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Nachdem ich mit der zuständigen Stelle verbunden worden bin, erkläre ich der Frau am anderen Ende der Leitung mein Anliegen. Freundlich meint sie, sie werde nachschauen, ich solle warten. Dieses Warten vergesse ich mein ganzes Leben nicht mehr! Mein Herz klopft bis in den Hals hinauf und meine Brust wird eng und enger. Die Sekunden oder Minuten erscheinen mir wie eine Ewigkeit. »Lieber Gott, bitte hilf uns noch dieses eine Mal!«, bete ich in Gedanken und drücke für mich und mein kleines Mädchen die Daumen. Endlich höre ich die Stimme der Dame: »Ihr Name ist Corinne Hofmann, zur Zeit wohnhaft in Wetzikon mit ihrer Tochter Napirai, geboren am 1. Juli 1989, ist das richtig?«

»Ja«, würge ich heraus. »Ihr Antrag ist angenommen. Sie bekommen im Verlauf der nächsten Tage noch alles schriftlich bestätigt.« Ich halte die Luft an, doch dann sprudelt es aus mir heraus: »Danke, vielen Dank, Sie machen mich zum glücklichsten Menschen der Welt. Auf Wiedersehen!« Ich drehe mich um und rufe überschwänglich: »Wir können bleiben! Gott sei Dank!«

In diesem Moment fühle ich mich wie neu geboren und tanze mit Napirai durch die Wohnung. Sie lacht und kreischt, obwohl sie natürlich nicht weiß, weshalb ihre Mama so aus dem Häuschen ist. Meine Mutter weint Tränen der Erleichterung. Vor lauter Freude kann ich kaum einen klaren Gedanken fassen. Jetzt wird alles gut. Mit aller Kraft werde ich mich dafür einsetzen, möglichst schnell eine Arbeit und eine Wohnung zu finden. Telefonisch informiere ich meine Geschwister und teile ihnen mein Glück mit. Auch an James schreibe ich gleich einen Brief. Ich bin ganz außer mir vor Aufregung. Seit der Geburt meiner Tochter habe ich mich nicht mehr so gefreut wie über diesen einen Satz, ausgesprochen von einer mir völlig fremden Frau. Er bedeutet für mich ein neues Leben! Ob ihr das Ausmaß dieser wenigen Worte wohl bewusst ist? Ach was, verscheuche ich den Gedanken, Hauptsache, ich habe mein Ziel erreicht. Sobald ich die schriftliche Bestätigung erhalten habe, werde ich ein Stellengesuch im Tagesanzeiger aufgeben.

Am Abend freut sich auch Hanspeter über die gute Nachricht. Beim Essen diskutieren wir, was ich arbeiten könnte. Ich schlage vor, den ersten Versuch bei einem Kiosk zu starten. Wenn ich die Frühschicht übernähme, könnte ich bereits mittags zu Hause bei Napirai sein. Meine Mutter bietet mir an, sich zwei bis drei Tage um Napirai zu kümmern, da sie sich inzwischen sehr an ihre Enkelin gewöhnt hat und gerne mit ihr zusammen ist. Mit Hanspeter erstelle ich eine Kostenübersicht, was alles auf mich zukommt, wenn ich in eine eigene Wohnung ziehe. Dabei stelle ich schnell fest, dass ich, wenn ich nicht am Hungertuch nagen möchte, doch einen Vollzeit-Job annehmen muss. Schließlich muss ich die gesamte Wohnungseinrichtung neu anschaffen, da ich überhaupt nichts mehr besitze. Keinen Teller, kein Besteck, kein einziges Handtuch, von Möbeln ganz zu schweigen. Deshalb kommt nur eine Außendienstaufgabe in Frage, weil ich mir dann die Zeit einteilen und mit einer Provisionsbeteiligung schnell mehr verdienen könnte. Meine Mutter erinnert mich an den ehemaligen Chef in der Versicherung. Doch obwohl mich das Angebot sehr gefreut hatte, verwerfe ich die Idee, weil ich in dieser Branche hauptsächlich abends arbeiten müsste. Ich möchte erst versuchen, etwas Spannendes tagsüber zu finden, und werde deshalb inserieren.

Selbstverständlich muss ich noch an meinem äußeren Erscheinungsbild arbeiten. Ein neuer Haarschnitt ist dringend nötig und zwei, drei Kostüme sollte ich mir auch besorgen. Doch dafür gibt es ja Secondhand-Shops. Unter Umständen muss ein Auto gekauft werden, was hier in der Schweiz, im Gegensatz zu Kenia, kein allzu großes Problem sein dürfte. Gebrauchtwagenhändler gibt es an jeder Ecke und ein erschwingliches Auto ist sicher leicht zu finden.

Die größte Schwierigkeit sehe ich in meinem mangelnden Selbstvertrauen. Wieder auf fremde Menschen zuzugehen und ihnen etwas schmackhaft zu machen, erscheint mir im Moment noch sehr mutig. Auch die Vorstellung, mich im Stadtverkehr bewegen und mir unbekannte Straßen suchen zu müssen, flößt mir Schrecken ein. Doch was ich früher konnte, werde ich auch heute bald wieder können. Alles scheint mir nun leichter lösbar zu sein als noch vor vier Monaten. Wenn ich daran denke, dass es in Kenia Momente gab, in denen ich vor Schwäche nicht mehr allein stehen konnte und mir 50 Meter als schier unüberwindbare Distanz erschienen, stehe ich heute im Vergleich dazu wie ein »Kraftprotz« da. Ich werde es schaffen, davon bin ich überzeugt!

Ein paar Tage später erhalte ich schriftlich die erneute Niederlassungsbewilligung. Allerdings gilt es noch, die Frage meiner Heirat zu klären. In der Schweiz ist diese nämlich nicht rechtsgültig, wie man mir mitteilt. Da ich die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, muss das in Berlin entschieden werden und die Schweiz wird sich dann dem Entscheid von Deutschland anschließen. Es ist also nicht geklärt, ob ich in Europa als verheiratet oder ledig gelte. Doch darüber mache ich mir im Augenblick keine Gedanken. Was das noch für Folgen haben wird, erlebe ich erst ein knappes Jahr später. Im Moment aber bin ich einfach glücklich.

Mein Stellengesuch ist aufgegeben und so warte ich hoffnungsvoll auf ein gutes Angebot im Außendienst. Auch die Wohnungsinserate studiere ich, aber die Preise und die dürftige Auswahl dämpfen meinen Optimismus. Natürlich muss ich nicht gleich bei meiner Mutter ausziehen, doch allmählich möchte ich, vor allem wenn ich arbeiten gehe, in den eigenen vier Wänden leben.

Gut zwei Wochen nach unserem ersten Treffen in der Gruppe der allein Erziehenden ruft Madeleine an und lädt mich mit Napirai zu einem Kaffeeklatsch ein. Sie wohnt nur ein paar Minuten Autofahrt entfernt im Nachbardorf, das oberhalb von Wetzikon liegt. Auf Anhieb gefällt mir die Wohnanlage. Sie besteht aus vier sich gegenüber liegenden Häuserblocks, auf jeder Seite zwei. In der Mitte befindet sich eine große Grünfläche mit einem Kinderspielplatz, auf dem ein paar Kleinkinder herumtollen. Das würde Napirai natürlich gefallen! Mich begeistert zusätzlich der nahe gelegene Wald mit dem rauschenden Bach.

Madeleine freut sich über unseren Besuch. Ihr Sohn ist zehn Jahre alt und beschäftigt sich mit einer Engelsgeduld mit Napirai. Ausführlich erzählen wir einander unsere Lebensgeschichten und als sie hört, dass ich gerade meine definitive Aufenthaltserlaubnis in der Schweiz wieder bekommen habe, freut sie sich sehr für uns. Ich teile ihr meine Zuversicht mit, bald eine Arbeit zu finden. Nur mit einer Wohnung würde es wohl schwieriger werden, denn ich suchte eine in einer Siedlung wie dieser hier. Madeleine bietet sich an, bei der Verwaltung nachzufragen, doch solle ich mir noch keine Hoffnung machen, denn es bestehen Wartelisten auf diese günstigen Wohnungen. Aber dieser Flecken hat es mir wirklich angetan und ich werde nicht so schnell aufgeben.

Ich zeige ihr noch Fotos von meinem Mann und unserem Shop in Kenia und bitte sie, ihn in ihrem Urlaub aufzusuchen, um ihm einen Brief von mir zu geben. Auch solle sie versuchen, über Sophia etwas herauszufinden. Es scheint mir wie ein bedeutungsvoller Zufall, dass ich ausgerechnet bei meiner ersten aushäusigen Unternehmung jemandem begegnet bin, der nach Kenia fliegt. Mit etwas Wehmut wünsche ich ihr beim Abschied einen schönen Urlaub. Zu Hause schwärme ich meiner Mutter von der Wohngegend vor. Für mich steht fest, dass ich nicht weitersuche, solange ich keinen negativen Bescheid von der Verwaltung bekommen habe.

In den folgenden Tagen tröpfeln per Post vereinzelte Arbeitsangebote herein. Das meiste ist unbrauchbar. Entweder gefällt mir das zu vertreibende Produkt nicht oder die Firmen wollen keinerlei Garantielohn zahlen, worauf ich mich in meiner Situation nicht einlassen kann. Als ich die Hoffnung auf den Erfolg des Inserates schon aufgeben will, erhalte ich ein Angebot aus Zürich. Es geht um Seidenfoulards und Krawatten, die an Unternehmen als Werbegeschenke verkauft werden sollen. Ich schaue mir die beigelegten Prospekte an und spüre, dass das meine Chance ist. Sofort rufe ich an und vereinbare einen Vorstellungstermin.