»Über seine zwei Diener werden noch Erkundigungen eingezogen. Sie haben französische Pässe, scheinen jedoch aus dem Emmental zu stammen. Er hat sich mit ihnen an der Beerdigung einen bösen Spaß geleistet.«

»Das scheint Gastmanns Art zu sein, Witze zu machen«, sagte der Alte.

»Er wird sich eben über seinen toten Hund ärgern. Vor allem ist der Fall Schmied für uns ärgerlich. Wir stehen in einem vollkommen falschen Licht da. Wir können von Glück reden, daß ich mit von Schwendi befreundet bin. Gastmann ist ein Weltmann und genießt das volle Vertrauen schweizerischer Unternehmer.«

»Dann wird er schon richtig sein«, meinte Bärlach.

»Seine Persönlichkeit steht über jedem Verdacht.«

»Entschieden«, nickte der Alte.

»Leider können wir das nicht mehr von Schmied sagen«, schloß Lutz und ließ sich mit dem Bundeshaus verbinden.

Doch wie er am Apparat wartete, sagte plötzlich der Kommissär, der sich schon zum Gehen gewandt hatte:

»Ich muß Sie um eine Woche Krankheitsurlaub bitten, Herr Doktor.«

»Es ist gut«, antwortete Lutz, die Hand vor die Muschel haltend, denn man meldete sich schon, »am Montag brauchen Sie nicht zu kommen!«

In Bärlachs Zimmer wartete Tschanz, der sich beim Eintreten des Alten erhob. Er gab sich ruhig, doch der Kommissär spürte, daß der Polizist nervös war.

»Fahren wir zu Gastmann«, sagte Tschanz, »es ist höchste Zeit.«

»Zum Schriftsteller«, antwortete der Alte und zog den Mantel an.

»Umwege, alles Umwege«, wetterte Tschanz, hinter Bärlach die Treppen hinuntergehend. Der Kommissär blieb im Ausgang stehen:

»Da steht ja Schmieds blauer Mercedes.«

Tschanz sagte, er habe ihn gekauft, auf Abzahlung, irgendwem müßte ja jetzt der Wagen gehören, und stieg ein. Bärlach setzte sich neben ihn, und Tschanz fuhr über den Bahnhofplatz gegen Bethlehem. Bärlach brummte:

»Du fährst ja wieder über Ins.«

»Ich liebe diese Strecke.«

Bärlach schaute in die reingewaschenen Felder hinein. Es war alles in helles, ruhiges Licht getaucht. Eine warme, sanfte Sonne hing am Himmel, senkte sich schon leicht gegen Abend. Die beiden schwiegen. Nur einmal, zwischen Kerzers und Müntschemier, fragte Tschanz:

»Frau Schönler sagte mir, Sie hätten aus Schmieds Zimmer eine Mappe mitgenommen.«

»Nichts Amtliches, Tschanz, nur Privatsache.«

Tschanz entgegnete nichts, frug auch nicht mehr, nur daß Bärlach auf den Geschwindigkeitsmesser klopfen mußte, der bei Hundertfünfundzwanzig zeigte.

»Nicht so schnell, Tschanz, nicht so schnell. Nicht daß ich Angst habe, aber mein Magen ist nicht in Ordnung. Ich bin ein alter Mann.«

Dreizehntes Kapitel

Der Schriftsteller empfing sie in seinem Arbeitszimmer. Es war ein alter, niedriger Raum, der die beiden zwang, sich beim Eintritt durch die Türe wie unter ein Joch zu bücken. Draußen bellte noch der kleine, weiße Hund mit dem schwarzen Kopf, und irgendwo im Hause schrie ein Kind. Der Schriftsteller saß vorne beim gotischen Fenster, bekleidet mit einem Overall und einer braunen Lederjacke. Er drehte sich auf seinem Stuhl gegen die Eintretenden um, ohne den Schreibtisch zu verlassen, der dicht mit Papier besät war. Er erhob sich jedoch nicht, ja grüßte kaum, fragte nur, was die Polizei von ihm wolle. Er ist unhöflich, dachte Bärlach, er liebt die Polizisten nicht; Schriftsteller haben Polizisten nie geliebt. Der Alte beschloß, vorsichtig zu sein, auch Tschanz war von der ganzen Angelegenheit nicht angetan. Auf alle Fälle sich nicht beobachten lassen, sonst kommen wir noch in ein Buch, dachten sie ungefähr beide. Aber wie sie auf eine Handbewegung des Schriftstellers hin in weichen Lehnstühlen saßen, merkten sie überrascht, daß sie im Lichte des kleinen Fensters waren, während sie in diesem niedrigen, grünen Zimmer, zwischen den vielen Büchern das Gesicht des Schriftstellers kaum sahen, so heimtückisch war das Gegenlicht.

»Wir kommen in der Sache Schmied«, fing der Alte an, »der über Twann ermordet worden ist.«

»Ich weiß. In der Sache Doktor Prantls, der Gastmann ausspionierte«, antwortete die dunkle Masse zwischen dem Fenster und ihnen. »Gastmann hat es mir erzählt.« Für kurze Momente leuchtete das Gesicht auf, er zündete sich eine Zigarette an. Die zwei sahen noch, wie sich das Gesicht zu einer grinsenden Grimasse verzog:

»Sie wollen mein Alibi?«

»Nein«, sagte Bärlach.

»Sie trauen mir den Mord nicht zu?« fragte der Schriftsteller sichtlich enttäuscht.

»Nein«, antwortete Bärlach trocken, »Ihnen nicht.«

Der Schriftsteller stöhnte: »Da haben wir es wieder, die Schriftsteller werden in der Schweiz aufs traurigste unterschätzt!«

Der Alte lachte: »Wenn Sie's absolut wissen wollen: wir haben Ihr Alibi natürlich schon. Um halb eins sind Sie in der Mordnacht zwischen Lamlingen und Schernelz dem Bannwart begegnet und gingen mit ihm heim. Sie hatten den gleichen Heimweg. Sie seien sehr lustig gewesen, hat der Bannwart gesagt.«

»Ich weiß. Der Polizist von Twann fragte schon zweimal den Bannwart über mich aus. Und alle andern Leute hier. Und sogar meine Schwiegermutter. Ich war Ihnen also doch mordverdächtig«, stellte der Schriftsteller stolz fest. »Auch eine Art schriftstellerischer Erfolg!« Und Bärlach dachte, es sei eben die Eitelkeit des Schriftstellers, daß er ernst genommen werden wolle. Alle drei schwiegen, und Tschanz versuchte angestrengt, dem Schriftsteller ins Gesicht zu sehen. Es war nichts zu machen in diesem Licht.

»Was wollen Sie denn noch?« fauchte endlich der Schriftsteller.

»Sie verkehren viel mit Gastmann?«

»Ein Verhör?« fragte die dunkle Masse und schob sich noch mehr vors Fenster. »Ich habe jetzt keine Zeit.«

»Seien Sie bitte nicht so unbarmherzig«, sagte der Kommissär, »wir wollen uns doch nur etwas unterhalten.« Der Schriftsteller brummte, Bärlach setzte wieder an: »Sie verkehren viel mit Gastmann?«

»Hin und wieder.«

»Warum?«

Der Alte erwartete jetzt wieder eine böse Antwort; doch der Schriftsteller lachte nur, blies den beiden ganze Schwaden von Zigarettenrauch ins Gesicht und sagte:

»Ein interessanter Mensch, dieser Gastmann, Kommissär, so einer lockt die Schriftsteller wie Fliegen an. Er kann herrlich kochen, wundervoll, hören Sie!«

Und nun fing der Schriftsteller an, über Gastmanns Kochkunst zu reden, ein Gericht nach dem andern zu beschreiben. Fünf Minuten hörten die beiden zu, und dann noch einmal fünf Minuten; als der Schriftsteller jedoch nun schon eine Viertelstunde von Gastmanns Kochkunst geredet hatte, und von nichts anderem als von Gastmanns Kochkunst, stand Tschanz auf und sagte, sie seien leider nicht der Kochkunst zuliebe gekommen, aber Bärlach widersprach, ganz frisch geworden, das interessiere ihn, und nun fing Bärlach auch an. Der Alte lebte auf und erzählte nun seinerseits von der Kochkunst der Türken, der Rumänen, der Bulgaren, der Jugoslawen, der Tschechen, die beiden warfen sich Gerichte wie Fangbälle zu. Tschanz schwitzte und fluchte innerlich. Die beiden waren von der Kochkunst nicht mehr abzubringen, aber endlich, nach dreiviertel Stunden, hielten sie ganz erschöpft, wie nach einer langen Mahlzeit, inne. Der Schriftsteller zündete sich eine Zigarre an. Es war still. Nebenan begann das Kind wieder zu schreien. Unten bellte der Hund. Da sagte Tschanz ganz plötzlich ins Zimmer hinein:

»Hat Gastmann den Schmied getötet?«

Die Frage war primitiv, der Alte schüttelte den Kopf, und die dunkle Masse vor ihnen sagte: »Sie gehen wirklich aufs Ganze.«

»Ich bitte zu antworten«, sagte Tschanz entschlossen und beugte sich vor, doch blieb das Gesicht des Schriftstellers unerkennbar.

Bärlach war neugierig, wie nun wohl der Gefragte reagieren würde.

Der Schriftsteller blieb ruhig.

»Wann ist denn der Polizist getötet worden?« fragte er.

Dies sei vor Mitternacht gewesen, antwortete Tschanz.