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Berger kam herüber.»Hier. Setz dich hierher.«

»Leben die beiden?«

»Ja. Sie liegen links neben dir.«

Lewinsky schob etwas in Bergers Hand.»Hier ist etwas -«

»Was?«

»Jod, Aspirin und Watte. Hier ist auch eine Rolle Gaze. Und dieses ist Wasserstoffsuperoxyd.«

»Das ist ja eine Apotheke«, sagte Berger erstaunt.»Wo hast du das alles her?«

»Gestohlen. Aus dem Hospital. Einer von uns räumt da auf.«

»Gut. Wir können es brauchen.«

»Hier ist Zucker. In Stücken. Gib sie ihnen in Wasser. Zucker ist gut.«

»Zucker?«sagte Lebenthal.»Wo hast du denn den her?«

»Irgendwoher. Du bist Lebenthal, was?«fragte Lewinsky in die Dunkelheit.

»Ja, warum?«

»Weil du das fragst.«

»Ich habe nicht deshalb gefragt«, sagte Lebenthal beleidigt.

»Ich kann dir nicht sagen, woher er kommt. Einer von Baracke 9 hat ihn gebracht. Für die beiden.

Hier ist auch noch etwas Käse. Von Baracke 11 sind diese sechs Zigaretten.«

Zigaretten! Sechs Zigaretten! Ein unvorstellbarer Schatz. Sie schwiegen alle einen Augenblick.

»Leo«, sagte Ahasver dann.»Der ist besser als du.«

»Unsinn.«Lewinsky sprach abgerissen und rasch, als wäre er außer Atem.»Sie haben es gebracht, bevor die Baracken abgeschlossen wurden. Wußten, daß ich 'rüberkommen würde, wenn das Lager sicher war.«

»Lewinsky«, flüsterte 509.»Bist du das?«

»Ja -«

»Du kannst 'raus?«

»Klar. Wie wäre ich sonst hier? Ich bin Mechaniker. Stück Draht, ganz einfach.

Ich bin gut mit Schlössern. Außerdem kann man immer durchs Fenster. Wie macht ihr es hier?«

»Hier wird nicht abgeschlossen! Die Latrinen sind draußen«, antwortete Berger.

»Ach so, ja. Hatte das vergessen.«Lewinsky machte eine Pause.»Haben die anderen unterschrieben?«fragte er dann in die Richtung von 509.»Die, die mit euch waren?«

»Ja -«

»Und ihr nicht?«

»Wir nicht.«

Lewinsky beugte sich vor.»Wir hätten nicht geglaubt, daß ihr das schaffen würdet.«

»Ich auch nicht«, sagte 509.

»Ich meine nicht nur, daß ihr es ausgehalten habt. Ich meine, daß euch nicht mehr passiert ist.«

»Das meine ich auch.«

»Laß sie in Ruhe«, sagte Berger.»Sie sind schwach. Wozu willst du das alles so genau wissen?«

Lewinsky bewegte sich im Dunkeln.»Das ist wichtiger, als du glaubst.«Er stand auf.

»Ich muß zurück. Komme bald wieder. Bringe noch was. Will auch noch was mit euch besprechen.«

»Gut.«

»Ist hier nachts oft Kontrolle?«

»Wozu? Um Tote zu zählen?«

»Gut. Also keine.«

»Lewinsky -«, flüsterte 509.

»Ja -«

»Kommst du bestimmt wieder?«

»Bestimmt.«

»Hör zu!«509 suchte erregt nach Worten.»Wir sind noch – wir sind noch nicht fertig – wir sind noch zu was – zu gebrauchen -«

»Deshalb komme ich ja wieder. Nicht aus Nächstenliebe.«

»Gut. Dann ist es gut – du kommst bestimmt -«

»Bestimmt -«

»Vergeßt uns nicht -«

»Das hast du mir schon einmalgesagt. Ich habe es nicht vergessen. Deshalb bin ich hergekommen.

Ich komme wieder.«

Lewinsky tastete sich zum Eingang zurück. Lebenthal drückte die Tür hinter ihm zu.

»Halt«, flüsterte Lewinsky von draußen.»Hab' noch was vergessen. Hier -«

»Kannst du nicht 'rausfinden, woher der Zucker ist?«fragte Lebenthal.

»Weiß nicht. Will sehen.«Lewinsky sprach immer noch abgerissen und außer Atem.

»Hier, nimm dies – lest es -, wir haben es heute gekriegt -«

Er steckte ein zusammengefaltetes Papier in Lebenthals Finger und glitt hinaus, in den Schatten der Baracke.

Lebenthal schloß die Tür.»Zucker«, sagte Ahasver.

»Laßt mich ein Stück anfassen. Nur anfassen, weiter nichts.«

»Ist da noch Wasser?«fragte Berger.

»Hier -«Lebenthal reichte einen Napf hinüber.

Berger nahm zwei Stücke Zucker und löste sie auf. Dann kroch er zu 509 und Bucher hinüber.

»Trinkt das hier. Langsam. Jeder abwechselnd einen Schluck.«

»Wer ißt da?«fragte jemand vom mittleren Bett.

»Keiner. Wer soll schon essen?«

»Ich höre schlucken.«

»Du träumst, Ammers«, sagte Berger.

»Ich träume nicht! Ich will meinen Anteil. Ihr freßt ihn auf, da unten! Ich will meinen Anteil!«

»Warte bis morgen.«

»Bis morgen habt ihr alles aufgefressen. Es geht immer so. Ich kriege jedesmal am wenigsten. Ich!«

Ammers fing an zu schluchzen. Keiner kümmerte sich darum. Er war seit einigen Tagen krank und glaubte immer, die anderen betrogen ihn.

Lebenthal tastete sich zu 509 hinüber.»Das mit dem Zucker vorhin«, flüsterte er verlegen,»ich habe das nicht gefragt, um damit zu handeln. Ich wollte nur noch mehr für euch besorgen.«

»Ja -«

»Ich habe auch den Zahn noch. Ich habe ihn noch nicht verkauft. Ich habe gewartet. Jetzt werde ich das Geschäft machen.«

»Gut, Leo. Was hat Lewinsky dir noch gegeben? An der Tür.«

»Ein Stück Papier. Es ist kein Geld.«Lebenthal fingerte es ab.»Fühlt sich an wie ein Stück Zeitung.«

»Zeitung?«

»Es fühlt sich so an.«

»Was?«fragte Berger.»Du hast ein Stück Zeitung?«

»Sieh nach!«sagte 509.

Lebenthal kroch zur Tür und öffnete sie.»Stimmt. Es ist ein Zeitungsstück.

Abgerissen.«

»Kannst du es lesen?«

»Jetzt?«

»Wann sonst?«fragte Berger.

Lebenthal hob den Fetzen hoch.»Es ist nicht genug Licht.«

»Mach die Tür weiter auf. Kriech 'raus. Draußen ist Mond.«

Lebenthal öffnete die Tür und hockte sich draußen hin. Er hielt das abgerissene Zeitungsstück in das Ungewisse, webende Licht. Er studierte es lange.»Ich glaube, es ist ein Heeresbericht -«, sagte er dann.

»Lies!«flüsterte 509.»So lies doch, Mensch!«

»Hat keiner ein Streichholz?«fragte Berger.

»Remagen -«, sagte Lebenthal.»Am Rhein -«

»Was?«

»Die Amerikaner sind bei Remagen – über den Rhein gegangen!«

»Was, Leo? Hast du richtig gelesen? Über den Rhein? Steht da nicht was anderes? Ein französischer Fluß?«

»Nein – Rhein – bei Remagen – Amerikaner -«

»Mach keinen Unsinn! Lies richtig! Lies um Gottes willen richtig, Leo!«»Es stimmt«, sagte Lebenthal.»Es steht hier so. Ich sehe es jetzt deutlich.«»Über den Rhein? Wie ist das möglich?

Dann sind sie ja in Deutschland! So lies doch weiter! Lies! Lies!«

Sie krächzten durcheinander. 509 spürte nicht, wie seine Lippen aufrissen.»Über den Rhein! Aber wie denn? Mit Flugzeugen? Mit Booten? Wie? Mit Fallschirmen? Lies, Leo!«

»Brücke«, buchstabierte Lebenthal.»Sie haben – eine Brücke gekreuzt – die Brücke ist – unter schwerem deutschem Feuer -«»Eine Brücke?«fragte Berger ungläubig.»Ja, eine Brücke – bei Remagen -«

»Eine Brücke«, wiederholte 509.»Eine Brücke – über den Rhein? Dann muß die Armee – lies weiter, Leo! Da muß noch mehr stehen!«»Das Kleingedruckte kann ich nicht lesen.«»Hat denn keiner ein Streichholz?«fragte Berger verzweifelt.»Hier -«, erwiderte jemand aus dem Dunkel.

»Hier sind noch zwei.«»Komm herein, Leo.«

Sie formten eine Gruppe neben der Tür.»Zucker«, jammerte Ammers.»Ich weiß, ihr habt Zucker.

Ich habe es gehört. Ich will meinen Anteil.«

»Gib dem verdammten Hund ein Stück, Berger«, flüsterte 509 ungeduldig.»Nein.«

Berger suchte nach der Zündfläche.»Haltet die Decken und Jacken vor die Fenster. Kriech in die Ecke unter die Decke, Leo. Los!«

Er zündete das Streichholz an. Lebenthal begann zu lesen, so rasch er konnte. Es waren die üblichen Vertuschungen. Die Brücke sei wertlos, die Amerikaner seien unter schwerstem Feuer und abgeschnitten auf dem erreichten Ufer, Kriegsgericht erwarte die Truppe, die die Brücke nicht zerstört habe – Das Streichholz erlosch.»Die Brücke nicht zerstört -«, sagte 509.»Sie haben sie also – intakt gekreuzt. Wißt ihr, was das heißt?«»Sie müssen überrascht worden sein -«

»Das heißt, daß der Westwall durchbrochen ist«, sagte Berger, so vorsichtig, als glaube er zu träumen.»Der Westwall durchbrochen! Sie sind durch!«