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Herrick erwog seine Möglichkeiten. Zurück nach Malta? Das war bei günstigstem Wind vierhundert Meilen entfernt, und bei Tageslicht würden die Franzosen ihn bald gefunden haben. Also den gegenwärtigen Kurs beibehalten? Dann bestand immerhin die Chance, daß der Feind von herbeigeeilter Verstärkung in ein Gefecht verwickelt wurde oder daß sie ihm im Schutz der Nacht entkommen konnten.

«Wir drehen über Nacht bei, Kapitän Dewar«, sagte er.

Er wandte sich zum westlichen Horizont, wo der Sonnenuntergang bereits in dunklem Rot glühte, und bemerkte einen nervösen Leutnant aus Laforeys Stab in seiner Nähe. Der Mann sagte schüchtern:»Mein Admiral weiß nicht, wo er bleiben soll, seit das Schiff klar zum Gefecht gemacht hat.»

Herrick verkniff sich eine unhöfliche Entgegnung. Zu viele Ohren hörten mit. Ruhig erwiderte er:»Tut mir außerordentlich leid, aber unter dieser Unannehmlichkeit haben wir alle zu leiden.»

Eine helle Stimme schrillte vom Großmars herab:»An Deck! Zwei Linienschiffe im Westen! Sie führen die französische Flagge, Sir!»

Herrick musterte rasch sein Deck. Alle Geschütze bemannt, die drei Divisionen bereit, an ihren Masten Segel zu kürzen oder zu setzen. Die Seesoldaten kampfbereit an den Finknetzen und in den Marsen. Benbow konnte und würde sich wie schon oft tapfer schlagen. Zum Glück waren in der Mannschaft viele ausgebildete, erfahrene Seeleute. Zwei zu eins: das Kräfteverhältnis war akzeptabel.

Philomels Masten legten sich hart über, als sie sich durch den Wind kämpfte, bis sich auf dem anderen Bug ihre Segel wieder füllten. Herrick lächelte grimmig. Bolitho hatte Fregatten schon immer geliebt, er hingegen bevorzugte ein solides, kraftvolles Linienschiff unter den Füßen.

Wieder meldete sich der Midshipman:»Ein kleines Schiff greift die Franzosen an, Sir!«Seine schrille Stimme überschlug sich.»Eine Brigg, Sir!»

Herrick starrte hinauf zur Bramstenge. Der Kommandant dieser Brigg versuchte, ihn zu warnen.

«Neuer Kurs Südwest zu West!«bellte er und wartete, bis das entsprechende Signal für den Konvoi gesetzt war. Aber:»Was zum Teufel treibt Kapitän Saunders?«rief er, als Phi-lomel abfiel und mit zunehmender Geschwindigkeit auf den Feind zulief.»Rufen Sie diesen Irren zurück! Ich brauche ihn hier!»

Nach einer Weile senkte der Midshipman das Teleskop. »Philomel bestätigt nicht, Sir!»

«Verflucht, sind denn alle blind?«Dabei fiel ihm Bolitho ein, und er schämte sich.»Ändern Sie trotzdem den Kurs, Kapitän Dewar«, fügte er hinzu.

Nach der geringfügigen Kursänderung lagen die beiden Handelsschiffe praktisch querab in Benbows Lee. In dieser Position waren sie geschützter, wenn der Feind seine volle Stärke zeigte.

Laforeys Leutnant erschien, und Herrick funkelte ihn an.»Was gibt's jetzt schon wieder?»

Der Leutnant betrachtete die Stückmannschaften, die sandbestreuten Decks, die aufgepflanzten Bajonette der Seesoldaten.»Mit den besten Empfehlungen von Sir Marcus, Sir…»

Herrick hatte einen Einfall.»Sagen Sie meinem Steward, er soll dem Admiral eine Flasche vom besten Portwein geben. «Als der Leutnant zur Poop hastete, rief er ihm hinterher:»Und noch eine, wenn's sein muß!«Er warf De-war einen Blick zu.»Damit ist ihm wohl das Maul gestopft.»

Vom östlichen Horizont breitete sich die Dunkelheit aus wie ein riesiger Mantel; selbst die Wellenkämme schienen zu schrumpfen, als aus Männern Schatten wurden.

Doch das sporadische Geschützfeuer hielt an: der kurze, scharfe Knall der leichteren englischen Kanonen, gefolgt vom zornigen Brüllen schwerer französischer Geschütze.

Kapitän Dewar nahm von seinem Bootsführer ein Glas Brandy entgegen und sah, daß der Admiral seinem Beispiel folgte.

«Wer sich mit diesen Brocken einläßt, muß ein tapferer Mann sein, Sir. «Der Brandy brannte auf Herricks vom Salz aufgesprungenen Lippen. Es waren zwar mehrere Briggs in diesem Seegebiet gemeldet, doch insgeheim wußte er, wer da alle Vorsicht in den Wind geschlagen hatte, um ihn zu warnen.

«Beim ersten Tageslicht greifen wir an«, sagte er langsam und eindringlich — wie ein Versprechen.

Bolitho zog den Kopf zwischen zwei Decksbalken ein. Das Orlop wirkte mit seinen kreisenden Laternen und tanzenden Schatten nach den langen, offenen Batteriedecks über ihm fast menschenleer. Tusons Assistent umstand mit seinen Gehilfen den improvisierten Tisch, auf dem der Arzt bald seine blutige Arbeit verrichten würde. Frisch geschrubbte Bottiche für die amputierten Gliedmaßen mahnten grimmig an das ihnen allen Bevorstehende.

Carcaud überprüfte seine Instrumente, die im Licht der schwankenden Laternen matt blitzten. Wie die meisten Männer, denen Bolitho auf seinem rastlosen Inspektionsgang begegnet war, wich auch er seinem Blick aus. Sie schienen sich in seiner Gegenwart unsicher zu fühlen und sahen ihn lieber bei seinen Offizieren auf dem Achterdeck.

An der Tür zum Krankenrevier blieb Bolitho stehen und wartete, bis Tuson von seinen Vorbereitungen aufsah. Es roch nach Verbänden und peinlicher Sauberkeit. Der im Augenblick einzige Patient lugte aus seiner Koje: Midship-man Estridge machte sich trotz seines Beinbruchs nützlich; Tuson ließ ihn im Liegen Binden wickeln.

Bolitho nickte ihm zu und sagte dann zum Arzt:»In einer Stunde wird es hell.»

Tuson musterte ihn freudlos.»Wie geht's dem Auge, Sir?»

Bolitho zuckte die Achseln.»Es war schon schlechter. «Für die seltsame Tatsache, daß ihn Gefahr und Tod diesmal völlig kalt ließen, fand er keine Erklärung. Er war auf jedem Deck gewesen und hatte sich allen gezeigt. Wenigstens hier unten, in diesem Raum, den er sonst so fürchtete, hatte er erwartet, Angst zu verspüren. Doch er empfand nur Erleichterung. Wann war er jemals vor einem Gefecht so gleichgültig gewesen? Oder hatte er schon resigniert?

Tuson schaute zur niedrigen Decke auf, die fast sein weißes Haar streifte.»Das Schiff ist so leise.»

Bolitho wußte, was er meinte. Normalerweise verteilten sich die Geräusche der Männer bei ihrer Arbeit, beim Essen und dem täglichen Dienst über das ganze Schiff. Doch seit sie klar zum Gefecht gemacht hatten, kamen alle Geräusche von oben, konzentrierten sich um die Geschütze hinter den noch verschlossenen Stückpforten. Bald würden die Rohre so heiß sein, daß kein Mann es mehr wagen konnte, sie mit bloßen Händen zu berühren.

Die Geräusche von Wind und See klangen hier unten erstickt. Das Schwappen des Bilgenwassers, das gelegentliche Knarren einer Pumpe wirkten gespenstisch. Und seit Einbruch der Dunkelheit war auch der ferne Kanonendonner verstummt. Bolitho kam es vor, als wären sie allein.

Tuson beobachtete ihn. Ihm war bereits aufgefallen, daß Bolitho ein frisches Hemd und Halstuch angelegt hatte und am Uniformrock die glitzernden Epauletten mit den beiden silbernen Sternen trug. Er sann darüber nach. War es Bo-litho denn gleichgültig, daß er ein auffallendes Ziel bot? Wollte er sterben? Oder sorgte er sich so, daß ihm seine eigene Sicherheit nebensächlich vorkam? Er war barhäuptig, sein schwarzes Haar glänzte im zuckenden Lampenschein, und nur die eine Locke, die, wie Tuson besser als jeder andere wußte, eine gräßliche Narbe verbarg, begann zu ergrauen. An Deck würde Allday ihm dann Hut und Degen reichen. Diese stumme kleine Zeremonie war im Geschwader schon fast zur Legende geworden.

«Ich habe Kapitän Inch nach vorn verlegt, Sir«, sagte Tuson.»Dort ist es zwar nicht so bequem — «, kurz musterte er den leeren Operationstisch, um den seine Leute standen oder saßen wie Aasvögel,»aber er ist da besser aufgehoben.»

Die weißen Beine eines Fähnrichs erschienen auf der Leiter.»Empfehlung von Kapitän Keen, Sir Richard, und.»

Bolitho nickte. Das war der kleine Hickling, der ihm, wenngleich ahnungslos, geholfen hatte, Zenoria in Malta vom Schiff zu schmuggeln.»Danke, ich komme. «Er warf dem Arzt einen langen Blick zu. Erst später fiel Tuson auf, daß er in Bolithos Augen keinen Makel gesehen hatte.»Kümmern Sie sich gut um die Leute.»