„Offensichtlich eine Verpflegungsluke“, folgerte Fletcher. „Eigentlich müßten die noch eine kleinere, weniger komplizierte Luke für Außeneinsätze im All haben und…“

„Nein“, widersprach ihm Conway in ruhigem, aber sehr bestimmtem Ton. „Diese Wesen würden ihr Schiff auf keinen Fall zu Außeneinsätzen verlassen. Die hätten viel zuviel Angst, vom Schiff abzutreiben und verlorenzugehen.“

Murchison blickte ihn sprachlos an, und Fletcher entgegnete ungeduldig: „Ich verstehe kein Wort, Doktor. Prilicla, hat es von den Überlebenden irgendeine emotionale Reaktion gegeben, als wir die Schleuse geöffnet haben?“

„Nein, Freund Fletcher“, antwortete der Empath. „Freund Conway strahlt so starke Emotionen aus, daß ich nicht mehr in der Lage bin, irgendwelche Gefühle der Überlebenden festzustellen.“

Der Captain starrte Conway einen Moment lang an und sagte dann verlegen: „Doktor, mein Spezialgebiet ist das Studium extraterrestrischer Mechanismen, Steuerungssysteme und Kommunikationsgeräte gewesen, und meine große Erfahrung auf diesem Gebiet hat zu meiner Berufung zum Captain dieses Ambulanzschiffs geführt. Der Grund, warum ich diesen Verschlußmechanismus so schnell bedienen konnte, ist zum Teil meiner Sachkenntnis und zum Teil purem Glück zuzuschreiben. Für Sie, Doktor, dessen Sachkenntnis auf einem vollkommen anderen Gebiet liegt, besteht also überhaupt kein Anlaß zur Verärgerung, nur weil ich…“

„Entschuldigen Sie die Unterbrechung, mein Freund“, warf Prilicla schüchtern ein, „aber er ist ja gar nicht verärgert. Freund Conway ist vielmehr erstaunt, und zwar aufs äußerste erstaunt…“

Sowohl Murchison als auch Fletcher starrten Conway an. Zwar stellte keiner der beiden die naheliegende Frage, aber er beantwortete sie trotzdem und sagte sehr ernst: „Warum greift wohl eine blinde Spezies nach den Sternen?“

Es dauerte mehrere Minuten, dem Captain begreiflich zu machen, daß Conways Theorie mit allen bekannten Fakten zusammenpaßte. Doch selbst dann war Fletcher von der Blindheit der Besatzung immer noch nicht vollkommen überzeugt. Ohne Zweifel stellten die rauhen Bereiche an der Schiffsunterseite, besonders die in der Nähe der Düsen, für ein nur über den Tastsinn verfügendes Lebewesen eine deutliche, sozusagen spürbare Warnung vor Gefahr dar. Und bei den in regelmäßigen Abständen am Rand verteilten kleineren Stellen handelte es sich wahrscheinlich um Abdeckhauben der weniger gefährlichen Lagesteuerungsdüsen. Die zahlreicheren und kleinsten Flecken aus der Substanz, die vom Untersuchungsteam zunächst für Rost gehalten worden waren, konnten durchaus in einer Art extraterrestrischer Blindenschrift geschriebene Öffnungs- oder Wartungshinweise für Einstiegsluken sein.

Conways Theorie wurde außerdem durch das völlige Fehlen durchsichtiger Materialien und besonders von Sichtfenstern gestützt, obwohl nicht auszuschließen war, daß Fenster vorhanden und nur mit abnehmbaren Metallplatten abgedeckt worden waren. Es war eine ausgezeichnete Theorie, das mußte Fletcher zugeben, aber er selbst wollte lieber an eine Schiffsbesatzung glauben, die in einem anderen Bereich des Wellenspektrums ›sehen‹ konnte, als an vollkommen blinde Wesen glauben.

„Aber warum dann die Blindenschrift?“ fragte Conway. Hierauf gab Fletcher jedoch keine Antwort, weil sich bei näherer Untersuchung ganz klar herausstellte, daß die rauhen Punkte auf den Platten und Schaltern nicht einfach nur besserem Halt dienten — denn jeder war so einzigartig wie ein Fingerabdruck.

Genau wie die Außenhaut des Schiffs bestand das Innere der Schleuse aus unlackiertem, blankem Metall. Die Schleusenkammer selbst war zwar zum aufrechten Stehen groß genug, aber die beiden unter der Innen- und Außenluke sichtbaren Öffnungsschalter befanden sich nur wenige Zentimeter über dem Boden. Man konnte auch eine ganze Anzahl kurzer, breiter Kratzer und ein paar flache Beulen sehen, als ob erst vor ziemlich kurzer Zeit irgend etwas Schweres und Scharfkantiges ein- oder ausgeladen worden wäre.

„Physiologisch gesehen könnte diese Lebensform ziemlich ausgefallen sein“, sagte Murchison. „Vielleicht ein großes Wesen mit Greiforganen auf Bodenhöhe oder aber eine körperlich kleine Spezies, deren Schiff so konstruiert wurde, daß es auch von größeren Lebewesen besucht oder benutzt werden kann. Im letzteren Fall dürfte die Bergung nicht durch xenophobische Reaktionen der Überlebenden erschwert werden, da sie ja bereits von der Existenz anderer intelligenter Lebensformen und der möglichen Rettung durch eine Gruppe von Angehörigen einer fremden Spezies wissen.“

„Das hier ist wohl eher eine Frachtschleuse, Murchison“, bedauerte Fletcher. „Und es war auch eher die Fracht, die ein so großes Gewicht hatte, als einer Ihrer extraterrestrischen Freunde — falls es die überhaupt gibt. Sind Sie bereit hineinzugehen?“

Statt einer Antwort schaltete Murchison den Helmscheinwerfer auf einen breitgefächerten Lichtstrahl um. Conway und der Captain folgten ihrem Beispiel.

Fletcher hatte bereits mit Erfolg ausprobiert, ob er mit Haslam und Chen draußen vor dem Schiff und mit Dodds auf der Rhabwar den Funkverkehr in beide Richtungen aufrechterhalten konnte, indem er den Metallrumpf mit der Helmantenne berührte — denn auf diese Weise diente der Schiffsrumpf sozusagen als verlängerte Antenne. Jetzt kniete er sich hin und drückte auf den unter der Außenluke knapp über dem Boden angebrachten Schalter.

Die Luke schloß sich, und der Captain verfuhr ebenso mit dem gleichermaßen plazierten Schalter unter der Innenluke.

Ein paar Sekunden lang geschah gar nichts, doch dann hörten sie das Zischen der in die Schleusenkammer einströmenden Atmosphäre, und sie spürten, wie ihre aufgeblähten Anzüge durch den entstehenden Außendruck ein wenig eingedrückt wurden. Als sich die Innenluke schließlich öffnete und den Blick in einen langgestreckten, dunklen und anscheinend leeren Gang freigab, drückte Murchison geschäftig auf den Knöpfen ihres Analysators herum. „Was atmen die denn?“ fragte Conway. „Einen kleinen Moment noch, ich überprüfe das lieber zweimal“, antwortete Murchison.

Auf einmal öffnete sie das Visier, lächelte und sagte: „Beantwortet das deine Frage?“

Als er das eigene Helmvisier hob, knackten Conway wegen des leichten Luftdruckunterschieds die Ohren. „Die Überlebenden sind also warmblütige Sauerstoffatmer und benötigen ungefähr den auf der Erde herrschenden atmosphärischen Druck. Das erleichtert natürlich die Vorbereitungen zur Unterbringung auf der Station enorm.“

Fletcher zögerte kurz, dann öffnete auch er das Visier. „Zunächst müssen wir sie erst einmal finden“, gab er zu bedenken.

Sie betraten einen Korridor, der rundherum mit vollkommen glattem Metall ausgekleidet war — bis auf eine große Anzahl Beulen und Kratzer, die sich über eine Entfernung von ungefähr dreißig Metern bis in die Schiffsmitte erstreckten. Auf dem Boden am Ende des Gangs lag ein unidentifizierbares Etwas, das wie ein Gewirr von Metallstangen aussah, die aus einer dunkleren Substanz herausragten. Murchisons Fußmagneten verursachten laute, scharrende Geräusche, als sie darauf zurannte.

„Vorsichtig, Murchison“, rief Fletcher. „Falls Conways Theorie stimmt, haben sämtliche Schalter, Knöpfe und Hinweis- oder Warnschilder irgendwelche Sensor- oder Tastmechanismen. Und schließlich ist hier im Schiff immer noch Energie vorhanden, sonst hätte eben der Schleusenmechanismus nicht funktioniert. Wenn die Besatzungsmitglieder in vollkommener Dunkelheit leben und arbeiten, müssen wir mit den Fingern und Füßen denken lernen und dürfen nichts anfassen, was wie ein Rostfleck aussieht.“

„Ich werde schon vorsichtig sein, Captain“, antwortete Murchison.

An Conway gewandt sagte Fletcher: „Unter der Innenluke sitzt genau so ein Schalter wie bei den anderen.“ Er richtete den Helmscheinwerfer auf die fragliche Stelle und deutete dann auf einen kleineren Kreis, der sich ein paar Zentimeter rechts vom Schalter befand. „Bevor wir weitergehen, würde ich gerne den Zweck dieses Schalters herausfinden.“