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„Das ist mir zu kompliziert." „Mir auch. Ist es nicht genug, daß ich hier bin, bei dir, daß du noch lebst und daß ich noch nicht wieder gefangen bin?"

„Bist du deshalb gekommen?" Ich antwortete nicht. Sie saß da wie eine zierliche Amazone, nackt, mit einem Glas Wein in der Hand, fordernd, nicht ausweichend, listig und kühn, und ich erkannte, daß ich früher nichts von ihr gewußt hatte. Ich begriff nicht, wie sie es mit mir ausgehalten hatte, und ich kam mir vor wie jemand, der geglaubt hat, ein hübsches Lamm zu besitzen und für es zu sorgen, wie man für ein hübsches Lamm sorgt, und der auf einmal entdeckt, daß er einen jungen Puma unter den Händen hat, der keinen Sinn für blaue Halsbänder und weiche Bürsten hat, sondern durchaus fähig ist, die streichelnde Hand zu zerbeißen.

Ich befand mich auf gefährlichem Grund. Wie Sie sich denken können, war geschehen, was vorauszusehen war in der ersten Nacht; ich hatte versagt in der primitivsten Weise, Ich hatte es vorausgeahnt, und vielleicht war es auch so gekommen, weil ich es erwartet hatte. Tatsache war, daß ich unfähig gewesen war, aber, weil ich es erwartete, zum Glück nicht die verzweifelten Versuche angestellt hatte, die sonst in solchen Fällen gemacht werden. Man kann noch so überlegen sein wollen und erklären, daß nur Stallburschen dagegen immun seien, und Frauen mögen vorgeben, daß sie es verstehen und den Verzweifelten mit fataler Mütterlichkeit trösten — es bleibt trotzdem eine verdammte Sache, bei der jedes Pathos schauderhaft lächerlich wird.

Da ich keine der üblichen Erklärungen abgegeben hatte, war Helen gestört und griff mich an. Sie konnte nicht begreifen, weshalb ich sie nicht genommen hatte, und fühlte sich beleidigt. Ich hätte ihr einfach die Wahrheit sagen können, aber ich war nicht ruhig genug dazu. Es gibt da auch zwei Wahrheiten — eine, bei der man sich preisgibt, und eine zweite strategische, bei der man nichts preisgibt. Ich hatte in fünf Jahren gelernt, daß, wenn man sich preisgibt, man sich nicht wundern soll, daß auf einen geschossen wird.

„Menschen in meiner Lage sind abergläubisch geworden", sagte ich zu Helen. „Sie glauben, wenn sie etwas direkt sagen oder tun, würde das Gegenteil geschehen. Deshalb sind sie vorsichtig. Auch mit Worten."

„Was für ein Unsinn!"

Ich lachte. „Den Glauben an den Sinn habe ich längst aufgegeben. Ich wäre sonst bitter wie eine wilde Zitrone geworden."

„Ich hoffe, dein Aberglaube geht nicht zu weit." „Nur so weit, Helen", sagte ich sehr ruhig, „daß ich glaube, wenn ich dir sagte, daß ich dich über alle Maßen liebe, ich erwarten würde, die Gestapo eine Minute später gegen die Tür schlagen zu hören."

Sie hielt eine Sekunde still wie ein Tier, das ein ungewohntes Geräusch gehört hat. Dann wendete sie mir langsam ihr Gesicht zu. Es war erstaunlich, wie es sich verändert hatte. „Ist das wirklich der Grund?" fragte sie leise.

„Es ist nur einer", erwiderte ich. „Wie kannst du erwarten, daß ich Ordnung in meinen Gedanken habe, wenn ich gerade aus einer trostlosen Hölle in ein gefährliches Paradies gespült worden bin?"

„Ich habe manchmal darüber nachgedacht, wie es sein würde, wenn du zurückkämest", sagte sie nach einer Weile. „Es war ganz anders."

Ich hütete mich zu fragen, wie es anders gewesen wäre. Man fragt in der Liebe immer zuviel, und wenn man anfängt, die Antworten wirklich wissen zu wollen, ist sie bald vorbei. „Es ist immer anders", sagte ich. „Gott sei Dank!"

Sie lächelte. „Es ist nie anders, Josef. Es sieht nur anders aus. Ist noch Wein da?"

Sie ging um das Bett herum wie eine Tänzerin, stellte ihr Glas auf den Boden neben sich und streckte sich aus. Sie war braun von einer fremden Sonne und sorglos in ihrer Nacktheit wie eine Frau, die nicht nur weiß, daß sie begehrt wird, sondern der es auch oft gesagt worden ist.

„Wann muß ich gehen?" fragte ich. „Das Mädchen kommt morgen nicht zurück." „Übermorgen?"

Helen nickte. „Es war einfach. Heute ist Sonnabend. Ich habe ihr Urlaub über das Wochenende gegeben. Sie kommt Montag mittag zurück. Sie hat einen Geliebten. Einen Polizisten mit einer Frau und zwei Kindern." Sie sah mich aus halbgeschlossenen Augen an. „Sie war glücklich."

Von draußen kamen Marschtritte und Gesang. „Was ist das?" fragte ich.

„Soldaten oder Hitlerjugend. Irgendeine Gruppe marschiert immer irgendwo in Deutschland."

Ich stand auf und blickte durch einen Spalt in den Vorhängen. Es war eine Abteilung Hitlerjugend.

„Merkwürdig, daß du in deiner Familie so aus der Art geschlagen bist", sagte ich.

„Es muß die französische Großmutter sein", erklärte Helen. „Wir haben eine. Sie wird verheimlicht, als wäre sie jüdisch."

Sie gähnte und streckte sich. Sie war plötzlich ganz gelassen, als hätten wir bereits seit Wochen wieder miteinander gelebt und als bestände auch von draußen keine Gefahr mehr. Wir hatten beide bis jetzt möglichst vermieden, darüber zu sprechen. Helen hatte mich bisher auch mit keinem Wort nach meinem Leben im Exil gefragt. Ich wußte nicht, daß sie mich durchschaut und inzwischen einen Entschluß gefaßt hatte. „Willst du nicht noch schlafen?" fragte sie. Es war ein Uhr nachts. Ich legte mich nieder. „Können wir ein Licht brennen lassen?" fragte ich. „Ich schlafe so besser. Ich bin an die deutsche Dunkelheit noch nicht gewöhnt."

Sie sah mich rasch an. „Laß sie alle brennen, wenn du willst, Liebster."

Wir lagen dicht beieinander. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, daß wir früher einmal jede Nacht im selben Bett miteinander geschlafen hatten. Es war wie ein blasser Schatten, eine Erinnerung ohne Farbe. Helen war da, aber völlig anders, in einer sonderbar fremden Vertrautheit; ich erkannte nur noch das Anonyme an ihr wieder, ihren Atem, den Geruch des Haares, am meisten aber den ihrer Haut, verloren gewesen für so lange Zeit und noch nicht voll wieder da, aber doch schon da und bereits klüger als das Hirn. Der Trost der Haut eines geliebten Menschen! Wieviel klüger ist sie und wieviel ausdrucksvoller als der Mund mit seinen Lügen! Ich lag lange wach in dieser Nacht und hielt Helen in meinen Armen und sah das Licht und den halbhellen Raum, den ich kannte und nicht kannte, und ich fragte mich schließlich nichts mehr. Helen wachte noch einmal auf. „Hast du viele Frauen gehabt in Frankreich?" murmelte sie, ohne die Augen zu öffnen.

„Nicht mehr, als notwendig waren", erwiderte ich. „Und keine so wie dich."

Sie seufzte und wollte sich umdrehen, aber der Schlaf überwältigte sie wieder, bevor sie es tun konnte. Sie sank zurück. Langsam kam der Schlaf auch über mich, die Träume blieben aus, die Stille und der Atem Helens füllten mich, und gegen Morgen erwachte ich, nichts war mehr zwischen uns, was uns trennte, ich nahm sie, und sie kam willig, und wir fielen zurück in den Schlaf wie in eine Wolke, in der es schimmerte und nicht mehr dunkel war."