Aber der kleine Empath hatte zu einer Antwort keine Gelegenheit mehr, denn die Patientin öffnete gerade die Augen und kämpfte so gewaltsam gegen die Körpergurte an, daß der in der Luftröhre steckende Schlauch herauszurutschen drohte.

Instinktiv griff Thornnastor über die Patientin, um den Luftschlauch festzuhalten, doch dadurch geriet die DBPK in nur noch größere Panik.

Ihre Angst war so groß, daß der für Emotionen empfängliche und an der Decke haftende Prilicla durch sein ungemein heftiges Zittern Gefahr lief abzustürzen. Plötzlich versteifte sich die Patientin und blieb mehrere Minuten lang vollkommen regungslos liegen. Aber als der Cinrussker Mitgefühl und Beruhigung ausstrahlte, entspannte sie sich allmählich wieder.

„Danke schön, Doktor Prilicla“, sagte Thornnastor. „Wenn wir die Verständigung hergestellt haben, werde ich mich wohl bei der Patientin entschuldigen müssen, daß ich sie fast zu Tode erschreckt hab. Versuchen Sie ihr in der Zwischenzeit unser Wohlwollen klarzumachen.“

„Natürlich, Freund Thornnastor“, entgegnete der Empath. „Mittlerweile empfindet sie keine panische Angst mehr, sondern ist eher besorgt. Sie scheint über irgend etwas zutiefst beunruhigt zu sein, das ich…“ Prilicla brach den Satz ab und fing wieder heftig zu zittern an.

Dann geschah etwas vollkommen Unmögliches.

Thornnastor geriet auf seinen sechs stämmigen Beinen, die den Angehörigen der tralthanischen Spezies normalerweise einen so festen Stand gaben, daß sie häufig sogar im Stehen schliefen, gehörig ins Schwanken, dann stürzte er kopfüber auf die Seite, wobei das dadurch entstandene Geräusch Conways Anzugmikrofon total überlastete. Ein paar Meter vom Behandlungstisch entfernt, sank der Melfaner Edanelt, Thornnastors Assistent, langsam zu Boden. Seine sechs mit vielen Gelenken versehenen Beine wurden zunehmend schlaffer, bis er schließlich mit der Unterseite seines Ektoskelett geräuschvoll auf den Boden schlug. Auch die kelgianische Operationsschwester war zu Boden geglitten, während der silbrige Pelz auf dem langen, zylindrischen Körper wogte und Falten warf, als würde über ihn ein kleiner Wirbelsturm toben. Ein neben Conway stehendes Mitglied des Transportteams fiel kraftlos auf Hände und Knie, kroch noch ein kurzes Stück über den Boden, rollte schließlich auf die Seite und krümmte sich zusammen. Aus Conways Translator kam jetzt kein einziges verständliches Wort mehr, da viel zu viele ETs gleichzeitig sprachen und die Terrestrier sie noch zu übertönen versuchten.

„Das kann doch einfach nicht wahr sein…“, rief er ungläubig.

Aus dem Kopfhörer in seinem Helm ertönte Murchisons Stimme über die Schiffsfrequenz. „Drei extraterrestrische Lebensformen und ein terrestrischer DBDG mit vier grundlegend verschiedenen Metabolismen und automatischer Immunität gegenüber Krankheiten anderer Spezies… das ist gleich vierfach unmöglich! Soweit ich sehen kann, gibt es keine Anzeichen dafür, daß die anderen im Raum anwesenden Wesen betroffen sind.“

Selbst bei der Beobachtung des Unmöglichen blieb Murchison kühl und sachlich.

„… aber es ist nun mal geschehen“, setzte Conway sein Selbstgespräch fort. Er drehte den Außenlautsprecher des Anzugs lauter und sagte mit fester Stimme: „Hier spricht Chefarzt Conway. Ich gebe Ihnen jetzt folgende Anweisungen: Alle Mitglieder des Transportteams schließen sofort ihre Helme. Teamleiter, geben Sie Kontaminierungsalarm Stufe eins. Alle anderen entfernen sich unverzüglich von der Patientin…“ — wie Conway sah, taten sie das jedoch bereits in an Panik grenzender Eile —, „… diejenigen, die schon einen Schutzanzug tragen, bleiben hier. Die ungeschützten Sauerstoffatmer begeben sich zur Drucktragbahre und schließen sich dort zusammen mit so vielen anderen wie möglich luftdicht ein. Alle dann noch Übriggebliebenen benutzen die Atemmasken und Sauerstoffvorräte der Beatmungsmaschinen auf der Station. Es scheint sich um irgendeine durch die Luft übertragene Infektion zu handeln…“

Als auf dem Hauptbildschirm der Beobachtungsstation die zornigen Gesichtszüge des Chefpsychologen aufflammten, brach Conway ab.

Während O'Mara sprach, konnte Conway im Hintergrund das ständig wiederholte, aus einem langen und zwei kurzen Huptönen bestehende Signal der Notsirene hören, das den Worten des Chefpsychologen zusätzliche Dringlichkeit verlieh.

„Warum, zum Teufel, melden Sie da unten eine lebensbedrohliche Verseuchung, Conway? Verdammt noch mal, bei Ihnen kann gar keine Verseuchung der Luft oder des Wassers stattgefunden haben, es sei denn, die ganze Station ist überflutet und Sie alle ertrinken gerade. Aber dafür kann ich überhaupt keine Anzeichen erkennen!“

„Einen Moment“, bat Conway. Er kniete gerade neben dem zu Boden gestürzten Mitglied des Transportteams und tastete mit der Hand durch das offene Helmvisier an der Schläfenarterie nach dem Puls. Schließlich fand er ihn, ein schnelles, unregelmäßiges Pochen, das ihm überhaupt nicht gefiel, und er verschloß sofort das Visier des Mannes. „Vergessen Sie nicht, sämtliche nicht von den Masken bedeckte Atemöffnungen wie Nasenlöcher, die Kiemen der Melfaner und die Sprechöffnung bei den Kelgianern zu verschließen“, sagte Conway zu den Anwesenden auf der Station. „Und Sie da, der illensanische Arzt! Würden Sie Thornnastor und den Melfaner Edanelt untersuchen? Schnell, bitte! Prilicla, wie geht es der Patientin?“

Der Chloratmer watschelte sofort zum umgestürzten Thornnastor. „Ich heiße übrigens Gilvesh, Conway“, sagte er, wobei sein transparenter Anzug laut raschelte. „Aber für mich sehen die DBDGs auch alle gleich aus, deswegen sollte ich wohl nicht beleidigt sein.“

„Entschuldigen Sie, Gilvesh“, erwiderte Conway schnell. Die chloratmenden Illensaner galten allgemein als optisch abstoßendste und gleichzeitig körperlich eitelste Spezies der Föderation. „Eine schnelle Diagnose, bitte. Für andere Sachen haben wir jetzt keine Zeit. Was ist mit Thornnastor passiert, und worin bestehen die unmittelbaren physiologischen Auswirkungen?“

„Mein Freund“, meldete sich der immer noch heftig zitternde Prilicla zu Wort. „Der DBPK-Patientin geht es schon viel besser. Sie strahlt zwar noch Verwirrung und Beunruhigung aus, dafür aber keine Furcht mehr und nur noch minimales körperliches Unbehagen. Dagegen macht mir der Zustand der vier Kollegen große Sorgen. Aber leider ist deren emotionale Ausstrahlung wegen des hohen Emotionspegels auf der Station für eine genaue Bestimmung zu schwach.“

„Aha“, erwiderte Conway. Er wußte, daß es der kleine Empath niemals über sich bringen würde, die emotionalen Unzulänglichkeiten anderer Wesen auch nur ansatzweise zu kritisieren. „Achtung, alle mal herhören!“

fuhr er fort. „Abgesehen von den vier bereits betroffenen Wesen, gibt es keine unmittelbaren Anzeichen für eine weitere Ausbreitung der Krankheit, Infektion oder was auch immer. Ich würde sagen, alle, die durch die Hülle des Druckzelts geschützt sind oder durch eine Maske atmen, sind im Moment sicher. Also beruhigen Sie sich bitte! Wir sind darauf angewiesen, daß uns Prilicla mit einer schnellen Diagnose der Beschwerden Ihrer Kollegen hilft. Die kann er aber nicht stellen, wenn Sie alle Ihren Emotionen freien Lauf lassen.“

Während Conway diese Bitte vorbrachte, löste sich Prilicla von der Decke und flatterte mit seinen schimmernden Flügeln zu der kelgianischen Operationsschwester hinüber, die zur Zeit nur noch wie ein silbriger Fellhaufen aussah. Er zog seinen Scanner heraus und untersuchte damit den Körper der Kelgianerin. Gleichzeitig bemühte er sich, die emotionale Ausstrahlung der DBLF-Raupe aufzuspüren, zu isolieren und zu bestimmen.

Doch während dieser Aktion zitterte Prilicla nicht mehr.

„Keine Reaktion auf körperliche Stimulierung“, berichtete Gilvesh von der Untersuchung Thornnastor s. „Normale Temperatur, Atmung aktiv, Herztätigkeit schwach und unregelmäßig, die Augen reagieren zwar noch auf Licht, aber… das ist merkwürdig, Conway. Offensichtlich ist die Lunge stark in Mitleidenschaft gezogen worden, aber die auslösenden Faktoren sind mir völlig unklar. Außerdem beeinträchtigt der daraus resultierende Sauerstoffmangel die Herz- und Gehirntätigkeit. Ich kann allerdings weder Anzeichen von Lungengewebeschäden entdecken, die durch das Einatmen ätzender oder hochgiftiger Substanzen entstanden sind, noch irgend etwas, das auf die Aktivierung von Thornnastors Immunsystem hinweist. Die Muskeln sind nicht angespannt und üben keinerlei Widerstand aus. Die willkürlichen Muskeln scheinen sogar vollkommen entspannt zu sein.“