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Bolitho las weiter; und mit jeder Zeile begriff er mehr, wuchs seine Verzweiflung. Niemals war wirklich beabsichtigt gewesen, St. Clar länger zu halten als nötig, um den Feind von Toulon abzulenken. Pomfret hatte die Kastanien aus dem Feuer holen sollen, weiter nichts. Wäre die Invasion von Toulon aus erfolgreich gewesen — nun ja. Aber wie die Dinge lagen, blieb Lord Hood jetzt keine Zeit mehr für Pomfrets Sorgen — er hatte seine eigenen. Die Order enthielt genaue Anweisungen für die Zerstörung der Hafeneinrichtungen vor der Räumung; doch Bolitho blieb an dem letzten Teil des Textes hängen — sein Herz erstarrte bei dem eiskalten Satz:»In Anbetracht des beschränkten Schiffsraums und der Nähe der feindlichen Streitkräfte ist keinerlei Evakuierung von Zivilisten möglich.»

Bolitho starrte auf die säuberliche Schrift, bis sie vor seinen Augen zu tanzen begann. So mußte Pomfret hier gesessen und den Befehl gelesen haben. In Zukunft würde er der Mann sein, der die königstreuen Bürger von St. Clar ihrem Schicksal überlassen hatte, einer mörderischen Vergeltung, zu schrecklich, um sie sich auszudenken. Wieder wandte sich Bolitho um und blickte in des Admi-rals Gesicht.»Und er hatte keine Schuld«, sagte er laut.»Herrgott im Himmel, es war von Anfang an nur eine Finte und hatte überhaupt nichts zu bedeuten!«Mit einem Fluch knüllte er das Papier zusammen und schleuderte es durch den Raum.

Er erinnerte sich an Herricks Erstaunen, als Pomfret damals das Glas Wein abgelehnt hatte. Auch damit war es jetzt vorbei. In immer schrecklicherer Deutlichkeit sah er, wie unheilbar Pomfret ruiniert war.

Während dieser ganzen Zeit, als Menschen starben und Familien von den Trümmern ihrer Häuser zerschmettert wurden, hatten zwei Männer tatenlos zugesehen und sich geweigert zu handeln: Unten im Erdgeschoß hatte Dash auf einen Befehl gewartet, der ihm die Verantwortung abnahm; und was Cobban getan hatte, wußte Gott allein — vielleicht lebte er auch gar nicht mehr.

Beim Aufstehen erblickte sich Bolitho in einem goldgerahmten Spiegel. Seine Augen glühten, und tiefe Linien der Erschütterung zogen sich um seinen Mund. Er war sich selbst ganz fremd. »Ich habe das Ganze angefangen — nicht er«, murmelte er. Pomfret auf seinem Bett stöhnte, Speichel rann ihm über die Wange. Draußen stand Fanshawe müßig an einem Flurfenster.»Kommen Sie herein!«Der Flaggleutnant fuhr herum, als hätte jemand auf ihn geschossen. Bolitho blickte ihn unbewegt an, und als er sprach, war seine Stimme eiskalt.»Kümmern Sie sich um den Admiral und lassen Sie das Zimmer saubermachen!«Nervös blickte Fanshawe zur Tür.»Die Dienerschaft ist geflohen,

Sir.»

Bolitho packte ihn beim Ärmel.»Dann machen Sie eben selbst sauber. Wenn ich zurückkomme, ist es in Ordnung! Ich schicke Ihnen meinen Bootsmann, der kann Ihnen helfen, aber sonst kriegt kein Mensch den Admiral so zu sehen, verstanden ?«Heftig schüttelte er den Leutnant am Arm, um seine Worte zu unterstreichen.»Unsere Leute wissen davon nichts. «Er senkte die Stimme.»Und sie sind von uns abhängig, Gott helfe ihnen!»

Ohne ein weiteres Wort ging er die Treppe hinunter. Der Kopf wirbelte ihm; kaum vernahm er das Dröhnen der Geschütze rings um die Stadt.

Er trat ins Freie und machte eine Runde um das Haus, damit sich seine Gedanken sammeln konnten. Als er wieder in das getäfelte Arbeitszimmer trat, warteten die anderen bereits.

Labouret saß in einem Sessel, das Kinn war ihm auf die Brust gesunken; aber als Bolitho durch die Tür trat, sprang er auf und ergriff stumm seine beiden Hände.

Bolitho blickte ihn an; nur zu deutlich sah er den Schmerz und die Verzweiflung in den dunklen Augen des Bürgermeisters.»Ich weiß, Labouret«, sagte er leise.»Glauben Sie mir, ich verstehe alles.»

Trübe nickte Labouret.»Es hätte ein großer Sieg werden können, m'sieur.«Er senkte die Augen, aber Bolitho hatte schon gesehen, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen.

Hauptmann Ashby grinste:»Es freut mich, daß Sie wieder hier sind, Sir, mehr, als ich sagen kann!»

Bolitho blickte sich im Zimmer um.»Wo ist Colonel Cobban?»

Ein junger Infanterie-Hauptmann sagte rasch:»Er hat mich geschickt, Sir. Er, äh, konnte nicht kommen.»

«Spielt auch keine Rolle«, sagte Bolitho kalt. Der spanische Oberst saß in demselben Sessel wie damals; seine Uniform war so sauber und gepflegt, als käme er geradewegs von der Parade. Er nickte Bolitho kurz zu und starrte dann wieder auf seine Stiefel.

Mühsam sagte Kapitän Dash:»Äh — wenn Sie anfangen wollen,

Bolitho?»

Bolitho wandte sich den anderen zu. Dash hatte noch nicht offiziell bekanntgegeben, daß er Bolitho die Befehlsgewalt übertragen hatte.»Viel Zeit bleibt nicht mehr«, sagte er gelassen.»Wir beginnen unverzüglich mit der totalen Räumung. «Sie sahen einander an. Überrascht? Erleichtert? Schwer zu sagen. Er fuhr fort:»Wir geben ein generelles Signal an das gesamte Geschwader, damit es Boote schickt. Zuerst die Verwundeten — sind es viele?»

«Über vierhundert, Sir«, meldete ein Infanterist.

«Schön. Sie werden unverzüglich an Bord der Erebus und der Weiland geschafft. Captain Dash regelt den Einsatz unserer Matrosen, die bei der Einschiffung helfen. «Er blickte kurz zu Dash hinüber; halb und halb erwartete er einen Einwand, aber Dash nickte bloß und murmelte:»Wird sofort erledigt.»

Bolitho sah ihm nach, als er hinausging. Mein Gott, dachte er müde, der ist froh, daß er hier weg kann.

Dann vergaß er Dash, als Labouret leise fragte:»Was soll ich meinen Leuten sagen, capitaine? Wie kann ich ihnen noch ins Gesicht sehen?«Offenbar wußte er, was in Pomfrets Order stand, oder er konnte es sich denken.

Bolitho sah ihn an.»Bis Sie festgestellt haben, wie viele Ihrer Mitbürger die Stadt mit uns verlassen wollen, werden wir mit der Einschiffung der Verwundeten fertig sein, monsieur.«Er sah, wie die Lippen des Franzosen zitterten, und fuhr rasch fort:»Alle, die wegwollen, fahren mit. Ich kann Ihnen nicht viel versprechen, mein Freund, aber wenigstens werden sie ihres Lebens sicher sein.»

Sekundenlang starrte Labouret ihn an, als wolle er ein Geheimnis enträtseln. Dann erwiderte er erstickt:»Das werden wir Ihnen nie vergessen, capitaine! Niemals!«Damit ging er.

Dann fuhr Bolitho fort:»Die Harvester wird bald einlaufen, sie hat die Sträflinge an Bord. Auch die müssen auf die beiden Transporter verteilt werden.»

Jetzt fuhr der spanische Oberst aus seinem Sessel auf.»Was reden Sie da? Verwundete und elende Bauern und obendrein noch Sträflinge? Was aber wird aus meinen Pferden, capitano? Wie kann ich die auf zwei Schiffen unterbringen?»

Zögernd schloß sich der Infanteriehauptmann seiner Frage an:

«Und die Geschütze, Sir?»

Bolitho blickte durch die offene Tür. Eben führte ein Seesoldat Allday die Treppe hinauf zu Pomfrets Zimmer.»Die müssen eben hierbleiben, meine Herren«, erwiderte er kühl.»Zuerst kommen die Menschen. «Sie starrten ihn an, doch er blickte ihnen in die Augen, bis sie wegsahen.»Dieses eine Mal kommen die Menschen zuerst.»

Der Oberst stand auf und ging zur Tür. Heiser sagte er über die Schulter zurück:»Ich halte Sie für einen Narren, capitano. Aber einen tapferen Narren.»

Als draußen sein Pferd hinweggetrabt war, sagte Bolitho:»Jetzt zeigen Sie mir unsere Infanteriestellungen. Diese Operation muß absolut glatt und ohne Panik ablaufen, wenn sie klappen soll.»

Eine halbe Stunde später gingen sie, alle außer Ashby. Bolitho fühlte sich völlig ausgelaugt.»Nun, Ashby, haben Sie noch Fragen?»

Ashby zog sich den Uniformrock glatt und rückte an seinem Koppel. Dann sagte er:»Ich hatte noch keine Zeit, es Ihnen zu sagen, Sir. Aber Miss Seton ist noch hier in St. Clar.»

«Was?«Bolitho starrte ihn entsetzt an.

«Ich habe versucht, sie an Bord der Vanessa zu bringen, Sir«, erklärte Ashby mit unglücklicher Miene.»Aber sie wollte unbedingt bleiben. Sie hilft im Lazarett. «Seine Augen glänzten in dem staubigen Sonnenlicht.»Sie ist ein Beispiel und Vorbild für alle, Sir.»