Kaum hatte er dem Mann den Helm abgenommen, konnte er sehen, daß dessen Gesicht rot angelaufen und schweißüberströmt war. Er hatte erhöhte Temperatur und eine ausgeprägte Photophobie — eine Lichtscheu also, die erklärte, warum der Lichtschutz am Visier angebracht worden war. Das Haar war naß und klebte an Stirn und Schädel des Mannes, als würde er gerade aus dem Wasser kommen. Das Trockenmittel im Anzug konnte die übermäßige Feuchtigkeit nicht mehr absorbieren, so daß die Gesichtsschutzscheibe durch die Kondensation undurchsichtig geworden war. Aus diesem Grund hatte Conway auch den am Kragenteil befestigten Medikamentenspender erst bemerkt, als der Helm abgenommen wurde.

Die Verabreichung des Medikaments erfolgte in der üblichen Form mittels eines durchsichtigen, eßbaren Plastikschlauchs, der in bestimmten Zeitabständen abgebissen wurde und in jedem Abschnitt eine einzelne, mit einem Farbcode versehene Kapsel enthielt.

„Hat irgendeiner der anderen Helme auch dieses Medikament gegen Übelkeit enthalten?“ fragte Conway.

„Bisher alle, Doktor“, antwortete Naydrad, deren vier Greiforgane unabhängig voneinander mit den Anzugverschlüssen beschäftigt waren, während ihre Augen nach oben rollten, um Conway anzusehen. Sie fuhr fort: „Der Verletzte, den wir zuerst ausgezogen haben, wies Symptome von Übelkeit auf, als ich Druck auf den Bauchbereich ausübte. Zu diesem Zeitpunkt war der Patient allerdings nicht bei vollem Bewußtsein, und das, was er sagte, war für eine Übersetzung nicht zusammenhängend genug.“

Prilicla pflichtete ihr bei, indem er sagte: „Die emotionale Ausstrahlung ist typisch für ein Wesen im Delirium, das wahrscheinlich durch die erhöhte Temperatur verursacht wird, mein Freund. Ich hab auch unregelmäßige und unkoordinierte Bewegungen beobachtet, die ebenfalls symptomatisch für ein Delirium sind.“

„Das sehe ich auch so“, entgegnete Conway. Aber wodurch wurde es verursacht? Die letzte Frage stellte er nicht laut, weil er die Antwort darauf nicht kannte. Und er hatte die düstere Vorahnung, daß selbst eine wirklich gründliche Untersuchung zu keinem Ergebnis führen würde. Schließlich half er der Oberschwester, die schweißgetränkte Kleidung des Patienten auszuziehen.

Alles deutete auf einen Hitzschlag und einen damit verbundenen Wasserentzug hin, was auch in Anbetracht der hohen Temperatur des Patienten und des damit verbundenen Verlusts an Körperflüssigkeit zu erwarten war. Sanftes Abtasten des Bauchbereichs erzeugte bei dem Patienten ein unwillkürliches Würgen, obwohl der Magen, soweit Conway erkennen konnte, keine Fremdstoffe enthielt, und der Mann seit mehr als vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte.

Der Pulsschlag war ein wenig erhöht, aber regelmäßig, die Atmung hingegen war ungleichmäßig und mit der Tendenz zu stoßweise auftretendem Husten. Als Conway den Rachen untersuchte, entdeckte er eine schwere Entzündung, und der Scanner zeigte an, daß sie sich über die Bronchien hinweg bis in die Brusthöhle hinein erstreckte. Er überprüfte Zunge und Lippen auf Schadspuren von giftigen oder ätzenden Substanzen.

Dabei stellte er fest, daß das Gesicht des Mannes entgegen seiner ersten Annahme nicht nur vom Schwitzen naß war; die Tränendrüsen sonderten ständig Flüssigkeit ab, und auch aus der Nase kam ein schleimiger Ausfluß.

Schließlich suchte Conway nach Anzeichen von Strahlenschäden oder nach Hinweisen auf die Inhalation radioaktiver Substanzen, aber erneut fiel das Ergebnis negativ aus.

„Captain! Hier Conway“, sagte er plötzlich. „Würden Sie Lieutenant Chen bitte sagen, er möchte während seiner Suche nach dem vermißten Offizier, von der Luft, den Nahrungsmitteln und den flüssigen Verbrauchsartikeln auf der Tenelphi Proben nehmen? Könnte er des weiteren nach Anhaltspunkten für ein Leck im Lebenserhaltungssystem Ausschau halten, aus dem ein fester oder flüssiger Giftstoff entweicht? Die luftdicht verschlossenen Proben möchte er dann so schnell wie möglich Pathologin Murchison zur Analyse bringen. Geht das?“

„Wird erledigt“, antwortete Fletcher. „Chen, haben Sie mitgehört?“

„Ja, Sir“, erwiderte der technische Offizier und fügte hinzu: „Ich hab das fehlende Unfallopfer noch nicht finden können, Doktor. Ich werde jetzt auch an allen unmöglichen Stellen nach ihm suchen.“

Da Conways Helm noch immer geschlossen war, hatte Murchison das Gespräch zum einen über die Lautsprecher auf dem Unfalldeck sowie Conways Äußerungen über das Außenübertragungssystem seines Anzugs mitgehört. Gereizt sagte sie: „Zwei Fragen, mein Lieber: Weißt du, was dem Patienten fehlt? Und hat das irgend etwas damit zu tun, daß du diesen ohrenbetäubenden Anzuglautsprecher benutzt, anstatt dein Helmvisier zu öffnen und normal mit uns zu sprechen?“

„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Conway.

„Vielleicht mag er mein Parfüm nicht“, wandte sie sich verärgert an Dodds.

Conway überhörte ihre schnippische Bemerkung und blickte sich in der Station um. Während er mit Naydrad den Patienten untersucht hatte, hatten Murchison und Dodds die restlichen ausgezogen und warteten nun offensichtlich auf neue Anweisungen. Prilicla führte bereits den Auftrag aus, den Conway schon bezüglich der ersten beiden Verletzten erteilt hatte.

Aber letztendlich sagte und tat Prilicla immer das Richtige, denn er war nicht nur ein Empath, sondern auch ein außergewöhnlich guter Arzt.

Schließlich sagte Conway: „Wenn da nicht die sehr hohe Temperatur und die Krankheitssymptome bei allen gleich stark ausgeprägt wären, würde ich sagen, es handelt sich um eine mit Übelkeit verbundene Infektion der Atemwege, verursacht wahrscheinlich durch das Schlucken von infiziertem Schleim. Aber das plötzliche Auftreten dieser Symptome, wodurch die Patienten völlig außer Gefecht gesetzt worden sind, läßt mich an dieser Diagnose zweifeln.

Doch ist das nicht der Grund, weshalb ich Anzug und Helm versiegelt gelassen hab, anfangs gab es nämlich gar keinen. Mittlerweile halte ich es allerdings für eine gute Idee, wenn Lieutenant Dodds und alle anderen ihre Anzüge und Helme wieder anlegen würden, selbst wenn es sich dabei möglicherweise nur um eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme handeln sollte.“

„Wenn es nicht bereits zu spät dafür ist“, bemerkte Murchison und nahm einen der leichtgewichtigen Helme aus seiner Halterung. Zusammen mit einem Verbindungsschlauch, einem Sauerstoffbehälter und einer Gewebehülle verwandelte er den Overall, den sie trug, in einen Schutzanzug, der mit Ausnahme extrem ätzender Atmosphären gegen alles beständig war. Dodds hatte sein Visier bereits in bemerkenswerter Eile geschlossen.

„Bis wir die Patienten zum Hospital bringen können“, sagte Conway, „müssen wir uns wohl darauf beschränken, daß sich ihr Zustand wenigstens nicht verschlechtert, eine Heilung werden wir hier kaum erzielen können.

Das heißt, wir müssen die verlorene Körperflüssigkeit ersetzen, gegen die Übelkeit angehen und die Körpertemperatur möglichst niedrig halten.

Vielleicht müssen wir sie festschnallen, um die Verletzten davon abzuhalten, Infusionsschläuche oder Kontrolleitungen abzureißen. Wir werden sie in Druckzelten isolieren und die Sauerstoffzufuhr erhöhen. Ich fürchte nämlich, daß sich ihr Zustand weiter verschlechtern wird und wir sie deshalb mit künstlicher Atmung unterstützen müssen.“

Conway hielt einen Moment lang inne. Als er Murchison anblickte, wußte er, daß die Sorge, die sich auf seinem Gesicht und in seiner Stimme ausdrückte, durch das spiegelnde Visier beziehungsweise durch die Verzerrung des Anzuglautsprechers kaschiert wurde.

„Die Isolierung könnte sich als unnötig erweisen“, fuhr er schließlich fort, „aber die Symptome können vom Einatmen und Verschlucken eines bislang unbekannten Gifts herrühren. Wir können uns nicht sicher sein und haben zudem nicht die geeignete Ausrüstung, um in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, die Antwort darauf zu finden. Sobald wir herausgefunden haben, was mit dem fehlenden Besatzungsmitglied passiert ist, bringen wir die Patienten schnellstens zum Orbit Hospital und unterziehen uns selbst einer gründlichen…“