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Kurze Zeit danach zog sie eine schwere Kiste unter ihrem Sitz hervor und öffnete sie feierlich, um zu zeigen, daß sie randvoll mit schönen Perlen in allen nur denkbaren Schattierungen gefüllt war.

»Die besten des Jahres!« rief sie aus und nahm ein riesiges, fast schwarzes Exemplar in Form einer Birne zwischen die Finger. »Schau dir diese Perle an! Ein Königreich würde ich dafür hergeben.«

»Behalt sie!« forderte sie ihr Bruder auf. »Und häng sie dir um den Hals, damit sie dich an den Tag erinnert, an dem du zur Gesetzlosen geworden bist.« Er deutete auf den Wald, den sie gerade hinter sich gelassen hatten. »Dieser Gervasio hat recht«, fügte er besorgt hinzu, »die Casa läßt sich nicht ungestraft berauben.«

»Du raubst doch schon seit Jahren«, gab sie ihm zu bedenken und zog eine sympathische Grimasse, während sie die schwarze Perle in ihren Ausschnitt steckte. »Ich behalte sie!«

»Was können sie denn schon tun?« warf Miguel Heredia skeptisch ein. »Wenn sie es erfahren, sind wir schon über alle Berge.«

»Man kann nie wissen«, orakelte seine Tochter. »Bei Don Hernando kann man nie wissen. Ich hab keine Angst vor ihm, aber wir sollten auf der Hut sein.«

Als die ersten Häuser der Stadt in Sicht kamen, bog die Kutsche an der Kreuzung mit der kleinen Einsiedelei auf den Weg nach Santa Ana ab. Sie fuhren schon durch das Tal, als die Arbeiter auf den Feldern begannen, mit Steinen zu werfen und Beleidigungen auszustoßen, um sofort darauf die Flucht zu ergreifen.

Für die überwältigende Mehrheit der Margaritenos war die schwere Kutsche mit ihren anmaßenden Wappen an den Türen und dicken Brokatvorhängen das Sinnbild der Tyrannei schlechthin, und ihre schmerzliche Erfahrung lehrte sie, daß es nichts Gutes bedeutete, wenn die Karosse die Stadtgrenzen von La Asunción hinter sich ließ.

Gewöhnlich ließen sich die stolzen Rappen von Don Hernando Pedrárias Gotarredona nur selten auf dem Land sehen, und wenn doch, dann ging es meistens darum, die Steuerschraube noch fester anzuziehen.

Wenn die Dörfler die Pferde sahen, dachten sie an Hyänen, die den Gestank eines Kadavers witterten. Manche hätten Jahre ihres Lebens dafür hergegeben, die Rösser einfach abzuknallen, auch wenn sie wußten, daß die Gäule an der ganzen Misere keine Schuld traf.

Am frühen Nachmittag trabten die schwitzenden Pferde müde durch Santa Ana und schlugen schon den Weg nach Aricagua ein, denn keiner hätte es gewagt, die goldene Kalesche des Gesandten der Casa de Contratación von Sevilla aufzuhalten. In diesem Augenblick betrachtete Celeste Heredia die kostbare Tapete und murmelte:

»Ich hätte Lust, sie anzuzünden.«

Ihr Bruder blickte sie sichtlich überrascht an:

»Warte damit bis Manzanillo.«

»Erlaubst du es mir?«

»Natürlich!«

Die restliche Fahrt über sagte das Mädchen kein Wort mehr und schloß die Augen, nicht weil die anstrengende Fahrt sie ermüdet hätte, sondern weil sie sich ganz der Vorfreude hingeben wollte, bald die verhaßte Kutsche in Asche sinken zu sehen.

Für die übrigen Einwohner der Insel mochte die Kutsche ein Symbol der Tyrannei sein, für Celeste war sie darüber hinaus auch das Sinnbild der Perversion.

Zwischen den engen, flammend rot ausgeschlagenen Wänden der Kutsche hatte Celeste, die sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal als Frau fühlte, zum ersten Mal die verstohlenen Blicke des feurigen Liebhabers ihrer Mutter wahrgenommen. Hier hatte Don Hernando Pedrárias, den Blicken der Außenwelt entzogen, mit seinen schleichenden und hinterhältigen sexuellen Nachstellungen begonnen.

Aus einem merkwürdigen Grund, den Celeste niemals nachvollziehen konnte, schien die stickige intime Atmosphäre im Inneren der Kutsche und deren ständiges Rattern den Gesandten der Casa de Contratación besonders zu erregen. Fast unmerklich wurde aus anzüglichen Blicken kaum verhohlenes Herumscharwenzeln, um schließlich in ein widerwärtiges erotisches Spiel auszuarten, in dem es nicht so sehr darum ging, das Mädchen körperlich zu besitzen, sondern vielmehr um das morbide Vergnügen, es sittlich zu verderben.

Don Hernando Pedrárias Gotarredona wußte nämlich nur zu gut, daß die Heilige Inquisition, die einzige Autorität, die er wirklich fürchtete, ihn trotz seines hohen Rangs mit extremer Strenge richten würde, falls er auf die unselige Idee käme, ein minderjähriges Mündel zu mißbrauchen. Daher hatte er sich für einen Umweg entschieden: Er wollte sie so sehr erregen, daß sie ihm an dem Tag, an dem er sie dafür reif ansah, mit gleicher Leichtigkeit in die Arme fallen würde wie einst ihre Mutter.

»Woran denkst du, wenn du deine Mutter mitten in der Nacht schreien hörst?« hatte er sie an einem schwülen Mittag belästigt, an dem sie gemeinsam nach Porlamar fuhren. »Bist du nicht neugierig?«

»In der Nacht schlafe ich«, hatte die trockene Antwort des charakterfesten Mädchens gelautet.

»Nicht doch!« hatte Don Hernando spöttisch geantwortet. »Ich weiß, daß du nicht schläfst. Ich weiß, daß du lauschst, und ich kann mir vorstellen, daß du dann, wenn du sie hörst, dich da zu streicheln beginnst, wo du es am liebsten hast.« Er blickte ihr direkt in die Augen und senkte die Stimme: »Gefällt dir das?«

Er erhielt nur einen stummen Blick voller Verachtung, worauf er ein gezwungenes Lachen hören ließ.

»Ach komm! Spiel nicht die Unschuldige! Ich weiß doch, daß sich die Mädchen deines Alters gern allein vergnügen, aber ich garantiere dir, es macht dir noch viel mehr Spaß, wenn dir einer dabei zusieht.«

Celeste blieb weiterhin stumm. Nachdem Hernando eine Weile aus dem Fenster gesehen hatte, fuhr er fort:

»Du mußt dich deshalb nicht schämen, denn wenn dich eines Tages ein Mann streichelt, wirst du es um so mehr genießen.« Er blickte ihr anzüglich zwischen die Oberschenkel. »Warum zeigst du mir nicht, wie du es machst?« säuselte er. »Na komm, heb den Rock!«

»Du bist ein Schwein«, gab Celeste knapp zurück.

Don Hernando Pedrárias neigte sich ein wenig vor und verpaßte ihr eine sanfte Ohrfeige.

»Das ist ja die Höhe!« heuchelte er den Beleidigten. »Wie redest du denn mit mir, wo ich doch nur Verständnis aufbringen will. Ich werde dich nicht anrühren. Ich möchte nur, daß du so tust, als wärst du allein.«

Als einzige Antwort zeigte das kecke Mädchen ein spöttisches Lächeln und ließ einen lauten Furz hören.

»Das mache ich, wenn ich allein bin.«

»Unverschämte Närrin!« tobte ihr Gegenüber. »Ohne mich würdest du schon seit Jahren bettelnd durch die Straßen ziehen, und wahrscheinlich würdest du inzwischen schon deinen Körper verkaufen wie alle aus deiner Sippschaft. Wegen mir lebst du in einem Palast, hast Kleider, Diener und sogar einen Lehrer, der dir alles beigebracht hat, was du weißt, und so bezahlst du dafür.«

»Meine Mutter hat schon für mich bezahlt«, kam es trocken zurück.

»Was sie heute bezahlt, ist nicht mehr viel wert. Deshalb wirst du entweder bald dein Verhalten oder deine Lebensweise ändern, denn ich bin es inzwischen leid, Schmarotzer durchzufüttern.« Er deutete aus dem Fenster. »Und ich garantiere dir, das Leben da draußen ist kein Zuckerschlecken.«

Nach dieser unangenehmen Szene wurde Don Hernandos Druck immer stärker und widerwärtiger, so daß Celeste sich gezwungen sah, nicht mehr mit ihm in eine Kutsche zu steigen, nicht einmal für die kurze Fahrt zum nahen Franziskanerkloster in La Asuncion.

Im Haus selbst hielt sich Don Hernando Pedrárias mit seinen Avancen zurück. Vielleicht war Emilianas Anwesenheit daran schuld, vielleicht aber auch die Furcht vor den Bemerkungen einiger Diener, die alle seine Worte und Gesten mit Argusaugen zu verfolgen schienen. Das Mädchen war jedoch davon überzeugt, daß ihre eigene Mutter ihm den Weg ebnen würde.

In einer Nacht schließlich, in der Emiliana Matamoros offenbar vergeblich versucht hatte, den Mann zu erregen, wegen dem sie ihren Gatten verlassen hatte, weckte sie ihre Tochter auf und eröffnete ihr ein Geheimnis, das im ganzen Haus, ja auf der ganzen Insel bereits die Spatzen von den Dächern pfiffen.