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XV Noch eine Chance

Bolitho stand im Schatten des gewaltigen Großmastes und beobachtete das geschäftige Treiben rund um das Schiff. Es war jetzt Oktober, und seit zwei Monaten lag die Trojan in English Harbour, Antigua, dem Hauptquartier des Karibischen Geschwaders. Eine Menge Schiffe waren hier versammelt und warteten auf Reparaturen und Überholung; bei den meisten sollten jedoch nur Abnutzungsschäden durch Sturm oder Alter ausgebessert werden. Die Ankunft der Trojan, deren Flagge wegen der vielen Toten auf halbmast wehte, hatte beträchtliches Aufsehen erregt. Wenn man jetzt ihre straffgespannte Takelage betrachtete, die neuen Wanten und ordentlichen Segel, die säuberlich ausgebesserten Decks, konnte man sich kaum mehr den Kampf vorstellen, der all diese Schäden angerichtet hatte.

Er beschirmte die Augen, um zur Küste hinüberzublicken: verstreute weiße Gebäude, das vertraute Bild von Monk's Hill. Eine wahre Prozession von Booten, Werftprähmen und Wasserleichtern war unterwegs, dazwischen die unvermeidlichen Händlerboote, die den unerfahrenen oder törichten Seeleuten ihre zweifelhaften Waren anboten.

An Bord hatte es eine Menge Änderungen gegeben. Neue Leute kamen von anderen Schiffen, aus England und aus den karibischen Häfen, die alle erprobt und in die Besatzung eingereiht werden sollten.

Ein Leutnant John Pointer war eingetroffen und auf Grund seines Dienstalters als Vierter Offizier eingestuft worden, wie einstmals Bolitho. Es war ein fröhlicher junger Mann mit ausgeprägtem Yorkshire-Dialekt, anscheinend tüchtig und willig.

Der junge Fähnrich Libby, dem man seinen zeitweiligen Rang wieder abgesprochen hatte, war eines schönen Morgens zum Flaggschiff gerufen worden, um sein Leutnantsexamen abzulegen. Er bestand mit Auszeichnung und war selbst der einzige, der sich über dieses Ergebnis wunderte. Anschließend wurde er gleich als Leutnant auf ein anderes Linienschiff versetzt. Sein Abschied war eine traurige Angelegenheit, sowohl für ihn wie für die anderen Fähnriche. Zwei neue waren inzwischen aus England eingetroffen, nach Bunces Ansicht» noch schlechter als nutzlos».

Von Coutts hatten sie nur gehört, daß er nach New York zurückgekehrt war. Beförderungen schienen angesichts der letzten Ereignisse unwichtig.

Auf dem Festland sollte General Burgoyne, der in den Anfangstagen der Revolution mit einigem Erfolg von Kanada aus operiert hatte, die Kontrolle über den Hudson River sicherstellen. Mit der ihm eigenen raschen Entschlossenheit war er mit etwa siebentausend Mann in das betreffende Gebiet aufgebrochen und hatte erwartet, von der New Yorker Garnison Verstärkung zu erhalten. Nun hatte dort aber jemand entschieden, daß in New York kaum genug Soldaten zur eigenen Verteidigung bereitstünden.

General Burgoyne hatte vergeblich gewartet und sich dann mit all seinen Truppen bei Saratoga ergeben.

Sofort hörte man auch wieder von größerer Aktivität der französischen Kaperschiffe, welche die militärische Niederlage ermutigte.

Die Trojan würde bald wieder in die Kämpfe eingreifen können, aber Bolitho sah keinerlei Chance, auch nur einen Zipfel der abgefallenen Kolonie zurückzugewinnen, selbst wenn Britannien die See beherrschte. Und bei stärkerer französischer Einmischung war nicht einmal das sicher.

Bolitho ging ruhelos auf und ab und beobachtete ein weiteres Händlerboot, das gerade das glitzernde Spiegelbild der Trojan passierte. Es war heiß, aber nach den vorangegangenen Monaten und den tropischen Regengüssen erschien es ihm beinahe angenehm.

Er blickte nach achtern, wo die Flagge schlaff und reglos herabhing. In der Kajüte mußte es sogar noch heißer sein als hier an

Deck.

Er versuchte, an Quinn wie an einen Fremden zu denken, den er gerade erst kennengelernt hatte. Aber in seiner Erinnerung lebte er fort als der jüngste Leutnant, der neu an Bord gekommen war, achtzehn Jahre alt und direkt vom Fähnrichslogis, so wie Libby jetzt. Dann sah er ihn wieder im Todeskampf keuchen, mit der ungeheuren Säbelwunde quer über seine Brust. Und das nach seiner ruhigen Zuversicht, seiner Entschlossenheit, gegen den Willen seines wohlhabenden Vaters Seeoffizier zu werden.

Diese letzten Wochen mußten für Quinn die Hölle gewesen sein. Er war von seinen Pflichten entbunden worden, und wenn er vorläufig auch seinen Dienstgrad behielt, so war er jetzt doch sogar dienstjünger als der neuangekommene Leutnant Pointer.

Wegen der Aktivität innerhalb des Geschwaders und der allgemeinen Erwartung stärkeren französischen Engagements hatte der Fall Quinn zunächst nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Jetzt, im Oktober 1777, wurde Quinn in Pears Kabine von einem Untersuchungsausschuß vernommen. Es war die letzte Stufe vor dem eigentlichen Kriegsgericht.

Bolitho betrachtete die anderen Schiffe, die so ruhig in diesem geschützten Hafen lagen, jedes über seinem eigenen Spiegelbild, mit aufgespannten Sonnensegeln, die Stückpforten weit offen, um auch den leisesten Hauch einzufangen. Sehr bald würden diese und auch andere Schiffe das durchmachen, was die Trojan vor den Geschützen der Argonaute durchgemacht hatte. Sie würden dann nicht mehr gegen wackere, aber schlecht ausgebildete Rebellen kämpfen, sondern gegen die Besten Frankreichs. Die Disziplin mußte gestrafft, ein Versagen konnte nicht mehr hingenommen werden. All dies ließ Quinns Chancen schrumpfen.

Bolitho wandte sich um, als Leutnant Arthur Frowd, der wachhabende Offizier, das Deck überquerte und zu ihm herüberkam. Wie Libby, so hatte auch er die begehrte Beförderung erhalten und erwartete nun seine Versetzung auf ein anderes Schiff. Obwohl der dienstjüngste Leutnant, war er doch der älteste an Jahren. In seiner prächtigen neuen Uniform, das Haar ordentlich im Nacken zusammengebunden, sah er so gut aus wie ein Kapitän, dachte Bolitho bewundernd.

Frowd fragte:»Wie, nehmen Sie an, wird es ausgehen?«Er nannte Quinn nicht einmal mit Namen. Wie viele andere, fürchtete er wahrscheinlich, mit Quinn in irgendeinen Zusammenhang gebracht zu werden.»Ich bin mir nicht sicher.»

Bolitho nestelte nervös an seinem Degengriff und fragte sich, warum es so lange dauerte. Cairns war nach achtern gerufen worden, ebenso d'Esterre und Bunce. Es war eine gräßliche Sache, ähnlich wie der Anblick der Kriegsgerichtsflagge oder wie die rituelle Prozession von Booten bei einem öffentlichen Auspeitschen oder beim Erhängen.

Er sagte:»Ich hatte auch Angst, also muß es für ihn noch viel schlimmer gewesen sein. Aber.»

Frowd sagte heftig: — »Aber, Sir, dieses kleine Wort macht den Unterschied. Jeder einfache Seemann würde schon längst von der Großrah baumeln.»

Bolitho sagte nichts, sondern wartete darauf, daß Frowd wegging, um mit dem Wachboot zu sprechen, das längsseits lag. Frowd verstand dies nicht. Wie sollte er auch? Es war schwer genug für einen jungen Mann, den Rang eines Leutnants zu erwerben. Auf dem Weg über das untere Deck war dies noch viel, viel schwerer. Frowd hatte es mit Schweiß, aber wenig Erziehung geschafft. Er mußte Quinns Versagen eher als Verrat denn als Schwäche ansehen.

Sergeant Shears marschierte über das Achterdeck und berührte grüßend seinen Hut. Bolitho sah ihn an.»Ich?»

«Ja, Sir. «Shears warf einen raschen Blick auf die Umstehenden.»Es sieht nicht gut aus, Sir. «Er senkte die Stimme zu einem Flüstern.»Mein Hauptmann machte seine Aussage, und ein Ausschußmitglied bemerkte hochnäsig: „Was weiß schon ein Marineinfanterist über Seeoffiziere!"«Wütend fügte Shears hinzu:»Ich habe noch nie solche Arroganz erlebt, Sir!»

Bolitho ging rasch nach achtern und packte dabei seinen Degengriff mit aller Kraft, um sich innerlich vorzubereiten.

Pears Salon war ausgeräumt worden, an Stelle der Möbel stand ein großer, kahler Tisch da, an dem drei Kapitäne saßen.

Andere Offiziere saßen ringsum an den Wänden, größtenteils waren sie ihm unbekannt; aber er sah auch die Zeugen: Cairns, d'Esterre und, die Hände im Schoß gefaltet, Kapitän Pears.