«Er wollte sterben, Thomas. Verstehen Sie das nicht?«Er drehte sich um, spähte hinüber zu seinem eigenen Schiff und erblickte Keen. Bolitho hob den Arm zu einem müden Salut. Jemand kam mit einem Verband, um die Blutung zu stillen.»Er hatte die Schlacht verloren und wollte wenigstens seinen Stolz retten.»
Bolitho bahnte sich einen Weg durch die geschwärzten und blutenden Männer. Das Ganze kam ihm so unwirklich vor. Er sah auf zum Himmel über den Masten und durchlöcherten Segeln, schaute dann seinen Freund an und fügte leise hinzu:»Auf irgendeine Weise ist Jobert damit doch Sieger geblieben.»
Allday hörte ihn und legte seinem Sohn den Arm um die Schulter.
Der Stolz auf Freund oder Feind bedurfte keiner Worte.
Epilog
Erst sechs Monate später kehrte Richard Bolitho nach England zurück. Noch immer verfolgten ihn die grausigen Szenen dieser letzten, verzweifelten Schlacht, aber in der Heimat war ihr Sieg über anderen Ereignissen inzwischen fast vergessen.
Bolithos Geschwader hatte für diesen Sieg einen hohen Preis an Menschenleben zahlen müssen. Auch seine Schiffe waren schwer beschädigt in die Docks von Malta und Gibraltar gehinkt.
Zwei französischen Zweideckern war es gelungen, sich davonzustehlen, auch eine unbeschädigte Fregatte war entkommen. Denn keines von Bolithos Schiffen war intakt genug, um sie zu verfolgen und aufzubringen. Joberts Flaggschiff blieb die Schmach erspart, unter der Flagge des Feindes kämpfen zu müssen. Zuletzt war unter Deck ein Feuer ausgebrochen, dem viele seiner Verwundeten zum Opfer fielen, und erst nach großen Anstrengungen aller Seeleute, Franzosen wie Engländer, war Leopard vor der völligen Vernichtung bewahrt worden. Den Rest seines Lebens würde das einstmals stolze Schiff nun als Hulk oder Wohnschiff zubringen.
Alle anderen französischen Schiffe waren aufgebracht worden. Allerdings hatte Bolitho befürchtet, mindestens zwei könnten auf der Fahrt zum schützenden Hafen noch sinken.
Oft dachte er an die vertrauten Gesichter, die er nie wiedersehen würde. Vor allem an Kapitän Inch, der im Kampf für seine Männer gestorben war. Kapitän Montresor war noch im letzten Augenblick gefallen, als das französische Flaggschiff schon die Flagge strich. Houston von der Icarus war unversehrt und nörgelnd wie immer davongekommen, obwohl sein Schiff von der ersten Breitseite an im dicksten Getümmel gekämpft hatte. Die beiden kleinsten Schiffe, Rapid und Firefly, hatten nur wenige Verluste zu beklagen, obwohl eine einzige französische Breitseite sie hätte versenken können.
Nur von den beiden Briggs begleitet, lief Argonaute notdürftig repariert im Juni 1804 in Plymouth ein.
Wieder standen Bolitho grelle Bilder vor Augen, als er die Augenblicke nach ihrem Eintreffen noch einmal durchlebte: die wilde Erregung, die Flaggengrüße und Salutschüsse, als Argonaute endlich Anker warf. Da der Wind sie im Stich gelassen hatte, waren sie im Ärmelkanal nur langsam vorangekommen. Er erinnerte sich noch genau an die Begeisterung der jubelnden Menschen am Hafen, die so oft in Trauer umschlug, wenn wieder eine Familie erfuhr, daß ein Angehöriger nicht zurückgekehrt war.
Admiral Sheaffe war persönlich zur Stelle gewesen. Bo-litho hatte vorgehabt, den Mann zur Rede zu stellen, ihn zu fragen, warum er Keen als Waffe gegen die Bolithos mißbraucht hatte. Doch der Admiral machte sich zunächst umständlich an die Begrüßung seines Sohnes. Und dann kam ein Moment, den Bolitho nie vergessen würde.
Der Admiral, beobachtet von seinen Adjutanten und einigen Freunden, hatte dem jungen Sheaffe die Hände auf die Schultern gelegt.
Vielleicht hatte der Fähnrich sich Stayts letzter Worte erinnert oder des Tages, an dem Bolitho auf ihn gewartet hatte, obwohl Supreme Gefahr drohte.
Jedenfalls sagte der junge Sheaffe fest zu seinem Vater:»Pardon, Sir, ich kenne Sie nicht!«Und eilte starren Blicks davon.
An Land hatte Bolitho Zenoria die letzten Meter übers Kopfsteinpflaster laufen gesehen, mit wehendem Haar. Er war froh und neidisch zugleich gewesen. Ohne sich um die grinsenden Matrosen zu kümmern, hatte Keen sie in die Arme genommen und sein Gesicht wortlos in ihrem Haar verborgen.
Sie hatte Bolitho mit feuchten Augen angeschaut und leise gesagt:»Danke.»
Was er für sich selbst erwartet hatte, wußte Bolitho nicht genau. Vielleicht, daß Belinda nach Plymouth gekommen wäre, um auf ihn zu warten wie Zenoria. Aber sie war nicht da.
An die Zeit, die er danach in Plymouth mit der Regelung seiner Angelegenheiten verbracht hatte, konnte er sich nur undeutlich erinnern. Anschließend war er mit Firefly nach Falmouth gesegelt. Eine kleine Brigg würde kein Aufsehen erregen. Bolitho scheute einen erneuten Heldenempfang, den Lärm und die Neugier jener, die das wahre Gesicht des Krieges nicht kannten.
So stand er an diesem sonnigen Junimorgen mit Adam am Schanzkleid der Firefly, die träge in ihre Ankertrosse eindrehte. Wieder daheim.
Links und rechts grüne Hänge und vertäute Schiffe, bunte Felder, die sich in eigenwilligen Mustern landeinwärts zogen. Häuser und Fischerhütten und die finstere graue Masse von Pendennis Castle, die den Hafeneingang beherrschte. Nichts hatte sich verändert, doch Bolitho spürte, daß es nie mehr so sein würde wie früher.
Zeit zum Abschiednehmen. Adam hatte Order, mit neuen Depeschen nach Irland zu segeln.
«Nun, Onkel?«Er musterte ihn besorgt.
Bolitho sah Allday an der Reling stehen und auf die Gig längsseits hinabschauen. Er hatte Ozzard und Bankart mit Bolithos Gepäck per Kutsche nach Falmouth geschickt.
«So wird es immer sein, Adam«, sagte Bolitho.»Kurze Abschiede, noch kürzere Begrüßungen. «Er sah sich auf dem ordentlichen Deck um. Kaum zu glauben, daß dieses Schiff mit einem mächtigen Zweidecker gekämpft und überlebt hatte. Auch Rapid hatte es geschafft. Quarrell hatte allerdings darum gebeten, die geborgten Kanonen wieder entfernen zu dürfen, denn ihr Rückstoß hatte mehr Schaden angerichtet als der Feind.
«Ich würde gern mit dir an Land gehen, Onkel.»
Bolitho legte Adam die Hand auf die Schulter.»Das hat Zeit. Du wirst gebraucht, und ich freue mich für dich. «Er sah zu dem rastlosen Wimpel am Masttopp auf.»Dein Vater wäre stolz auf dich gewesen.»
Damit ging er zur Bordwand, wo der Erste Offizier mit der Ehrenwache wartete.
In der Gig beobachtete Allday Bolitho schweigend, als dieser sich umdrehte und seinem Neffen zuwinkte. Die Brigg holte schon den Anker kurzstag und würde auslaufen, sobald die Gig zurückgekehrt war. Allday dachte an seinen Sohn, der schon unterwegs war zu Bolithos Haus. Würde er jemals wieder zur See fahren? Überraschenderweise war ihm diese Entscheidung inzwischen nicht mehr wichtig. Mein Sohn: schon der Gedanke machte ihn glücklich und dankbar. Er hatte ihm das Leben gerettet und wäre für ihn gestorben, wenn Midshipman Sheaffe nicht geschossen hätte.
Er musterte Bolithos ausdrucksloses Gesicht. Der Admi-ral machte sich Sorgen wegen seiner Augen. Immerhin würde Lady Belinda im Haus auf ihn warten. Vielleicht entschädigte ihn das?
Sie stiegen auf die warmen Ufersteine. Bolitho verabschiedete sich vom Bootsführer und drückte ihm zwei Gui-neen in die Hand. Der Mann bedankte sich überschwenglich.»Da trinken wir aber einen auf Sie, Sir!»
Bolitho ging auf die Stadt zu, bemüht, nicht zu zwinkern oder das Gleichgewicht zu verlieren wie an dem Tag, als er Jobert zum letzten Mal gegenübergestanden hatte. Hinter sich hörte er Alldays schweren Schritt; es waren nur wenige Menschen unterwegs. Die meisten arbeiteten auf den Feldern oder fischten. Falmouth lebte von der Erde und vom Meer.
Eine erschöpfte Frau ging mit einem Gemüsekorb am Arm auf eine Hintergasse zu. Als sie Bolitho sah, blieb sie stehen und machte einen ungelenken Knicks.