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Ich stecke das Thermometer unter den Arm, schräg nach unten, und knipse mit dem Zeigefinger ständig dagegen. Darauf schüttele ich es nach oben. Damit erreiche ich 37,9 Grad. Das genügt aber nicht. Ein Streichholz vorsichtig nahe darangehalten ergibt 38,7 Grad.

Als die Schwester zurückkommt, puste ich mich auf, atme leicht stoßweise, glotze sie mit etwas stieren Augen an, bewege mich unruhig und flüstere:»Ich kann es nicht mehr aushalten -«

Sie notiert mich auf einem Zettel. Ich weiß genau, daß ohne Not mein Gipsverband nicht geöffnet wird.

Albert und ich werden zusammen ausgeladen.

Wir liegen in einem katholischen Hospital, im gleichen Zimmer. Das ist ein großes Glück, denn die katholischen Krankenhäuser sind bekannt für gute Behandlung und gutes Essen. Das Lazarett ist voll belegt worden aus unserm Zug, es sind viele schwere Fälle dabei. Wir kommen heute noch nicht zur Untersuchung, da zu wenig Ärzte da sind. Auf dem Korridor fahren unablässig die flachen Wagen mit den Gummirädern vorbei, und immer liegt jemand lang darauf. Eine verfluchte Lage – so langgestreckt – nur gut, wenn man schläft.

Die Nacht ist sehr unruhig. Keiner kann schlafen. Gegen Morgen duseln wir etwas ein. Ich erwache, als es hell wird. Die Tür steht offen, und vom Korridor höre ich Stimmen. Auch die andern wachen auf. Einer, der schon ein paar Tage da ist, erklärt uns die Sache:»Hier oben wird jeden Morgen auf dem Korridor gebetet von den Schwestern. Sie nennen das Morgenandacht. Damit ihr euren Teil abkriegt, machen sie die Türen auf.«

Das ist sicher gut gemeint, aber uns tun die Knochen und die Schädel weh.

»So ein Unsinn«, sage ich,»wenn man gerade eingeschlafen ist.«

»Hier oben liegen die leichteren Fälle, da machen sie es so«, antwortet er.

Albert stöhnt. Ich werde wütend und rufe:»Ruhe da draußen.«

Nach einer Minute erscheint eine Schwester. Sie sieht in ihrer weiß und schwarzen Tracht aus wie ein hübscher Kaffeewärmer.»Machen Sie doch die Tür zu, Schwester«, sagt jemand.

»Es wird gebetet, deshalb ist die Tür offen«, erwidert sie.

»Wir möchten aber noch schlafen -«

»Beten ist besser als schlafen.«Sie steht da und lächelt unschuldig.»Es ist auch schon sieben Uhr.«

Albert stöhnt wieder.»Tür zu!«schnauze ich.

Sie ist ganz verdutzt, so etwas kann sie scheinbar nicht begreifen.»Es wird doch auf für Sie mitgebetet.«

»Einerlei! Tür zu!«

Sie verschwindet und läßt die Tür offen. Die Litanei ertönt wieder. Ich bin wild und sage:»Ich zähle jetzt bis drei. Wenn es bis dahin nicht aufhört, fliegt was.«

»Von mir auch«, erklärt ein anderer.

Ich zähle bis fünf. Dann nehme ich eine Flasche, ziele und werfe sie durch die Tür auf den Korridor. Sie zerspringt in tausend Splitter. Das Beten hört auf. Ein Schwärm Schwestern erscheint und schimpft maßvoll.

»Tür zu!«schreien wir.

Sie verziehen sich. Die Kleine von vorhin ist die letzte.»Heiden«, zwitschert sie, macht aber doch die Tür zu. Wir haben gesiegt.

* * *

Mittags kommt der Lazarettinspektor und ranzt uns an. Er

verspricht uns Festung und noch mehr. Nun ist ein Lazarettinspektor, genau wie ein Proviantamtsinspektor, zwar jemand, der einen langen Degen und Achselstücke trägt, aber eigentlich ein Beamter, und er wird darum nicht einmal von einem Rekruten für voll genommen. Wir lassen ihn deshalb reden. Was kann uns schon passieren -»Wer hat die Flasche geworfen?«fragt er.

Bevor ich überlegen kann, ob ich mich melden soll, sagt jemand:»Ich!«

Ein Mann mit struppigem Bart richtet sich auf. Alles ist gespannt, weshalb er sich meldet.

»Sie?«

»Jawohl. Ich war erregt darüber, daß wir unnötig geweckt wurden, und verlor die Besinnung, so daß ich nicht wußte, was ich tat.«Er redet wie ein Buch.

»Wie heißen Sie?«»Ersatz-Reservist Josef Hamacher.«

Der Inspektor geht ab. Alle sind neugierig.»Weshalb hast du dich denn bloß gemeldet? Du warst es ja gar nicht!«Er grinst.»Das macht nichts. Ich habe einen Jagdschein.«Das versteht natürlich jeder. Wer einen Jagdschein hat, kann machen, was er will.

»Ja«, erzählt er,»ich habe einen Kopfschuß gehabt, und darauf ist mir ein Attest ausgestellt worden, daß ich zeitweise unzurechnungsfähig bin. Seitdem bin ich fein heraus. Man darf mich nicht reizen. Mir passiert also nichts. Der unten wird sich schön ärgern. Und gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie morgen wieder die Tür aufmachen, schmeißen wir wieder.«

Wir sind heilfroh. Mit Josef Hamacher in der Mitte können wir jetzt alles riskieren.

Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen.

Die Verbände sind verklebt. Wir brüllen wie Stiere.

* * *

Es liegen acht Mann auf unserer Stube. Die schwerste Verletzung hat Peter, ein schwarzer Krauskopf – einen komplizierten Lungenschuß. Franz Wächter neben ihm hat einen zerschossenen Arm, der anfangs nicht schlimm aussieht. Aber in der dritten Nacht ruft er uns an, wir sollten klingeln, er glaube, er blute durch.

Ich klingele kräftig. Die Nachtschwester kommt nicht. Wir haben sie abends ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verbände und deshalb Schmerzen hatten. Der eine wollte das Bein so gelegt haben, der andere so, der dritte verlangte Wasser, dem vierten sollte sie das Kopfkissen aufschütteln; – die dicke Alte hatte böse gebrummt zuletzt und die Türen geschlagen. Jetzt vermutet sie wohl wieder so etwas, denn sie kommt nicht.

Wir warten. Dann sagt Franz:»Klingle noch mal.«

Ich tue es. Sie läßt sich immer noch nicht sehen. Auf unserem Flügel ist nachts nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht hat sie gerade in andern Zimmern zu tun.»Bist du sicher, Franz, daß du blutest?«frage ich.»Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf.«

»Es ist naß. Kann keiner Licht machen?«Auch das geht nicht. Der Schalter ist an der Tür, und niemand kann aufstehen. Ich halte den Daumen auf der Klingel, bis er gefühllos wird. Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben ja sehr viel Arbeit und sind alle überanstrengt, schon tagsüber. Dazu das ständige Beten.

»Sollen wir Flaschen schmeißen?«fragt Josef Hamacher mit dem Jagdschein.

»Das hört sie noch weniger als das Klingeln.«

Endlich geht die Tür auf. Muffelig erscheint die Alte. Als sie die Geschichte bei Franz bemerkt, wird sie eilig und ruft:»Weshalb hat denn keiner Bescheid gesagt?«

»Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner.«

Er hat stark geblutet und wird verbunden. Morgens sehen wir sein Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt öfter eine Schwester.

* * *

Manchmal sind es auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz. Sie sind gutmütig, aber mitunter etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft weh und sind dann so erschrocken, daß sie einem noch mehr weh tun.

Die Nonnen sind zuverlässiger. Sie wissen, wie sie anfassen müssen, aber wir möchten gern, daß sie etwas lustiger wären. Einige allerdings haben Humor, sie sind großartig. Wer würde Schwester Libertine nicht jeden Gefallen tun, dieser wunderbaren Schwester, die im ganzen Flügel Stimmung verbreitet, wenn sie nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind noch mehrere da. Wir würden für sie durchs Feuer gehen. Man kann sich wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von den Nonnen. Wenn man dagegen an die Garnisonlazarette denkt, in denen man mit angelegter Hand im Bett liegen muß, kann einem die Angst kommen.

Franz Wächter kommt nicht wieder zu Kräften. Eines Tages wird er abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid:»Den sehen wir nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht.«