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»Was soll es sein?« fragte der Kellner Ravic.

»Bringen Sie mir einen...« »Was?« Ravic antwortete nicht.

»Ich habe Sie nicht verstanden, mein Herr«, sagte der Kellner. »Irgend etwas. Bringen Sie mir irgend etwas.« »Einen Pernod?«

»Ja...«

Ravic schloß die Augen. Er öffnete sie langsam wieder. Der Mann saß noch immer da. Dieses Mal war kein Irrtum mehr möglich.

Haake saß am Tisch neben der Tür. Er war allein und aß. Auf dem Tisch stand eine Silberplatte mit zwei halben Langusten und eine Flasche Champagne nature in einem Kühler. Ein Kellner stand am Tisch und mischte einen grünen Salat mit Tomaten. Ravic sah das alles überdeutlich, als präge es sich wie ein Relief hinter seinen Augen in Wachs. Er sah einen Siegelring mit einem Wappen in rotem Stein, als Haake die Flasche aus dem Kühler nahm. Er kannte diesen Ring und die weiße, fleischige Hand wieder. Er hatte sie im Wirbel methodischen Wahnsinns gesehen, als er, zusammengebrochen neben dem Prügeltisch, aus einer Ohnmacht in grelles Licht zurückgeworfen war — Haake vor ihm, vorsichtig zurücktretend, um seine tadellose Uniform zu schützen vor dem Wasser, das über Ravic geschüttet wurde —, die fleischige, zu weiße Hand ausgestreckt, auf ihn zeigend und mit sanfter Stimme erklärend: »Das war nur der Anfang. Es war noch nichts. Wollen Sie uns jetzt die Namen nennen? Oder sollen wir fortfahren? Wir haben noch viele Möglichkeiten. Ihre Fingernägel sind noch heil, wie ich sehe.«

Haake blickte auf. Et sah Ravic direkt in die Augen. Ravic brauchte alle Kraft, sitzen zu bleiben. Er nahm das Glas Pernod, trank einen Schluck und zwang sich, langsam auf die Salatschüssel zu blicken, als interessiere ihn die Zubereitung. Er wußte nicht, ob Haake ihn erkannt hatte. Er spürte, wie sein Rücken in einer Minute vollkommen naß geworden war.

Nach einer Weile streifte er den Tisch wieder mit einem Blick. Haake aß die Languste. Er sah auf seinen Teller. Das Licht spiegelte sich auf seiner Glatze. Ravic blickte sich um. Das Lokal war voll besetzt. Es war unmöglich, etwas zu tun. Er hatte keine Waffe bei sich, und wenn er sich auf Haake gestürzt hätte, wären im nächsten Augenblick zehn Leute dagewesen, um ihn zurückzureißen. Zwei Minuten später die Polizei. Es gab nichts anderes, als zu warten und Haake zu folgen. Herauszufinden, wo er wohnte.

Er zwang sich, eine Zigarette zu rauchen und erst wieder zu Haake hinüberzusehen, als sie zu Ende war. Langsam, als suche er jemand, blickte er um sich. Haake war gerade fertig mit seiner Languste. Er hatte die Serviette in den Händen und wischte sich die Lippen. Er tat es nicht mit einer Hand; er tat es mit beiden. Er hielt die Serviette etwas gespannt und tupfte damit die Lippen ab — erst die eine, dann die andere, wie eine Frau, die Lippenrouge abnimmt. Er sah Ravic dabei voll an.

Ravic ließ seinen Blick weiterwandern. Er spürte, daß Haake ihn ansah. Er winkte dem Kellner und ließ sich einen zweiten Pernod geben. Ein anderer Kellner verdeckte jetzt Haakes Tisch. Er räumte den Rest der Languste weg, schenkte das leere Glas nach und brachte eine Platte mit Käse. Haake deutete auf einen fließenden Brie, der auf einer Strohunterlage lag.

Ravic rauchte eine neue Zigarette. Nach einer Weile, aus schrägen Augenwinkeln, spürte er wieder Haakes Blick. Das war nicht mehr zufällig. Er spürte, wie seine Haut sich zusammenzog. Wenn Haake ihn erkannt hatte — er hielt den Kellner an, als er vorbeikam. »Können Sie mir den Pernod ’rausbringen? Ich möchte auf der Terrasse sitzen. Kühler da.«

Der Kellner zögerte. »Es wäre bequemer, wenn Sie hier bezahlen. Draußen ist ein anderer Kellner. Ich kann Ihnen dann das Glas herausbringen.«

Ravic schüttelte den Kopf und holte einen Geldschein heraus.

»Kann es hier trinken und draußen ein anderes bestellen. Dann gibt es keine Konfusion.«

»Sehr wohl, mein Herr. Danke, mein Herr.«

Ravic trank sein Glas ohne Hast aus. Haake hatte zugehört, das wußte er. Er hatte aufgehört zu essen, während Ravic sprach. Jetzt aß er weiter. Ravic hielt sich noch eine Weile ruhig. Wenn Haake ihn erkannt hatte, gab es nur eins: so zu tun, als ob er selbst Haake nicht erkannt hatte, und ihn aus seinem Versteck weiter zu beobachten.

Er stand nach ein paar Minuten auf und schlenderte hinaus. Draußen waren fast alle Tische besetzt. Ravic blieb stehen, bis er einen Platz fand, von dem aus er ein Stück von Haakes Tisch im Restaurant im Auge hatte. Haake selbst konnte er nicht sehen; aber er mußte ihn sehen, wenn er aufstand, um fortzugehen. Er bestellte einen Pernod und zahlte gleich. Er wollte bereit sein, um sofort zu folgen.

»Ravic...«, sagte jemand neben ihm.

Er fuhr zusammen, als habe ihn jemand geschlagen. Joan stand neben ihm. Er starrte sie an. »Ravic...«, wiederholte sie. »Kennst du mich nicht mehr?«

»Ja, natürlich.« Seine Augen waren an Haakes Tisch. Der Kellner stand dort und brachte Kaffee. Er holte Atem. Es war noch Zeit.

»Joan«, sagte er mit Mühe. »Wie kommst du hierher?«

»Was für eine Frage. Jeder Mensch kommt doch jeden Tag zu Fouquet’s.«

»Bist du allein?«

»Ja.«

Er sah, daß sie immer noch stand und daß er saß. Er stand auf, so daß er den Tisch Haakes schräg vor sich hatte. »Ich habe hier etwas zu tun, Joan«, sagte er eilig, ohne sie anzusehen. »Ich kann dir nicht erklären, was. Aber ich kann dich nicht dabei brauchen. Du mußt mich allein lassen.«

»Ich werde warten.« Joan setzte sich. »Ich will sehen, wie die Frau aussieht.«

»Was für eine Frau?« fragte Ravic verständnislos.

»Die Frau, auf die du wartest.«

»Es ist keine Frau.«

»Was sonst?«

Er sah sie an. »Du erkennst mich nicht«, sagte sie. »Du willst mich wegschicken, du bist aufgeregt — ich weiß, daß da jemand ist. Und ich will sehen, wer das ist.«

Fünf Minuten, dachte Ravic. Vielleicht auch zehn oder fünfzehn für den Kaffee. Haake würde noch eine Zigarette rauchen. Eine Zigarette wahrscheinlich. Er mußte sehen, daß er Joan bis dahin los wurde.

»Gut«, sagte er. »Ich kann dich nicht hindern. Aber setz dich anderswohin.«

Sie antwortete nicht. Ihre Augen wurden heller, und ihr Gesieht wurde gespannt. »Es ist keine Frau«, sagte er. »Und zum Teufel, wenn es eine wäre, was ginge es dich an? Mach dich nicht lächerlich mit deiner Eifersucht, während du dich mit deinem Schauspieler herumtreibst.«

Joan antwortete nicht. Sie drehte sich nach der Richtung seiner Augen um und versuchte zu erkennen, nach wem er sah. »Laß das«, sagte er.

»Ist sie mit einem andern Mann?«

Ravic setzte sich plötzlich. Haake hatte vorher gehört, daß er auf der Terrasse sitzen wolle. Wenn er ihn erkannt hätte, würde er mißtrauisch sein und nachsehen, wo er geblieben war. Es war dann natürlicher und harmloser, mit einer Frau draußen zu sitzen.

»Gut«, sagte er. »Bleib hier. Was du denkst, ist Unsinn. Ich werde irgendwann aufstehen und weggehen. Du wirst mit mir gehen bis zu einem Taxi und nicht mitkommen. Willst du das tun?«

»Weshalb bist du so geheimnisvoll?«

»Ich bin nicht geheimnisvoll. Da ist ein Mann, den ich lange nicht gesehen habe. Ich will wissen, wo er wohnt. Das ist alles.«

»Es ist keine Frau?«

»Nein. Es ist ein Mann, und ich kann dir nichts weiter darüber sagen.«

Der Kellner stand neben dem Tisch. »Was willst du trinken?« fragte Ravic.

»Calvados.«

»Einen Calvados.« Der Kellner schlurfte davon.

»Trinkst du keinen?«

»Nein, ich trinke das hier.«

Joan betrachtete ihn. »Du weißt nicht, wie ich dich manchmal hasse.«

»Das kommt vor.« Ravic streifte Haakes Tisch. Glas, dachte er. Zitterndes, fließendes, schimmerndes Glas. Die Straße, die Tische, die Leute — getaucht alles in ein Gelee von schwankendem Glas.

»Du bist kalt, egoistisch...«

»Joan, wir werden das ein anderes Mal besprechen.«

Sie schwieg, während der Kellner das Glas vor sie setzte.