Vom Vorschiff kam der Ruf:»Sieben Faden!«[8]
«Jesus«, sagte Javal leise.
Besorgt rief der Master herüber:»Es wird hier sehr schnell flach,
Sir!»
«Danke, das weiß ich auch«, antwortete Javal böse.»Achten Sie lieber aufs Ruder!»
«Fünf Faden!«sang der Lotgast aus. Es klang wie ein Grabgesang.
«Ich muß nach Steuerbord ausweichen, Sir«, murmelte Javal so widerwillig, als zöge er sich die Worte aus der Kehle.
Bolitho blickte ihn an und wurde dabei gewahr, daß Menschen und Gegenstände an Deck im ersten bleichen Morgenlicht Form und Wirklichkeit gewannen.»Tun Sie, was Sie müssen, Captain Javal«, sagte er knapp und wandte sich um. Er war genau so deprimiert wie der Kommandant.
«Vier Faden!»
Bolitho verkrampfte die Hände auf dem Rücken und schritt nach achtern. Die Fregatte segelte in nur fünfundzwanzig Fuß tiefem Wasser. Jede Minute mußte sie Grundberührung haben. Über seine Schulter sah er das Land frech und böse nach dem Bugspriet greifen.
«An die Leebrassen!«Füße trappelten über das Deck.
«Steuerbordruder!«Unter dem Quietschen der Taljen kamen die Rahen langsam und knarrend herum; die Buzzard wandte sich wieder der offenen See zu.
«Steuern Sie genau Ost«, sagte Javal rauh.»Und bleiben Sie dabei so dicht unter Land, wie Sie es riskieren können.»
«Zehn Faden!»
Bolitho beobachtete das Land, das jetzt an Backbord vorbeiglitt, und die undeutliche weiße Brandung, wo der Wind die See in Höhlen und kleine Buchten drückte.
«An Deck! Fremdes Segel in Luv voraus! Rundet die Landzunge!»
Javal atmete heftig ein.»Mr. Ellis, Backbordbatterie ausrennen!«Doch gleich darauf rief er scharf:»Befehl belegt!«Sein Gesicht leuchtete hell auf in einem roten Schein, der drüben an Land aufstieg.
«Klar zum Segelbergen!«Und zu Bolitho:»Der Schoner, bei Gott! Mears hat ihn!»
Auch ohne Glas konnte Bolitho das niedrige Fahrzeug ausmachen, das unter seinen breit ausladenden Segeln von Land freikam. Hinterm Heck unterschied er zwei dunkle Schemen: die Boote der Buzzard, im Schlepp. Am Vormast dippte eine Laterne zum Zeichen, daß die Eroberung geglückt war. Vielleicht fürchtete Mears, daß er wegen der Verspätung und weil er vorher keine Gelegenheit zum Signalisieren gehabt hatte, mit einer Breitseite statt mit Hurrarufen begrüßt werden könnte.
«Wir gehen auf den anderen Bug«, rief Javal,»mit Kurs Süd zu West, bis wir mehr Raum gewonnen haben. «Er sah zu Bolitho herüber, der bei den Netzen stand.»Sie werden möglichst rasch zum Geschwader zurückwollen, Sir?»
«Ja.»
Bolitho ging den Matrosen aus dem Weg, die zum Schrillen der Bootsmannspfeifen auf Stationen rannten. Es war vorüber, und, soweit er sagen konnte, ohne daß ein Schuß gefallen war. Er merkte, daß er innerlich zitterte, als wäre er dabeigewesen.
Als die Buzzard auf ihrem neuen Kurs stark überholte, sah Bo-litho den Schoner in ihrem Kielwasser folgen; seine Leereling berührte beinahe die Wasserlinie. Er mußte tatsächlich schwer beladen sein.
«Drehen Sie bei, sobald Sie können, Captain«, befahl er kurz.»Signalisieren Sie Ihrem Leutnant, er soll auf Rufweite herankommen.»
Javal sah ihn zweifelnd an.»Aye, Sir. Wenn Sie meinen…»
Doch nach einem raschen Blick in Bolithos Gesicht sagte er nichts weiter.
Langsam trat Bolitho wieder an die Wanten und achtete nicht auf die Vorbereitungen zum Beidrehen. Er hörte nicht einmal das Quietschen der Blöcke, als die Signalflaggen zur Rah stiegen und im Wind auswehten. Er sah nur die Boote im schäumenden Kielwasser des Schoners: Die Jolle war nicht dabei.
Leutnant Mears hatte keine Lust, seine Meldung vom Deck des gekaperten Schoners herüberzubrüllen. Er ließ sich die kurze Strek-ke bis zu der schwer im starken Seegang rollenden Buzzard im Kutter rudern, der jetzt, an den Rüsten der Fregatte festgemacht, wie ein Delphin auf und ab sprang.
In der Achterkajüte klangen die Geräusche der See gedämpft, wie das Dröhnen der Brandung in einer tiefen Grotte.
Die Hände auf dem Rücken zusammengepreßt, den Kopf unter den niedrigen Decksbalken gesenkt, hörte Bolitho zu, wie Mears, noch etwas außer Atem, seine Geschichte erzählte.
«Wir ruderten wie geplant zum Landarm der Bucht, Sir. Dann trennten wir uns. Ich dirigierte mein Boot zur Seeseite des Schoners, und Mr. Booth fuhr mit seinem unter dessen Bugspriet durch zur anderen Seite. Zweifellos hat der Kapitän schlechteres Wetter erwartet und ist deshalb zur Nacht vor Anker gegangen. Unsere Befürchtung, daß er die Buzzard gesichtet hatte, war unbegründet.
«Und die Jolle?«fragte Bolitho.
Mears rieb sich die Augen.»Ihr Leutnant hatte Befehl, zur Westseite des Landvorsprungs pullen zu lassen und dort an Land zu gehen. Falls die Dons von Land Hilfe herbeigerufen hätten, sollte Mr. Pascoe sie aufhalten.»
«Sie haben verdammt lange gebraucht, Toby«, fuhr Javal dazwischen.
Lässig hob der Leutnant die Schultern.»Die erste Phase klappte gut. Der Schoner hatte bloß eine Ankerwache, und ehe die auch nur rufen konnte, waren wir schon an Bord. Keine Enternetze, kein Drehgeschütz — die sind vor Schreck fast krepiert. «Er hielt inne; jetzt erst wurde er die Spannung im Raum gewahr.»Wir warteten, daß die Jolle um die Landspitze biegen und wieder zu uns stoßen würde. Aber sie kam nicht, und ich schickte Mr. Booth mit dem
Kutter auf Suche. «Hilf los breitete er die Arme aus.»Da es bald hell werden mußte und jede Minute das Risiko erhöhte, wollte ich Ihnen nicht eher signalisieren, als bis ich wußte, was mit dem Landungskommando geschehen war.»
Javal nickte grimmig.»Ganz richtig, Mr. Mears. Mancher hätte die paar Leute gleich im Stich gelassen, um die Hauptabteilung in Sicherheit zu bringen.»
«Und was hat Ihr Kutterbesatzung vorgefunden, Mr. Mears?«fragte Bolitho.
«Es hatte geregnet, Sir. «Mears blickte aus den mit Salzstreifen und Sprühwasser bedeckten Heckfenstern.»Wie jetzt. Booth fand die auf Strand gezogene Jolle; ihr Rumpf war eingeschlagen, und einige tote Matrosen lagen daneben. Einer lag etwas weiter entfernt in den Dünen. Alle waren mit Säbeln niedergehauen worden, Sir. «Er suchte unter seinem Uniformrock.»Das hier hat Mr. Booth gefunden. Ich verstehe es nicht. Das ist doch bestimmt ein Admi-ralsdegen.»
Er brach ab, denn Bolitho riß ihm den glitzernden Griff aus den Fingern und hielt ihn beim Fenster ins Licht. Die Klinge war auf halber Länge zerbrochen wie ein dürrer Ast. Wieder sah er die Szene vor sich, als wäre es gestern geschehen: Vizeadmiral Sir Lucius Broughton, der auf dem zerschossenen Achterdeck seines Flaggschiffes stand, überreichte dem erstaunten Adam Pascoe seinen kunstvoll gearbeiteten Degen und knurrte dazu:»So ein verdammter Midshipman, der mit dem Dolch gegen ein Bajonett angeht, hat ein Recht darauf. Und außerdem — ein Leutnant muß schließlich anständig aussehen — eh?«[9]
«Er hat auch mal einem Admiral gehört«, sagte Bolitho, und seine Stimme klang ihm selbst fremd.»Es ist Mr. Pascoes Degen. «Er betastete die dunkle Stelle am Griff: Blut und Sand.»Freiwillig hat er sich nicht davon getrennt.»
Alle starrten ihn an. Schließlich sagte Mears:»Mr. Booth hat gesucht, solange er konnte, Sir. Es gab Hufspuren am Strand, die landeinwärts führten. Mr. Booths kleine Abteilung konnte jeden Moment angegriffen werden, und ich hatte ihm ausdrücklich befohlen, sofort zurückzukommen, wenn.»
«Er hat den Leutnant nirgends gefunden?»
Mears schüttelte den Kopf.»Nirgends, Sir. Und Ihren Boots-steurer auch nicht.»
«Natürlich. «Bolitho starrte aus dem salzverkrusteten Fenster.»Allday hätte ihn auch nicht allein gelassen«, murmelte er.
«Sir?»
Er wandte sich zu ihnen um.»Und der Schoner?»
Mears nahm sich zusammen.»Sie hatten recht, Sir. Bis zum Schandeck voll Pulver und Munition. Und — «, er blickte bedeutsam in Javals grimmiges Gesicht — ,»dazu zwei der besten Kanonen, die mir je vor Augen gekommen sind. Belagerungsgeschütze, wenn ich nur ein bißchen was davon verstehe, und frisch eingeschossen.»