr. Jarvis deutete kurz an, dass ich jetzt schweigen sollte. Dan lag schon wieder ruhig auf seinem Kissen. Die Augen hielt er geschlossen. Sein Atmen wurde langsamer und wieder regelmäßig, langsam, qualvoll und schwer, und obwohl es mich immer noch an das Atmen erinnerte, das wir in Seymour Wallis’ Haus gehört hatten, schien er doch endlich etwas Ruhe zu finden. Ich richtete mich wieder auf. Ich fühlte mich ausgelaugt und müde.

»Er wird jetzt Ruhe haben, zumindest für ein oder zwei Stunden«, sagte Dr. Jarvis leise. »Diese Anfälle scheinen in regelmäßigen Abständen von 90 Minuten aufzutreten.«

»Haben Sie dafür irgendeine Erklärung?«

Er zuckte die Achseln. »Dafür könnte es viele Gründe geben. Aber 90 Minuten ist der Zeitzyklus des REM-Schlafes, die Art Schlaf, bei dem die Leute ihre lebhaftesten Träume haben.«

Ich schaute hinunter auf Dans graues, eingefallenes Gesicht. »Vorhin hat er zu mir etwas über Träume gesagt«, meinte ich. »Er hat von Türklopfern geträumt, die lebendig wurden, und von Figuren, die sich bewegten. Es hatte alles etwas mit dem Haus zu tun, das wir gestern Abend besucht haben.«

»Gehen Sie wieder dorthin? Zu dem Haus?«, fragte Dr. Jarvis.

»Ich hatte vor, heute Abend noch einmal hinzufahren. Einer meiner Ingenieure glaubt, dass die Geräusche von einem ungewöhnlichen Fallstrom stammen könnten. Warum?«

Dr. Jarvis fixierte Dan weiterhin. »Ich würde gern mitkommen, deshalb frage ich. Hier geht etwas vor, das ich nicht verstehe, ich will es aber verstehen.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Plötzlich sind Sie sich wohl gar nicht mehr so sicher?«

Er brummte. »Okay, das habe ich wohl verdient. Aber ich würde mich wirklich gern anschließen.«

Ich schaute noch einmal zu Dan. Er lag jung und blass wie ein Leichnam auf seinem Krankenhausbett. Sehr leise antwortete ich: »In Ordnung. Es ist 1551 Pilarcitos. Punkt neun Uhr.«

Dr. Jarvis nahm einen Kugelschreiber und notierte sich die Adresse. Dann, bevor ich ging, sagte er noch: »Hören Sie, tut mir leid, dass ich vorhin so grob zu Ihnen war. Sie müssen bedenken, dass wir hier immer eine Menge Freunde und Verwandte haben, die zu viel ›General Hospital‹ anschauen und glauben, dass sie alles besser wüssten. Ich meine, wir müssen uns ständig verteidigen.«

Ich blieb stehen, dann nickte ich. »Okay. Ich verstehe Sie. Bis um neun also.«

An diesem Nachmittag wurde vom Ozean her eine graue Wolkenbank hereingeweht, die Regen mit sich brachte. Ich saß bis halb zwei Uhr nervös und zappelig am Schreibtisch, dann nahm ich meinen Regenschirm und ging spazieren. Mein unmittelbarer Vorgesetzter, der pensionierte Seeleutnant Douglas P. Sharp, würde wahrscheinlich genau diesen Nachmittag für eine Stippvisite wählen, aber im Augenblick war mir das absolut gleichgültig. Ich war zu besorgt, zu nervös und zu betroffen von dem, was Dan zugestoßen war.

Ich überquerte die Bryant Street. Einige centstückgroße Regentropfen fielen auf den Bürgersteig. Die Luft war angefüllt mit einer magnetischen Spannung.

Ich glaube, ich kannte mein Ziel, auf das ich die ganze Zeit zusteuerte. Ich ging in die Brannan Street, und dort war es: The Head Bookstore.Ein kleiner, rot angestrichener Laden, der drinnen von einer Reihe nackter Glühbirnen beleuchtet wurde, vollgestopft mit Taschenbüchern aus zweiter Hand. Weltatlanten, Poster und wertloser Plunder standen zum Verkauf.

Ich trat ein, die Klingel schrillte. Ein bärtiger junger Bursche sah hinter der Theke auf und sagte: »Hallo. Suchen Sie etwas Bestimmtes?«

»Jane Torresino?«

»Oh, klar. Sie ist hinten, packt gerade Castanedas aus.«

Ich zwängte mich durch die Regale voller Marx, Seale und indianischem Räucherwerk, duckte mich unter der kleinen Tür, die zum Lagerraum führte. Ja, Jane war da. Sie saß auf dem Boden und sortierte Yaqui-Weisheit in saubere Stapel.

Erst schaute sie nicht auf und ich lehnte mich in den Türrahmen und beobachtete sie. Sie gehörte zu den Frauen, die immer hübsch und strahlend aussehen, ganz gleich, wie lässig sie sich anziehen. Heute trug sie enge weiße Jeans und ein blaues T-Shirt, auf das eine lächelnde Katze gedruckt war. Jane war schlank, hatte sehr langes, mittelblondes Haar, in das kleine Locken frisiert worden waren und das mich immer an Botticelli erinnerte. Ihr Gesicht war scharf und gut geschnitten mit großen Kulleraugen.

Ich hatte sie das erste Mal bei einer Party in Daly City getroffen, wo die zweite Wiedergeburt von Christus gefeiert wurde, die von einem Weisen des 18. Jahrhunderts prophezeit worden war. Der Hauptehrengast, was nicht wirklich verwundert, tauchte dann gar nicht auf. Entweder war das vorausgesagte Datum falsch oder aber er hatte nicht Daly City gewählt für seine Wiederkunft. Ich konnte ihm das nicht verübeln. Doch wenn auch mit der zweiten Wiederkehr alles schieflief, so lief es zwischen Jane und mir goldrichtig. Wir trafen uns, redeten, tranken viel zu viel Tohay und fuhren danach zu meiner Wohnung, um uns zu lieben. Später, ich erinnere mich gut, trank ich im Bett starken Kaffee, den sie mir aufgebrüht hatte. Ich war sehr glücklich über das, was das Leben mir so großzügig in den Schoß gelegt hatte.