Allday sah, daß der Kapitän noch immer an der Luvreling hin und her ging, ohne Rock, das Hemd bis zur Brust aufgeknöpft, sein dunkles Haar im Nacken zusammengebunden. Der Kapitän war schwerer zu durchschauen, doch es beruhigte Allday, ihn wieder am gewohnten Platz zu sehen. Allday kannte das Ansehen der Familie Bolitho wahrscheinlich besser als alle anderen. In Falmouth hatte er gehört, was man in den Kneipen über die Bolithos redete. Ja, er kannte sogar das Elternhaus des Kapitäns. Merkwürdig, sich vorzustellen, daß der Bruder auf der anderen Seite kämpfte. Man sagte, daß Bolithos Bruder aus der Navy desertiert sei. Ein Verbrechen, für das es nur eine Strafe gab: die Schlinge um den Hals.
Allday fuhr aus seinen Gedanken auf, denn Ferguson kam vom Hauptdeck herauf. Er wirkte befangen. Durch seine sauberen Sachen stach er auffällig von den müden und verschwitzten Matrosen ab, die seine Gefährten gewesen waren. Ferguson rutschte einen Moment nervös hin und her, ehe er sagte:»Glaubst du, daß es wieder zu Kämpfen kommt?»
Pochin wandte ihm den Kopf zu und knurrte:»Du solltest es wissen. Du sitzt doch an der Quelle!»
Allday griente.»Achte nicht auf Nick. «Leiser setzte er hinzu:»Hat sich Onslow wieder an dich herangemacht?«Er sah, daß Fergusons blasse Augen zuckten.
«Nicht sehr. Er verbringt bloß manchmal seine Freiwache mit mir.»
«Nun, ich habe dich gewarnt, Bryan. «Allday sah ihn fest an.»Ich habe mit keiner Seele an Bord darüber gesprochen, aber ich bin überzeugt, daß er eine Menge mit Mathias' Tod zu tun hat. «Da Ferguson ungläubig das Gesicht verzog, fügte er scharf hinzu:»Ich bin mir dessen sogar sicher.»
«Warum sollte er es getan haben?«Ferguson versuchte zu lächeln, aber sein Mund blieb schlaff.
«Er taugt nichts. Er kennt nur sich. «Seine Hand glitt über den geschnitzten Ankerbalken.»Ich hab schon früher ein paar von seiner Sorte getroffen, Bryan. Sie sind gefährlich wie Wölfe.»
«Er wird keine Unruhe anzetteln«, sagte Ferguson.»Das wagt er nicht.»
«Nein? Und warum fragte er dich dann wegen der Kajüte aus? Er wartet bloß seine Zeit ab. Solche Brüder haben große Ausdauer.»
«Der Kapitän will keine Unruhe. «Fergusons hastige Handbewegungen verrieten, wie nervös er war.»Er hat Mr. Vibart gesagt, daß er sich gut um die Männer kümmern soll, und wie er sie behandelt sehen will.»
Allday seufzte.»Da hast du es. Du erzählst sogar mir, was du gehört hast. Wenn du nicht aufgeknüpft werden willst, dann behalte lieber für dich, was du weißt.»
Ferguson starrte ihn an.»Das brauchst du mir nicht zu sagen. «Er kniff verärgert den Mund zusammen.»Du bist genau wie die anderen. Du beneidest mich um meinen Posten.»
Allday wandte sich ab.»Mach, was du willst. «Er wartete, bis er Ferguson fortgehen hörte. Dann drehte er sich um, gerade als Onslow vom Großmast aus Ferguson in den Weg trat, grinste und ihm auf die Schulter klopfte.
«Was meinst du?«brach Pochins harte Stimme in seine Gedanken,»meinst du, daß Onslow richtig handelt?«Es klang beunruhigt.»Wenn es noch Unruhe auf diesem Schiff gibt, sind wir alle mit drin und müssen Farbe bekennen.»
«Du wärst schön dumm, wenn du auf so einen hören würdest. «Allday versuchte, seinen Worten Gewicht zu verleihen.»Außerdem wird der Kapitän sowieso kurzen Prozeß mit ihm machen, wenn er etwas versuchen sollte.»
«Vielleicht. «Pochin wiegte zweifelnd den Kopf.»Unter einer französischen Breitseite sterben, ist eins, aber ich will mein Leben auch nicht für solche Kerls wie Onslow aufs Spiel setzen.»
Die Pfeifen trillerten, und die Matrosen machten sich wieder an die Arbeit. Allday hob nicht die Augen, als Bootsmann Quintal und Bootsmannsmaat Josling heraufkamen, um die Back zu inspizieren.»Ich habe eben gesehen, daß die alte Cassius signalisiert hat, Mr. Quintal«, sagte Josling.
«Aye, wir schwenken gleich in unser Patrouillengebiet ein«, antwortete Quintal mit tiefer Stimme.»Wird sich hinziehen, die Sache. Ich denke, Sie müssen die Leute immer gut beschäftigt halten. Nichts ist der Disziplin so abträglich wie zu viel freie Zeit. «Das Übrige konnte Allday nicht verstehen, weil die beiden zum Bugspriet gingen. Aber er hatte genug gehört.
Die Phalarope würde also wieder allein sein, außerhalb der Sicht des Flaggschiffs. Der Bootsmann hatte recht. Die Hitze und die Eintönigkeit einer Patrouillenfahrt konnten gut und gern den Boden schaffen, auf dem Onslow Unruhe säen würde, wenn er Gelegenheit dazu fand. Er schielte auf seine stummen Gefährten, jeder war anscheinend in seine Arbeit vertieft, und doch dachte jeder bestimmt an den grünen Streifen Land, den sie vor kurzem hinter sich gelassen hatten. Kein Matrose hatte den Fuß an Land gesetzt. Einige waren seit Jahren nicht von Deck gekommen. Es überraschte kaum, wenn Leute wie Onslow eine willige Zuhörerschaft fanden.
Allday legte die Hand über die Augen und blickte zur Kimm. Der Zweidecker kam ihm schon kleiner vor. Der Rumpf der Cassius verschwamm im Hitzedunst, der sich unter dem klaren Himmel ausbreitete. Ihre Segel hatten sich zu einer einzigen leuchtenden Pyramide zusammengeschoben, und während er hinüberblickte, sank sie immer tiefer unter den glitzernden Horizont. Noch eine Stunde, und die Cassius würde völlig verschwunden sein. Und danach, überlegte Allday nüchtern, konnte man niemandem mehr trauen.
Tief unter der Back, auf der Allday gedankenverloren saß, lag das Kabelgatt der Phalarope. Im Hafen war es ein geräumiger, leerer Raum, doch jetzt, während die Fregatte lautlos über das ruhige Wasser glitt, füllten es die dicken Ankertrossen bis zu den Decksbalken. Ducht auf Ducht türmten sich die schweren, vom Salz hart gewordenen Trossen, und ihr Geruch vermischte sich mit dem sauren Gestank der Bilge und den Gerüchen nach Teer und Hanf. Starke, senkrechte Ständer beiderseits der geschwungenen Bordwand hielten das Kabelgut von den Spanten ab, damit man jederzeit an die Außenhaut herankonnte. Diese Zimmermannsgänge, wie sie genannt wurden, liefen unterhalb der Wasserlinie um den gesamten Rumpf, damit die Außenhaut inspiziert und notfalls während eines Gefechts ausgebessert werden konnte. Sie waren kaum breiter als ein Mensch und gewöhnlich völlig finster. Doch jetzt, während die Bugwelle träge um die Planken platschte und Ratten auf ihrer endlosen Futtersuche hin und her huschten, fiel aus einer kleinen, abgeblendeten Laterne ein gespenstisches Licht auf die aufgetürmten Kabel. Verschwommen wurde es auf die Gesichter der Männer zurückgeworfen, die sich in dem schmalen Gang drängten.
Onslow hob die Laterne höher und musterte die wartenden Matrosen. Er brauchte sie nur zu zählen, um sicherzugehen, daß sich niemand eingeschlichen hatte. Er kannte jedes Gesicht, jeden Namen.»Wir müssen schnell machen, Jungs. Sie vermissen uns, wenn wir zu lange weg sind.»
«Gebt acht, was er sagt«, e rtönte wie ein Echo Pooks Stimme.
Onslows Zähne schimmerten in der Dunkelheit. Seine Beine zitterten vor Aufregung, als hätte er auf leeren Magen Rum getrunken.»Wir drehen von den anderen Schiffen ab. Ich glaube, es ist bald soweit. Dauert nicht mehr lange, bis wir unseren Plan ausführen können. «Er hörte Beifallsgemurmel und grinste noch stärker. Daß er unseren Plan statt meinen Plan sagte, trieb die Männer an wie ein Peitschenhieb.»Nach dem, was mir Ferguson gesagt hat, will Bolitho nach Süden halten. Die Phalarope steht am Ende der Patrouillenkette. Also kann uns kein anderes Schiff in die Quere kommen.»
Aus der Dunkelheit fragte eine Stimme:»Aber wie sollen wir paar Leute das Schiff nehmen und. . «Pook stieß ihm in die Rippen, und der Mann ließ den Satz aufstöhnend fallen.
«Das überlaßt mir«, sagte Onslow ruhig.»Ich sage euch, wie und wann. «Sein Blick glitt über die Reihe geduckter, dunkler Gestalten: alle, die mit ihm von der Cassius gekommen waren, und einige von der Phalarope dazu. Es waren mehr, als er je zu hoffen gewagt hätte.»Wir müssen zuerst mit den verdammten Seesoldaten fertig werden. Ohne ihre roten Röcke auf dem Achterdeck geht alles ganz leicht.»