Denn bei dem Wrack handelte es sich um nichts anderes als die Einstein — also um das erste interstellare Raumschiff, das von der Erde gestartet war, und das einzige der frühen Generationenschiffe von diesem Planeten, das nicht von den späteren mit Hyperraumantrieb ausgestatteten Raumschiffen geborgen worden war. Im Laufe der Jahrhunderte hatte es viele Versuche gegeben, das Schiff zu bergen, doch die Einstein war nicht dem geplanten Kurs gefolgt. Man hatte vermutet, daß sie innerhalb kurzer Zeit nach dem Verlassen des Sonnensystems einer technischen Katastrophe zum Opfer gefallen war.

Und da war er also nun, der erste und unzweifelhaft mutigste Versuch der Menschheit, nach den Sternen zu greifen — und das auf die schwierigste Art und Weise, weil ihre Technologie zu dieser Zeit noch unerprobt war.

Obwohl damals niemand mit absoluter Sicherheit wußte, ob das Zielsystem überhaupt bewohnbare Planeten enthielt, wollte die Schiffsbesatzung — die fähigsten Leute, die die Erde hervorbringen konnte — unbedingt diese Reise ins Ungewisse antreten. Darüber hinaus war die Einstein ein Stück technologischer und psychosoziologischer Geschichte, die Verkörperung einer der größten Legenden der Raumfahrt schlechthin. Und dieses Schiff stürzte mit seinen unschätzbaren Aufzeichnungen samt Logbuch in die Sonne und würde innerhalb einer Woche zerstört werden. Deshalb war es kein Wunder, daß man nur den medizinischen Offizier an Bord der Tenelphi zurückgelassen hatte. Aber selbst er hatte die Gefahr, die diese Situation barg, erst erkannt, als die Besatzung krank, schwitzend und dem Delirium nahe zurückkehrte. Von Beginn an hatte Sutherland Conways anfänglichen Vermutungen widersprochen, ihr Zustand rühre von radioaktiver Verseuchung, dem Einatmen giftiger Stoffe oder dem Verzehr infizierter Nahrungsmittel her. Die zurückkehrenden Offiziere hatten ihm nämlich davon berichtet, welche Verhältnisse an Bord des Wracks herrschten und wie lange spätere Nachkommen der ursprünglichen Besatzung hatten überleben können.

Auf dem Schiff gab es nicht nur unermeßlich wertvolle Aufzeichnungen über den ersten interstellaren Flugversuch der Menschheit; es enthielt auch eine unbekannte Anzahl verschiedenster Krankheitserreger, die durch die Wärme, die Atmosphäre und die bis vor kurzem lebenden menschlichen Organismen fortbestehen konnten und zu Arten gehörten, die vor siebenhundert Jahren existierten und gegen die die menschliche Spezies heute nicht mehr immun war.

Da Sutherland die sich rapide verschlechternde Verfassung seiner Offizierskameraden die ganze Zeit beobachtet hatte, wußte er, daß er nur sehr wenig für sie tun konnte. Er bestand allerdings darauf, daß sie alle ständig Raumanzüge trugen, um die Möglichkeit einer gegenseitigen Ansteckung zu vermeiden — schließlich konnte er ja nicht absolut sicher sein, ob sie alle an derselben Krankheit litten. Zudem sollten die Anzüge als Schutz im Falle eines eventuellen Unfalls dienen, während sich das Schiff vom Wrack der Einstein entfernte. Ihr Plan war, durch den Hyperraum zum Orbit Hospital zu springen, wo man sie medizinisch besser hätte versorgen können.

Als sich die Kollision ereignete — die laut Sutherland unvermeidlich war, wenn man den halbbewußtlosen und deliriumgleichen Zustand der Besatzung bedachte —, brachte er die Männer zur Schleusenvorkammer, um so eine schnelle Evakuierung vorzubereiten. Dann versuchte er eine Nachricht über Subraumfunk zu senden und, weil er nicht wußte, ob er es richtig gemacht hatte, die Notsignalbake auszusetzen. Aber die Kollision hatte den Auslösungsmechanismus beschädigt, und er mußte die Bake mit Händen und Füßen aus der Luftschleuse schieben. Der Zustand seiner Patienten verschlechterte sich, und er fragte sich wiederholt, ob es überhaupt etwas gab, das er für sie tun konnte.

Zu diesem Zeitpunkt faßte er den Entschluß, selbst an Bord des Wracks zu gehen, um dort, wo die Krankheit ihren Ursprung gehabt hatte, nach einem möglichen Heilverfahren zu suchen. Die Antwort konnte er vielleicht im Arzneischrank des Wracks finden — dem ›… neikasten‹ des zerstückelten Funkspruchs. Da der Druck an Bord der stark in Mitleidenschaft gezogenen Tenelphi stetig sank und alle Aufzeichnungsgeräte an Bord der Einstein zurückgelassen worden waren, konnte er für irgendwelche zukünftigen Retter keine eindeutige Warnung hinterlassen. Doch er tat sein Bestes.

So bestrich er die Außenluke der Luftschleuse der Tenelphi mit gelbem Schmiermittel, wobei er natürlich nicht ahnen konnte, daß es durch die Hitze der Notsignalbake braun werden würde, und markierte seinen Weg durch das Wrack auf die gleiche Weise. Heutzutage wußten nur noch wenige Leute, und selbst Conway hatte lange gebraucht, um sich daran zu erinnern, daß in den Zeiten vor den interstellaren Raumreisen ein Schiff mit einer ansteckenden Krankheit an Bord eine gelbe Flagge führte… „… Sutherland hat dann entdeckt, daß die Medikamente im Lazarett der Einstein schon lange unbrauchbar waren“, fuhr Conway fort, „aber er stieß auf ein medizinisches Lehrbuch, in dem eine Anzahl von Krankheiten mit ähnlichen Symptomen aufgeführt waren, wie sie unsere Patienten aufweisen. Er glaubt, es handelt sich bei der Krankheit um eine der alten Grippearten. In unserem Fall bedeutet der Verlust natürlicher Immunität durch die Jahrhunderte hindurch allerdings, daß sich die Symptome weit heftiger auf uns auswirken. Deshalb möchte ich, daß Sie diese Informationen für eine ordnungsgemäße Übertragung per Subraumfunk zum Orbit Hospital aufzeichnen, damit man dort genau weiß, was man zu erwarten hat. Zudem schlage ich vor, Vorbereitungen für einen automatischen Sprung in den Hyperraum zu treffen, falls Sie sich nicht fit genug fühlen sollten, um einen…“

„Doktor“, unterbrach ihn der Captain mit schwacher Stimme, „genau das versuche ich ja gerade zu tun. Wie schnell können Sie hier sein?“

Conway war einen Moment lang still, während er und Sutherland aus dem Tunnelrand herauskamen, und antwortete dann: „Ich kann die Rhabwar jetzt sehen. Zehn Minuten noch.“

Auf dem Unfalldeck, das langsam überfüllt war, zog Conway fünfzehn Minuten später dem Schiffsarzt den Raumanzug und die Uniform aus. Dr.

Prilicla schwebte der Reihe nach über den Patienten und überwachte ihren Zustand mit den Augen und seinen empathischen Fähigkeiten, während Naydrad Lieutenant Haslam hereinbrachte, der vor ein paar Minuten auf seinem Platz im Kontrollraum zusammengebrochen war.

Keiner der Extraterrestrier hatte irgend etwas von terrestrischen Krankheitserregern zu befürchten, selbst wenn diese siebenhundert Jahre alt waren. Und die Besatzungsmitglieder der Tenelphi und der Rhabwar und Murchison konnten nur daliegen und hoffen, wenn sie sich nicht bereits im Delirium oder im bewußtlosen Zustand befanden, daß ihre Körperabwehrkräfte irgendeine Möglichkeit fanden, diese Feinde aus der Vergangenheit zu bekämpfen. Lediglich Conway war von einer Infektion verschont geblieben, weil ihm ein Schmiermittelklecks oder irgendein Bruchstück eines verstümmelten Funkspruchs zumindest im Unterbewußtsein davor gewarnt hatte, sein Visier zu öffnen, als die Offiziere des Aufklärungsschiffs an Bord gebracht worden waren.

„Vier Ge Schub in fünf Sekunden“, meldete Chens matte Stimme aus dem Lautsprecher. „Künstliche Schwerkraftkompensatoren bereit.“

Als Conway das nächste Mal auf den Repeaterschirm blickte, zeigte dieser die Einstein und die Tenelphi auf die Größe eines kleinen Doppelsterns zusammengeschrumpft. Conway beendete seine gegenwärtigen Bemühungen, es Sutherland so bequem wie möglich zu machen, überprüfte den Sitz der Infusionsschläuche, die intravenös die verlorene Flüssigkeit ersetzten, und ging dann zu Haslam und Dodds hinüber. Murchison sparte er sich bis zum Schluß auf, weil er mit ihr mehr Zeit verbringen wollte.

Trotz der verringerten Temperatur in der Drucktragbahre schwitzte sie erheblich, murmelte Fieberphantasien vor sich hin und warf ihren Kopf von einer Seite zur anderen. Zwar hatte sie ihre Augen halb geöffnet, war sich Conways Gegenwart jedoch nicht wirklich bewußt. Es war ein richtiger Schock für ihn, Murchison so vor sich liegen zu sehen und zu erkennen, daß sie jetzt eine sehr schwer erkrankte Patientin war und nicht die Kollegin, die er seit der Zeit geliebt und respektiert hatte, als sie noch als Schwester in der Neugeborenenabteilung für FGLIs gearbeitet hatte, und er noch der Überzeugung gewesen war, sämtliche Krankheiten der Galaxis allein mit seinem Taschenröntgenscanner und der Hingabe zu seinem Beruf heilen zu können.