Tschanz schwieg und schien nachzudenken. Endlich sagte er: »Es ist neun Uhr, Kommissär. Ich halte es nun für das beste, zum Polizisten von Lamboing zu fahren und sich mit ihm über diesen Gastmann zu unterhalten.«

»Es ist recht«, antwortete Bärlach. »Das können Sie tun. Versuchen Sie abzuklären, warum man in Lamboing nichts vom Besuch Schmieds bei Gastmann weiß. Ich selber gehe in das kleine Restaurant am Anfang der Schlucht. Ich muß etwas für meinen Magen tun. Ich erwarte Sie dort.«

Sie schritten den Feldweg zurück und gelangten zum Wagen. Tschanz fuhr davon und erreichte nach wenigen Minuten Lamboing.

Er fand den Polizisten im Wirtshaus, wo er mit Clenin, der von Twann gekommen war, an einem Tische saß, abseits von den Bauern, denn offenbar hatten sie eine Besprechung. Der Polizist von Lamboing war klein, dick und rothaarig. Er hieß Jean Pierre Charnel.

Tschanz setzte sich zu ihnen, und das Mißtrauen, das die beiden dem Kollegen aus Bern entgegenbrachten, schwand bald. Nur sah Charnel nicht gern, daß er nun anstatt französisch deutsch sprechen mußte, eine Sprache, in der es ihm nicht ganz geheuer war. Sie tranken Weißen, und Tschanz aß Brot und Käse dazu, doch verschwieg er, daß er eben von Gastmanns Haus komme, vielmehr fragte er, ob sie noch immer keine Spur hätten.

»Non«, sagte Charnel, »keine Spur von assassin. On a rien trouvé, gar nichts gefunden.«

Er fuhr fort, daß nur einer in dieser Gegend in Betracht falle, ein Herr Gastmann in Kolliers Haus, das er gekauft habe, zu dem immer viele Gäste kämen, und der auch am Mittwoch ein großes Fest gegeben habe. Aber Schmied sei nicht dort gewesen, Gastmann habe gar nichts gewußt, nicht einmal den Namen gekannt. »Schmied n'etait pas chez Gastmann, impossible. Ganz und gar unmöglich.«

Tschanz hörte sich das Kauderwelsch an und entgegnete, man sollte noch bei andern nachfragen, die auch an diesem Tag bei Gastmann gewesen seien.

Das habe er, warf nun Clenin ein, in Schernelz über Ligerz wohne ein Schriftsteller, der Gastmann gut kenne und der oft bei ihm sei, auch am Mittwoch hätte er mitgemacht. Er habe auch nichts von Schmied gewußt, auch nie den Namen gehört und glaube nicht, daß überhaupt je ein Polizist bei Gastmann gewesen sei.

»So, ein Schriftsteller?« sagte Tschanz und runzelte die Stirne, »ich werde mir wohl dieses Exemplar einmal vorknöpfen müssen. Schriftsteller sind immer dubios, aber ich komme diesen Übergebildeten schon noch bei.«

»Was ist denn dieser Gastmann, Charnel?« fragte er weiter.

»Un monsieur très riche«, antwortete der Polizist von Lamboing begeistert. »Haben Geld wie das Heu und très noble. Er geben Trinkgeld an meine fiancée – und er wies stolz auf die Kellnerin – comme un roi, aber nicht mit Absicht um haben etwas mit ihr. Jamais.«

»Was hat er denn für einen Beruf?«

»Philosophe.«

»Was verstehen Sie darunter, Charnel?«

»Ein Mann, der viel denken und nichts machen.«

»Er muß doch Geld verdienen?«

Charnel schüttelte den Kopf. »Er nicht Geld verdienen, er Geld haben. Er zahlen Steuern für das ganze Dorf Lamboing. Das genügt für uns, daß Gastmann ist der sympathischste Mensch im ganzen Kanton.«

»Es wird gleichwohl nötig sein«, entschied Tschanz, »daß wir uns diesen Gastmann noch gründlich vornehmen. Ich werde morgen zu ihm fahren.«

»Dann aber Achtung vor seine Hund«, mahnte Charnel. »Un chien très dangereux.«

Tschanz stand auf und klopfte dem Polizisten von Lamboing auf die Schulter. »Oh, mit dem werde ich schon fertig.«

Siebtes Kapitel

Es war zehn Uhr, als Tschanz Clenin und Charnel verließ, um zum Restaurant bei der Schlucht zu fahren, wo Bärlach wartete. Er hielt jedoch, wo der Feldweg zu Gastmanns Haus abzweigte, den Wagen noch einmal an. Er stieg aus und ging langsam zu der Gartentüre und dann der Mauer entlang. Das Haus war noch wie zuvor, dunkel und einsam, von den riesigen Pappeln umstellt, die sich im Winde bogen. Die Limousinen standen immer noch im Park. Tschanz ging jedoch nicht rund um das Haus herum, sondern nur bis zu einer Ecke, von wo er die erleuchtete Hinterfront überblicken konnte. Hin und wieder zeichneten sich Menschen an den gelben Scheiben ab, und Tschanz preßte sich eng an die Mauer, um nicht gesehen zu werden. Er blickte auf das Feld. Doch lag der Hund nicht mehr auf der kahlen Erde, jemand mußte ihn fortgeschafft haben, nur die Blutlache gleißte noch schwarz im Licht der Fenster. Tschanz kehrte zum Wagen zurück.

Im Restaurant zur Schlucht war Bärlach jedoch nicht mehr zu finden. Er habe die Gaststube schon vor einer halben Stunde verlassen, um nach Twann zu gehen, nachdem er einen Schnaps getrunken, meldete die Wirtin; kaum fünf Minuten habe er sich im Wirtshaus aufgehalten.

Tschanz überlegte sich, was der Alte denn getrieben habe, aber er konnte seine Überlegungen nicht länger fortsetzen; die nicht allzu breite Straße verlangte seine ganze Aufmerksamkeit. Er fuhr an der Brücke vorbei, bei der sie gewartet hatten, und dann den Wald hinunter.

Da hatte er ein sonderbares und unheimliches Erlebnis, das ihn nachdenklich stimmte. Er war schnell gefahren und sah plötzlich in der Tiefe den See aufleuchten, einen nächtlichen Spiegel zwischen weißen Felsen. Er mußte den Tatort erreicht haben. Da löste sich eine dunkle Gestalt von der Felswand und gab deutlich ein Zeichen, der Wagen solle anhalten.

Tschanz stoppte unwillkürlich und öffnete die rechte Wagentüre, obgleich er dies im nächsten Augenblick bereute, denn es durchfuhr ihn die Erkenntnis, daß, was ihm jetzt begegnete, auch Schmied begegnet war, bevor er wenige Atemzüge darauf erschossen wurde. Er fuhr in die Manteltasche und umklammerte den Revolver, dessen Kälte ihn beruhigte. Die Gestalt kam näher. Da erkannte er, daß es Bärlach war, doch wich seine Spannung nicht, sondern er wurde weiß vor heimlichem Entsetzen, ohne sich über den Grund der Furcht Rechenschaft geben zu können. Bärlach beugte sich nieder, und sie sahen sich ins Antlitz, stundenlang scheinbar, doch handelte es sich nur um einige Sekunden. Keiner sprach ein Wort, und ihre Augen waren wie Steine. Dann setzte sich Bärlach zu ihm, der nun die Hand von der verborgenen Waffe ließ.

»Fahr weiter, Tschanz«, sagte Bärlach, und seine Stimme klang gleichgültig.

Der andere zuckte zusammen, wie er hörte, daß ihn der Alte duzte, doch von nun an blieb der Kommissär dabei.

Erst nach Biel unterbrach Bärlach das Schweigen und fragte, was Tschanz in Lamboing erfahren habe, »wie wir das Nest nun wohl doch endgültig auf französisch nennen müssen«.

Auf die Nachricht, daß sowohl Charnel wie auch Clenin einen Besuch des ermordeten Schmied bei Gastmann für unmöglich hielten, sagte er nichts; und hinsichtlich des von Clenin erwähnten Schriftstellers in Schernelz meinte er, er werde diesen noch selber sprechen.

Tschanz gab lebhafter Auskunft als sonst, aufatmend, daß man wieder redete, und weil er seine sonderbare Erregung übertönen wollte, doch schon vor Schupfen schwiegen sie wieder beide.

Kurz nach elf hielt man vor Bärlachs Haus im Altenberg, und der Kommissär stieg aus.

»Ich danke dir noch einmal, Tschanz«, sagte er und schüttelte ihm die Hand. »Wenn's auch genierlich ist, davon zu reden; aber du hast mir das Leben gerettet.«

Er blieb noch stehen und sah dem verschwindenden Schlußlicht des schnell davonfahrenden Wagens nach. »Jetzt kann er fahren, wie er will.«

Er betrat sein unverschlossenes Haus, und in der Halle mit den Büchern fuhr er mit der Hand in die Manteltasche und entnahm ihr eine Waffe, die er behutsam auf den Schreibtisch neben die Schlange legte. Es war ein großer, schwerer Revolver.

Dann zog er langsam den Wintermantel aus. Als er ihn jedoch abgelegt hatte, war sein linker Arm mit dicken Tüchern umwickelt, wie es bei jenen Brauch ist, die ihre Hunde zum Anpacken einüben.