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Leutnant Giles Vibart fluchte, als er auf den losen Steinen ausrutschte und ein Matrose gegen ihn prallte. Die graue Morgendämmerung ließ erkennen, was der Nachtwind angerichtet hatte. Das lange Gras und der Stechginster lagen an die Erde gedrückt und glänzten vor Nässe. Er tastete nach seiner Uhr und hob dann die Hand.

«Wir machen einen Augenblick halt. «Er hörte, daß sein Befehl von Mann zu Mann weitergegeben wurde, und wartete, bis die Leute sich neben dem holprigen Pfad niedergelassen hatten, ehe er sich den beiden Fähnrichen und dem Stückmeister zuwandte.

«Lassen wir den Faulpelzen zehn Minuten zum Ausruhen. Dann marschieren wir weiter. «Er blickte sich um, als ein schwacher Sonnenstrahl seine Wange traf.»Sie gehen mit Ihrer Gruppe landeinwärts, Mr. Farquhar, um etwaigen Nachzüglern den Rückweg abzuschneiden.»

Farquhar zuckte mit den Schultern und stieß nach einem Stein.»Und wenn niemand kommt, Sir?»

Vibart fuhr ihn an:»Tun Sie, was Ihnen befohlen wird!»

Maynard, der andere Fähnrich, schob seinen Dolch zurecht und musterte besorgt die lagernden Seeleute.»Hoffentlich desertiert keiner von ihnen. Das würde dem Kapitän wenig behagen.»

Der Stückmeister grinste träge:»Ich hab sie selber ausgewählt. Alles alte Teerjacken. «Er riß einen Grashalm aus und kaute darauf herum.»Alles gepreßte Leute. Für einen solchen Auftrag sind sie viel besser geeignet als Freiwillige.»

Vibart nickte.»Völlig richtig, Mr. Brock. Kein Matrose schätzt den Gedanken, daß es anderen besser gehen soll als ihm selbst.»

Brock runzelte die Stirn.»Und warum auch? Es wäre ungerecht, von der Flotte zu erwarten, daß sie blutige Seeschlachten schlagen und das Land vor den Froschfressern bewahren soll, ohne daß diese faulen und verwöhnten Zivilisten dabei mithelfen! Sie scheffeln Geld und leben glücklich und zufrieden mit ihren Frauen, während wir die harte Arbeit erledigen. «Er spie den Grashalm aus.»Zur Hölle mit ihnen, das ist meine Meinung.»

Vibart ging zum Rand der Klippe und sah zu dem felsigen Strand hinunter. Der Wind pfiff durch das verfilzte Gras, und er mußte von neuem daran denken, wie die Fregatte durch die Nacht gestürmt war. So wäre Pomfret nie gesegelt. Pomfret schätzte ein seetüchtiges Schiff, das schon. Aber er betrachtete es doch mehr als ein Besitztum, denn als Waffe. Pomfret saß in seiner prächtig ausstaffierten Kajüte, schlürfte seinen Lieblingswein und schwelgte in gutem Essen, während er, Vibart, das Schiff führte und alle seemännische Arbeit verrichtete, zu der der Kapitän nicht imstande war. Ruhelos trat er von einem Fuß auf den anderen, während ihm die Galle hochstieg und er voller Wut an die Ungerechtigkeit dachte, die ihm widerfahren war.

Was hatte Pomfret ihm nicht alles versprochen! Ein Wort am richtigen Ort, und sein Erster Leutnant würde befördert werden. Bis dahin brauche Vibart nichts anderes zu tun, als das Schiff richtig zu führen und die Disziplin aufrechtzuerhalten. Er, Pomfret, würde dann alles Weitere regeln.

Der Kapitän war an Prisengeld nicht interessiert. Er war reich, weit über Vibarts Vorstellung hinaus. Und auch Ruhm war ihm gleichgültig. Ja, seine Unfähigkeit hielt seiner Feigheit die Waage. Vibart hatte Pomfrets Schwächen überdecken und seine Leidenschaften lenken können — bis auf eine. Wie viele Feiglinge, war Pomfret brutal und sadistisch. Harte Disziplin betrachtete Vibart als Notwendigkeit, aber sinnlose Grausamkeit schien ihm zwecklos.

Doch Vibart war nur Leutnant, ein Leutnant von schon dreiunddreißig Jahren. Die meisten Offiziere waren bereits als Knaben zur Marine gekommen, er nicht. Aber seine Laufbahn war nicht weniger hart gewesen. Auf Handelsschiffen hatte er die ganze Welt umsegelt. Die letzten drei Jahre war er als Erster gefahren, auf einem Sklavenschiff. Dort hatte er schnell begriffen, daß sinnlose Brutalität sich nicht auszahlte, wenn man am Ende der Fahrt die Laderäume nicht voll nutzloser Leichen haben wollte.

Vibart drehte sich verärgert um und rief:» Auf, es geht weiter!«Aus brütenden Augen verfolgte er, wie die Männer nach ihren Waffen griffen und den Pfad entlangtrotteten, während dieser arrogante junge Esel Farquhar über den Hügel hinauf ins Binnenland abzog. Typisch, schoß es Vibart durch den Kopf: achtzehn Jahre alt, verwöhnt und von guter Abkunft. Und ein einflußreicher Admiral wachte über sein Fortkommen wie ein Kindermädchen. Sein Blick ruhte flüchtig auf dem schmächtigen Maynard.»Halten Sie nicht Maulaffen feil! Setzen Sie sich an die Spitze der Abteilung!»

Nun, trotz ihres Vorsprungs an Herkommen und Einfluß hatte er es ihnen gezeigt. Der Gedanke daran wärmte sein Inneres wie Rum. Ihm war seinerzeit schnell klargeworden, daß es gegen Pomfrets Schwächen keine Abhilfe gab. Und nicht weniger gut hatte er bald begriffen, daß jeder Widerstand gegen den Kapitän alle seine Hoffnungen auf Beförderung begraben hätte.

An Bord der unglückseligen Fregatte hatte er einen Verbündeten besessen, David Evans, den Proviantmeister, der ihn über alle Vorgänge in den Decks informierte. Evans war ein Teufel. Sobald das Schiff an die Küste kam, ging er an Land und handelte Vorräte und Proviant ein. Dabei nutzte er seinen hellen Verstand und seine flinke Zunge, um das Allerschlechteste einzukaufen, das ranzigste, widerlichste Zeug, das er auftreiben konnte. Das ersparte Geld steckte er in die eigene Tasche. Als Erster Offizier durchschaute Vibart den Trick, gebrauchte sein Wissen aber zum eigenen Vorteil. Evans verfügte in den Zwischendecks über ergebene Speichellecker, verläßliche Männer, die gegen kleine Entlohnung ihre Kameraden bereitwillig verrieten.

So hatte Vibart denn die Mannschaft sorgfältig und methodisch mehr und mehr unter Druck gesetzt. Doch alle Auspeitschungen erfolgten im Namen des Kapitäns, nie in seinem. Was auch geschehen mochte, falls die Männer je gegen die Schikanen aufbegehren sollten, er, Vibart, mußte sicherstellen, daß er im kritischen Moment zur Stelle war und daß er aus jeder Untersuchung ohne Tadel hervorging.

Evans hatte ihm von der beabsichtigten Meuterei berichtet. Es war Vibart klargewesen, daß der Augenblick endlich gekommen war. Als er Pomfret vorschlug, den ausgepeitschten Fisher wie eine gehäutete Galionsfigur an den Bugspriet zu binden, wußte er genau, daß das die Wut steigern und die Flammen der Meuterei anfachen mußte. Als letzter Anstoß sozusagen.

Die Anführer der Meuterei hatten den Zeitpunkt gut gewählt, das mußte er zugeben. Hätte Okes die Wache gehabt, wäre er vielleicht in Panik geraten und hätte einen Lärm geschlagen, den selbst der vom Alkohol betäubte Pomfret in seiner Koje gehört hätte. Mit Herrick war es anders. Der dachte nach, überlegte. Es stand zu erwarten, daß er mit den Männern reden würde, daß er eher versuchen würde, einen Aufstand zu verhindern, als ihn durch brutale Gewalt zu zerschlagen.

Vibart wußte alles, selbst den Zeitpunkt. Atemlos wartete er in seiner Kabine, mit den Seesoldaten, deren Sergeant einer seiner willigen Helfer war, an seiner Seite. Der Plan war so einfach, daß Vibart am liebsten gelacht hätte.

Die Meuterer würden das Achterdeck stürmen und die Wache überwältigen. Statt Alarm zu schlagen und so Pomfret den Vorwand für eine neue blutige Raserei zu geben, würde Herrick versuchen, die Leute zu beruhigen, indem er sich ihre Beschwerden anhörte. Aber die Meuterer würden ihn töten, und dann konnte Vibart hinaufstürmen und das Achterdeck mit

Musketenfeuer freifegen.

Bei der Verhandlung vor dem Kriegsgericht würde selbst der voreingenommenste Admiral erkennen müssen, daß Vibart das Schiff gerettet hatte, als einer der Offiziere mit seiner Wache bereits niedergemacht war und der Kapitän betrunken in seiner Koje schlief.

Selbst jetzt, auf dem feuchten Abhang, konnte sich Vibart an das Geräusch seines Atems in der Kajüte erinnern. Hörte nochmals, wie die Meuterer verstohlen heranschlichen, gerade als es am Bug zwei Glasen schlug. Doch es gab keine Schüsse, keine Schreie. Weder das Klirren von Stahl, noch Herricks Todesröcheln.