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Als erstes probierte er es mit einem kleinen Hund. Drüben vor dem Schlachthaus lockte er ihn mit einem Stück Fleisch von seiner Mutter weg bis in die Werkstatt, und während das Tier mit freudig erregtem Hecheln nach dem Fleisch in Grenouilles Linker schnappte, schlug er ihm mit einem Holzscheit, den er in der Rechten hielt, kurz und derb auf den Hinterkopf. Der Tod kam so plötzlich über den kleinen Hund, dass der Ausdruck des Glücks noch um seine Lefzen und in seinen Augen war, als Grenouille ihn längst im Beduftungsraum auf einen Rost zwischen die Fettplatten gebettet hatte, wo er nun seinen reinen, von Angstschweiß ungetrübten Hundeduft verströmte. Freilich galt es aufzupassen! Leichen, ebenso wie abgepflückte Blüten, waren rasch verderblich. Und so hielt Grenouille bei seinem Opfer Wache, etwa zwölf Stunden lang, bis er bemerkte, dass die ersten Schlieren des zwar angenehmen, doch verfälschend riechenden Leichendufts aus dem Körper des Hundes quollen. Sofort unterbrach er die Enfleurage, schaffte die Leiche weg und barg das wenige beduftete Fett in einem Kessel, wo er es sorgfältig auswusch. Er destillierte den Alkohol bis auf die Menge eines Fingerhutes ab und füllte diesen Rest in ein winziges Glasröhrchen. Das Parfum roch deutlich nach dem feuchten, frischtalgigen und ein wenig scharfen Duft des Hundefells, es roch sogar erstaunlich stark danach. Und als Grenouille die alte Hündin vom Schlachthaus daran schnuppern ließ, da brach sie in Freudengeheul aus und winselte und wollte ihre Nüstern nicht mehr von dem Röhrchen nehmen. Grenouille aber verschloss es dicht und steckte es zu sich und trug es noch lange bei sich als Erinnerung an jenen Tag des Triumphs, an dem es ihm zum ersten Mal gelungen war, einem lebenden Wesen die duftende Seele zu rauben.

Dann, sehr allmählich und mit äußerster Vorsicht, machte er sich an die Menschen heran. Er pirschte zunächst aus sicherer Distanz mit weitmaschigem Netz, denn es kam ihm weniger darauf an, große Beute zu machen, als vielmehr, das Prinzip seiner Jagdmethode zu erproben.

Mit seinem leichten Duft der Unauffälligkeit getarnt, mischte er sich im Wirtshaus zu den >Quatre Dauphins< abends unter die Gäste und heftete winzige Fetzen öl- und fettgetränkten Stoffs unter Bänke und Tische und in verborgene Nischen. Ein paar Tage später sammelte er sie wieder ein und prüfte. Tatsächlich atmeten sie neben allen möglichen Küchendünsten, Tabaksqualm- und Weingerüchen auch ein wenig Menschenduft ab. Er blieb aber sehr vage und verschleiert, war mehr die Ahnung eines allgemeinen Brodems als ein persönlicher Geruch. Eine ähnliche Massenaura, doch reiner und ins Erhaben- Schwitzige gesteigert, war in der Kathedrale zu gewinnen, wo Grenouille seine Probefähnchen am 24. Dezember unter den Bänken aushängte und sie am 26. wieder einholte, nachdem nicht weniger als sieben Messen über ihnen abgesessen worden waren: Ein schauerliches Duftkonglomerat aus Afterschweiß, Menstruationsblut, feuchten Kniekehlen und verkrampften Händen, durchmischt mit ausgestoßner Atemluft aus tausend chorsingenden und avemarianuschelnden Kehlen und dem beklemmenden Dampf des Weihrauchs und der Myrrhe hatte sich auf den imprägnierten Fetzchen abgebildet: schauerlich in seiner nebulösen, unkonturierten, übelkeiterregenden Ballung und doch schon unverkennbar menschlich.

Den ersten Individualgeruch ergatterte Grenouille im Hospiz der Charite. Es gelang ihm, das eigentlich zur Verbrennung bestimmte Bettlaken eines frisch an Schwindsucht verstorbenen Säcklergesellen zu entwenden, in welchem dieser zwei Monate umhüllt gelegen war. Das Tuch war so stark vom Eigentalg des Säcklers durchsogen, dass es dessen Ausdünstungen wie eine Enfleuragepaste absorbiert hatte und direkt der Lavage unterzogen werden konnte. Das Resultat war gespenstisch: Unter Grenouilles Nase erstand der Säckler aus der Weingeistsolution olfaktorisch von den Toten auf, schwebte, wenngleich durch die eigentümliche Reproduktionsmethode und die zahlreichen Miasmen seiner Krankheit schemenhaft entstellt, doch leidlich erkenntlich als individuelles Duftbild im Raum: ein kleiner Mann von dreißig Jahren, blond, mit plumper Nase, kurzen Gliedern, platten käsigen Füßen, geschwollenem Geschlecht, galligem Temperament und fadem Mundgeruch – kein schöner Mensch, geruchlich, dieser Säckler, nicht wert, wie jener kleine Hund, länger aufbewahrt zu werden. Und dennoch ließ ihn Grenouille eine ganze Nacht lang als Duftgeist durch seine Kabane flattern und schnupperte ihn immer wieder an, beglückt und tiefbefriedigt vom Gefühl der Macht, die er über die Aura eines ändern Menschen gewonnen hatte. Am nächsten Tag schüttete er ihn weg.

Noch einen Test unternahm er in diesen Wintertagen. Einer stummen Bettlerin, die durch die Stadt zog, bezahlte er einen Franc dafür, dass sie einen Tag lang mit verschiedenen Fett- und Ölmischungen präparierte Läppchen auf der nackten Haut trug. Es fand sich, dass eine Kombination von Lammnierenfett und mehrfach geläutertem Schweins- und Kuhtalg im Verhältnis zwei zu fünf zu drei unter Hinzuführung geringer Mengen von Jungfernöl für die Aufnahme des menschlichen Geruchs am besten geeignet war.

Damit ließ es Grenouille bewenden. Er verzichtete darauf, sich irgendeines lebenden Menschen im ganzen zu bemächtigen und ihn parfumistisch zu verarbeiten. So etwas wäre immer mit Risiken verbunden gewesen und hätte keine neuen Erkenntnisse gebracht. Er wusste, dass er nun die Techniken beherrschte, eines Menschen Duft zu rauben, und es war nicht nötig, dass er es sich erneut bewies.

Des Menschen Duft an und für sich war ihm auch gleichgültig. Des Menschen Duft konnte er hinreichend gut mit Surrogaten imitieren. Was er begehrte, war der Duft gewisser Menschen: jener äußerst seltenen Menschen nämlich, die Liebe inspirieren. Diese waren seine Opfer.

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Im Januar ehelichte die Witwe Arnulfi ihren ersten Gesellen Dominique Druot, der damit zum Maitre Gantier et Parfumeur avancierte. Es gab ein großes Essen für die Gildenmeister, ein bescheideneres für die Gesellen, Madame kaufte eine neue Matratze für ihr Bett, das sie nun offiziell mit Druot teilte, und holte ihre bunte Garderobe aus dem Schrank. Sonst blieb alles beim alten. Sie behielt den guten alten Namen Arnulfi bei, behielt das ungeteilte Vermögen, die finanzielle Leitung des Geschäfts und die Schlüssel zum Keller; Druot erfüllte täglich seine sexuellen Pflichten und erfrischte sich danach beim Wein; und Grenouille, obwohl nun erster und einziger Geselle, verrichtete das Gros der anfallenden Arbeit für unverändert kleinen Lohn, bescheidene Verpflegung und karge Unterkunft.

Das Jahr begann mit der gelben Flut von Kassien, mit Hyazinthen, Veilchenblüte und narkotischen Narzissen. An einem Sonntag im März – es mochte etwa ein Jahr seit seiner Ankunft in Grasse vergangen sein – machte sich Grenouille auf, nach dem Stand der Dinge im Garten hinter der Mauer am anderen Ende der Stadt zu sehen. Er war diesmal auf den Duft vorbereitet, wusste ziemlich genau, was ihn erwartete… und doch, als er sie dann erwitterte, an der Porte Neuve schon, auf halbem Wege erst zu jener Stelle an der Mauer, da klopfte sein Herz lauter, und er spürte, wie das Blut in seinen Adern prickelte vor Glück: sie war noch da, die unvergleichlich schöne Pflanze, sie hatte den Winter unbeschadet überdauert, stand im Saft, wuchs, dehnte sich, trieb prächtigste Blütenstände! Ihr Duft war, wie er es erwartet hatte, kräftiger geworden, ohne an Feinheit einzubüßen. Was noch vor einem Jahr sich zart versprenkelt und vertröpfelt hatte, war nun gleichsam legiert zu einem leicht pastosen Duftfluss, der in tausend Farben schillerte und trotzdem jede Farbe band und nicht mehr abriss. Und dieser Fluss, so stellte Grenouille selig fest, speiste sich aus stärker werdender Quelle. Ein Jahr noch, nur noch ein Jahr, nur noch zwölf Monate, dann würde diese Quelle überborden, und er könnte kommen, sie zu fassen und den wilden Ausstoß ihres Duftes einzufangen.