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»Nein. Aber Sie machen sich viel Mühe mit mir.«

»Ich esse nicht gern allein. Das ist alles. Genau wie Sie.« »Ich bin kein guter Partner.«

»Doch«, erwiderte Ravic. »Zum Essen schon. Zum Essen sind Sie ein erstklassiger Partner. Ich kann keine geschwätzigen Menschen leiden. Und keine, die zu laut sprechen.«

Er sah zu Albert hinüber. Der rote Federhut erklärte dem gerade sehr vernehmlich, warum er ein solches Schwein sei, und klopfte dabei rhythmisch mit dem Regenschirm auf den Tisch. Albert hörte geduldig zu und war nicht sehr beeindruckt.

Joan Madou lächelte flüchtig. »Das kann ich nicht.«

»Hier kommt der nächste Vorratswagen. Wollen wir gleich heran, oder wollen Sie vorher eine Zigarette rauchen?«

»Lieber vorher eine Zigarette.«

»Gut. Ich habe heute andere bei mir als die mit dem schwarzen Tabak.«

Er gab ihr Feuer. Sie lehnte sich zurück und atmete tief den Rauch ein. Dann sah sie Ravic voll an. »Es ist gut, so zu sitzen«, sagte sie, und es schien ihm einen Augenblick, als würde sie sofort in Tränen ausbrechen.

Sie tranken Kaffee im »Colysée«. Der große Raum zu den Champs Elysées war überfüllt, aber sie bekamen einen Tisch unten in der Bar, in der die obere Hälfte der Wände mit Glasscheiben verkleidet war, hinter denen Papageien und Kakadus hockten und bunte tropische Vögel hin und her flogen.

»Haben Sie schon darüber nachgedacht, was Sie tun wollen?« fragte Ravic.

»Nein, noch nicht.«

»Hatten Sie irgendwas Bestimmtes vor, als Sie hierher kamen?«

Die Frau zögerte. »Nein, nichts Genaues.«

»Ich frage Sie nicht aus Neugier.«

»Das weiß ich. Sie meinen, ich solle etwas tun. Das will ich auch. Ich sage es mir selbst jeden Tag. Aber dann...«

»Der Wirt sagte mir, Sie seien Schauspielerin. Ich habe ihn nicht danach gefragt. Er sagte es mir, als ich nach Ihrem Namen fragte.«

»Wußten Sie ihn nicht mehr?«

Ravic blickte auf. Sie sah ihn ruhig an. »Nein«, sagte er. »Ich hatte den Zettel im Hotel gelassen und konnte mich nicht mehr erinnern.«

»Wissen Sie ihn jetzt?«

»Ja. Joan Madou.«

»Ich bin keine gute Schauspielerin«, sagte die Frau. »Ich habe nur kleine Rollen gespielt. In der letzten Zeit nichts mehr. Ich spreche auch nicht gut genug Französisch dafür.«

»Was sprechen Sie denn?«

»Italienisch. Ich bin da aufgewachsen. Und etwas Englisch und Rumänisch. Mein Vater war Rumäne. Er ist tot. Meine Mutter Engländerin; sie lebt noch in Italien, ich weiß nicht, wo.«

Ravic hörte nur halb zu. Er langweilte sich und wußte nicht mehr recht, was er reden sollte. »Haben Sie außerdem noch etwas getan?« fragte er, um etwas zu fragen. »Außerhalb der kleinen Rollen, die Sie gespielt haben?«

»Das, was so dazugehört. Etwas singen und tanzen.«

Er blickte sie zweifelnd an. Sie sah nicht so aus. Sie hatte etwas Fahles, Verwischtes, und sie war nicht attraktiv. Sie sah nicht einmal aus wie eine Schauspielerin. Das war ohnehin ein weites Wort.

»So etwas können Sie ja leichter hier versuchen«, sagte er. »Dazu brauchen Sie nicht perfekt zu sprechen.«

»Nein. Aber ich muß erst etwas finden. Das ist schwer, wenn man niemand kennt.«

Morosow, dachte Ravic plötzlich. Die Scheherazade. Natürlich. Morosow mußte von solchen Sachen etwas wissen. Der Gedanke belebte ihn. Morosow hatte ihn in diesen trüben Abend hineingebracht — jetzt konnte er die Frau an ihn weiterschieben, und Boris sollte einmal zeigen, was er konnte. »Können Sie Russisch?« fragte er.

»Etwas. Ein paar Lieder. Zigeunerlieder. Sie sind so ähnlich wie rumänische. Warum?«

»Ich kenne jemand, der von diesen Dingen etwas versteht. Vielleicht kann er Ihnen helfen. Ich werde Ihnen seine Adresse geben.«

»Ich fürchte, es hat nicht viel Zweck. Agenten sind überall gleich. Empfehlungen nützen da wenig.«

Ravic merkte, daß sie annahm, er wolle sie auf bequeme Art loswerden. Da es stimmte, protestierte er. »Der Mann, den ich meine, ist kein Agent. Er ist Portier in der Scheherazade. Das ist ein russischer Nachtklub in Montmartre.«

»Portier?« Joan Madou hob den Kopf. »Das ist etwas anderes. Portiers wissen mehr als Agenten. Das kann etwas sein. Kennen Sie ihn gut?«

»Ja.«

Ravic war überrascht. Sie hatte auf einmal ganz geschäftsmäßig gesprochen. Das geht ja schnell, dachte er. »Es ist ein Freund von mir. Er heißt Boris Morosow«, sagte er. »Er ist seit zehn Jahren in der Scheherazade. Sie haben da immer eine ziemlich große Show. Die Nummern wechseln oft. Morosow ist mit dem Manager befreundet.Wenn in der Scheherazade nichts für Sie frei ist, weiß er sicher etwas anderes — irgendwo. Wollen Sie es versuchen?«

»Ja. Wann?«

»Am besten so um neun Uhr abends. Dann ist noch nichts zu tun, und er hat Zeit für Sie. Ich werde ihm Bescheid sagen.« Ravic freute sich bereits auf das Gesicht Morosows. Er fühlte sich plötzlich besser. Die leichte Verantwortung, die er immer noch gespürt hatte, war verschwunden. Er hatte getan, was er konnte, und nun mußte sie weitersehen. »Sind Sie müde?« fragte er.

Joan Madou blickte ihm gerade in die Augen. »Ich bin nicht müde«, sagte sie. »Aber ich weiß, daß es kein Vergnügen ist, mit mir hier zu sitzen. Sie haben Mitleid mit mir gehabt, und ich danke Ihnen dafür. Sie haben mich aus dem Zimmer genommen und mit mir gesprochen. Das war viel für mich, denn ich habe seit Tagen kaum mit jemand ein Wort gewechselt. Ich werde jetzt gehen. Sie haben mehr als genug für mich getan. All die Zeit schon. Was wäre sonst aus mir geworden!«

Mein Gott, dachte Ravic, jetzt fängt sie auch noch damit an! Er sah unbehaglich auf die Glaswand vor sich. Eine Taube versuchte dort, einen Kakadu zu vergewaltigen. Der Kakadu war so gelangweilt, daß er sie nicht einmal abschüttelte. Er fraß einfach weiter und ignorierte sie.

»Es war kein Mitleid«, sagte Ravic.

»Was sonst?«

Die Taube gab auf. Sie hüpfte von dem breiten Rükken des Kakadus herunter und begann ihre Federn zu putzen. Der Kakadu lüftete gleichgültig seinen Schwanz und schiß.

»Wir werden jetzt einen guten, alten Armagnac trinken«, sagte Ravic. »Das ist die beste Antwort. Glauben Sie mir: Ich bin kein so besonderer Menschenfreund. Es gibt viele Abende, wo ich allein irgendwo herumsitze. Halten Sie das für besonders interessant?«

»Nein, aber ich bin ein schlechter Partner, und das ist schlimmer.«

»Ich habe verlernt, nach Partnern zu suchen. Hier ist Ihr Armagnac. Salute!«

»Salute!«

Ravic setzte sein Glas nieder. »So, und jetzt werden wir aus dieser Menagerie hier verschwinden. Sie möchten doch noch nicht ins Hotel zurück?«

Joan Madou schüttelte den Kopf.

»Gut. Dann werden wir weitergehen. Und zwar zur Scheherazade.Wir werden da trinken. Das haben wir beide scheinbar nötig, und Sie können dann gleich ansehen, was dort los ist.«

Es war gegen drei Uhr nachts.

Sie standen vor dem Hotel Milan. »Haben Sie genug getrunken?« fragte Ravic.

Joan Madou zögerte. »Ich dachte, es wäre genug drüben in der Scheherazade. Aber jetzt hier, wenn ich diese Tür ansehe — es war nicht genug.«

»Dagegen läßt sich etwas tun. Vielleicht gibt es hier im Hotel noch etwas. Sonst gehen wir in eine Kneipe und kaufen eine Flasche. Kommen Sie.«

Sie sah ihn an. Dann sah sie die Tür an. »Gut«, sagte sie mit einem Entschluß. Doch sie blieb stehen. »Da hinaufgehen«, sagte sie. »In das leere Zimmer...«

»Ich werde Sie hinaufbringen. Und wir werden eine Flasche mitnehmen.«

Der Portier erwachte. »Haben Sie noch etwas zu trinken?« fragte Ravic.

»Champagnercocktail?« fragte der Portier sofort geschäftsmäßig zurück, während er noch gähnte.

»Danke. Etwas Herzhafteres. Kognak. Eine Flasche.«

»Courvoisier, Martell, Hennessy, Biscuit Dubouche?«

»Courvoisier.«

»Sehr wohl, mein Herr. Ich werde den Kork ziehen und die Flasche heraufbringen.«

Sie gingen die Treppe hinauf. »Haben Sie Ihren Schlüssel?« fragte Ravic die Frau.