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»Piratengesetze«, regte sich sein Gegenüber auf, »was soll denn dieser Unfug? Diese Halunken sollen irgendwelche Gesetze haben?«

»Die haben sie tatsächlich«, stellte Don Arcadio Arismendi etwas belustigt klar. »Ebenso wie wir die unsren haben, was Ehre, Moral oder Sklavenhandel betrifft. Und wie bei uns gibt es bei ihnen Leute, die sie befolgen, und andere, die sie nicht befolgen.«

»Schön!« gab Don Hernando Pedrárias zu, der um alles in der Welt Ruhe bewahren wollte. »Vergiß das! Ich will wissen, warum ein alter Pirat, der gewöhnlich Schiffe aus Spanien plündert, plötzlich Sklaven freiläßt.«

»Vielleicht ist er gegen die Sklaverei.«

»Ein schottischer Pirat? Daß ich nicht lache! Die Engländer, Holländer und Schotten haben doch den Sklavenhandel erfunden und würden sich keine derartige Beute entgehen lassen.«

»Offensichtlich doch«, lautete die fast spöttische Antwort.

Der Hausherr ging im Zimmer auf und ab, als würde das seine Probleme lösen, und fuhr schließlich ungeduldig fort:

»In der Tat! Aber warum? Wenn ich wüßte, warum ein Pirat sich plötzlich nicht mehr wie ein Pirat aufführt, könnte ich ihn vielleicht erwischen.«

»Ich glaube nicht, daß dir das viel hilft«, bemerkte der andere und leerte hastig sein Glas, als wollte er andeuten, daß er es eilig hatte. »Ich hatte noch nie mit Piraten zu tun…« Er deutete mit dem Finger auf ihn. »Vielleicht gibt es jemanden, der dir helfen kann. Er lebt schon viele Jahre auf der Insel und hat schon mehr als einmal gegen sie gekämpft. Ich rede von Hauptmann Mendana.«

»Der Kommandant der Festung La Galera?« Als sein Gegenüber nickte, schüttelte Don Hernando Pedrárias den Kopf. »Er haßt mich.«

»Zum Teufel, Hernando…!« lachte der andere. »Nicht so bescheiden! Du weißt gut, daß die meisten Leute auf der Insel dich hassen. Mendana sollte da keine Ausnahme machen.« In einem vorwurfsvolleren Ton, der sich fast mehr gegen seine eigene Person zu richten schien, fuhr er fort. »Anders als wir, die wir unsere Pflichten aus reiner Bequemlichkeit vergessen haben, ist er ein guter Offizier, der die Piraten verabscheut. Vielleicht hilft er dir.«

»Glaubst du?«

»Was riskierst du schon? Du hast ohnehin schon alles verloren!«

»Wohl wahr«, räumte sein Gegenüber ein und ließ sich in einen Sessel fallen, als hätte ihn sein Energieausbruch plötzlich erschöpft. »Ich habe alles verloren außer meiner Wut im Bauch. Ich werde ein Schiff ausrüsten. Das beste, das es gibt! Und ich werde diesen Hurensohn fangen.«

»Das beste Schiff, das es gibt, ist die Jacare«, erinnerte ihn Oberst Arismendi. »Wenn du es mit einem schweren Flottenschiff zu jagen versuchst, auch wenn es noch so gut bewaffnet ist, kannst du ebensogut versuchen, einen Delphin am Schwanz zu packen.«

»Ich werde schon eine Möglichkeit finden.«

Der Offizier stand mühevoll auf und ging zur Tür, als sähe er nicht nur das Gespräch, sondern auch die unbequeme Beziehung für beendet an.

»Das hoffe ich für dich, und ich sollte dir Glück wünschen. Allerdings weiß ich in diesem besonderen Fall nicht recht, ob ich auf der Seite eines ehrenwerten schottischen Piraten oder der eines unwürdigen spanischen Edelmanns stehen soll. Gute Nacht!«

Unter anderen Umständen hätte Don Hernando Pedrárias Gotarredona eine solche Behandlung niemals hingenommen, sondern die Person, die ihn derart beleidigt hatte, unverzüglich zum Duell gefordert. Aber das war nicht der Augenblick, mit einem vorzüglichen Fechter und sicheren Pistolenschützen die Waffen zu kreuzen. Daher schluckte er seinen Groll hinunter, denn es war ihm klar, daß die meisten Menschen ihn von nun an auf diese Weise behandeln würden.

Nachdem er sich vergewissert hatte, daß Oberst Arcadio Arismendi das Haus tatsächlich verlassen hatte, goß er sich ein weiteres Glas Rum ein, leerte es in einem Zuge und läutete mehrere Male ein Glöckchen, bis ein Diener auf der Türschwelle erschien.

»Wo bleibt Don Samuel? Warum ist er nicht gekommen?«

»Seine Frau versichert, daß er in Porlamar ist, Senor«, erwiderte der arme Mann, also fürchtete er, daß man ihm nicht glauben würde. »Er kommt erst übermorgen zurück.«

Sein ungeduldiger Herr wollte gerade eine ärgerliche Antwort geben, als er es sich anders überlegte und befahl:

»Sattle mein Pferd. Ich reite nach Juan Griego.«

»Um diese Zeit, Senor?« wollte der beunruhigte Diener wissen. »Es wird bald Nacht.«

»Wir haben Vollmond, und ich kenne den Weg. Um so kühler wird der Ritt sein.«

Es war tatsächlich ein kühler Ritt und in mancher Hinsicht wesentlich angenehmer als unter der brennenden Sonne Margaritas, doch während er auf dem engen Pfad zur Westküste hinuntergaloppierte, hatte Don Hernando Pedrárias ein bohrendes Gefühl im Magen, wenn er diesen fast verstohlenen Ritt mit der Fahrt verglich, die er vor Jahren mit seiner Kutsche und einem Dutzend Mann Begleitung gemacht hatte, die auf Schritt und Tritt für seine Sicherheit sorgte.

Weder der wirtschaftliche Ruin noch der Verrat Celestes oder die Aussicht, den Rest seines Lebens in der Festung des feuchtheißen Cumaná zu verbringen, machten dem Ex-Gesandten der Casa de Contratación von Sevilla so sehr zu schaffen wie die Tatsache, daß er all seine Macht verloren hatte. Bitter mußte er feststellen, daß nur noch zwei alte Diener seine Befehle ausführten und kein einziger Leibwächter mehr bereit war, sein Leben für ihn aufs Spiel zu setzen.

Don Hernando Pedrárias, Sohn eines geachteten Staatsanwalts der Casa de Contratación von Sevilla und Enkel eines ihrer tüchtigsten obersten Richter, war in der unerschütterlichen Überzeugung aufgewachsen, daß die Angehörigen seines Geschlechts dazu berufen waren, über die Geschicke der Neuen Welt zu schalten und zu walten. Ihre Autorität war ebenso unantastbar wie die der Personen königlichen Geblüts.

Über Jahre hinweg hatte er die Beamtenschule der Casa besucht, gemeinsam mit vielen anderen Söhnen und Enkeln hoher Würdenträger, und die gesamte Zeit über hatten weder Lehrer noch Schüler auch nur ein einziges Mal die Tatsache in Frage gestellt, daß nur sie wußten, und niemand sonst, was die fernen Länder jenseits der Meere benötigten und was gut für deren Einwohner war.

Die Pfarrer waren für die Religion, die Höflinge für die Politik und die Offiziere für die Schlachten zuständig, doch die Beamten der Casa kontrollierten die Wirtschaft des Landes, und das bedeutete, daß auf die eine oder andere Weise Pfarrer, Politiker und Militär von ihnen abhängig waren.

Und jetzt wagte es eine Marionette wie Oberst Arismendi, der jahrelang vor ihm gekatzbuckelt und von ihm profitiert hatte, ihn zu beleidigen, jetzt wo der Offizier wußte, daß Don Hernando keine Fäden mehr ziehen konnte, um ihn sofort in das übelste Urwaldkaff versetzen zu lassen.

Macht!

Macht war die sanfte Geliebte, mit der er jahrelang geschlafen hatte, und in jener Nacht, in der er allein den staubigen Weg nach Juan Griego entlangritt, kam Don Hernando Pedrárias zur schmerzlichen Erkenntnis, daß sie niemals mehr sein Bett teilen würde.

Der Morgen graute, als er in der Ferne die schwarzen Mauern des Forts erkennen konnte, und als die ersten Sonnenstrahlen über Cabo Negro blinzelten, stand er vor Hauptmann Sancho Mendana, der gerade sein Frühstück auf der riesigen Seeterrasse beendet hatte.

»Oberst Arismendi hat mir empfohlen, zu Euch zu kommen«, bog Don Hernando die Wahrheit zurecht. »Er hat mir versichert, daß ihr mir vielleicht die Information geben könnt, die ich benötige.«

»Über?«

»Kapitän Jacare Jack.«

»Und was soll ich dem Oberst nach über Kapitän Jacare Jack wissen?« lautete die mißmutige Antwort des Hauptmanns, die vermuten ließ, daß er tatsächlich eine Menge wußte. »Ein Pirat ist er, nichts weiter.«

»Der Oberst hält Euch für eine Autorität in Sachen Piraten. Ihr sollt gegen viele gekämpft haben.«

»Ich war bei einem gescheiterten Angriff auf Tortuga dabei, habe mit meinen Kanonen Mombars, den Todesengel, in die Flucht geschlagen, und einmal habe ich an einer Treibjagd teilgenommen, auf der wir achtzehn Freibeuter aufgehängt haben, aber deshalb sehe ich mich noch nicht als Autorität in dieser Angelegenheit.« Bedächtig zündete der phlegmatische Hauptmann seine Pfeife an und fügte mit gezwungener Natürlichkeit hinzu: »Jeder Offizier, der so lange wie ich in diesen Breiten gedient hat, dürfte ähnliche Erfahrungen haben.«