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Endlich ist es so weit. Napirai und ich besteigen zum ersten Mal seit unserer Flucht aus Kenia wieder ein Flugzeug, diesmal allerdings in Richtung Porto Plata. Der Flug dauert lang, doch Napirai bekommt Spielsachen im Flugzeug und malt vor sich hin, bis sie einschläft. Während wir nach der Ankunft durch den Flughafen laufen, fühle ich mich sofort an die Landung in Mombasa vor einigen Jahren erinnert, als mich die Atmosphäre augenblicklich gefangen nahm. Plötzlich ist alles wieder präsent und ich weiß im Moment nicht, spüre ich Mombasa oder Porto Plata. Kleine Busse warten auf uns, die uns zum Hotel bringen. Ich schaue aus dem Wagen und sehe die unebene, von Palmen eingefasste Straße und die vielen schwarzen Menschen in ihren bunten Kleidern. Die Luft ist schon am Morgen schwül. Wie ich das liebe! Vor meinen Augen taucht klar und deutlich die Zeit in Kenia auf. Bei jedem Schlagloch erinnere ich mich an die unglaublichen Straßenverhältnisse im Norden Kenias. Alles dreht sich in meinem Kopf, aber ich fühle mich geborgen und glücklich, obwohl mir Tränen über die Wangen laufen. Meine Gefühle überschlagen sich und die verdrängte Vergangenheit holt mich schon in den ersten paar Minuten ein. Ich bin froh, dass nicht allzu viele Touristen im Bus sind, denn ich schäme mich meiner Tränen.

Napirai schaut aus dem Fenster und ist am meisten von den vielen Palmen beeindruckt. Bis zur Ankunft im Hotel hat sich meine Gefühlslage wieder beruhigt. Die Hotelanlage ist sehr schön. Sie liegt direkt am Meer und unser Zimmer ist groß, gemütlich und hell. Beim anschließenden Hotelempfang bemerke ich, dass nur wenige Familien mit Kindern da sind, dafür umso mehr verliebte Paare. Für Napirai gibt es einen Kinderclub und ich werde viel lesen und Briefe schreiben. Das Büffet ist ein Traum und wir probieren möglichst viele der exotischen Speisen aus. Die Angestellten des Hotels haben große Freude an Napirai und glauben, sie sei Dominikanerin. Ich werde gleich gefragt, ob wir hier ihren Vater besuchen, und muss über ihre enttäuschten Gesichter lachen, wenn ich sie aufkläre, dass Napirai aus Kenia stammt. Bereits nach zwei Tagen hat sie sich gut eingelebt. Mit zwei, drei anderen Kindern wirbelt sie durch das Hotel und bald sehe ich sie nur noch selten.

Einmal erzählt sie mir nach dem Abendessen, dass sie heute Mittag eine Frau mit ganz langen blonden Haaren kennen gelernt hätte, die sie mir unbedingt zeigen möchte, und hüpft schon wieder davon. Fünf Minuten später wird eine große blonde Frau von Napirai an meinen Tisch geführt. Andrea ist, wie ich erfahre, mit ihrem Freund hier und beide stammen aus Süddeutschland. Sie lädt mich ein, mich zu ihnen zu setzen, da sie eine kleine Gruppe verschiedener Paare seien und es sicher auch für mich unterhaltsam sei. Napirai ist von Andrea begeistert, schon allein wegen der langen blonden Haare, die sie ständig durch ihre kleinen braunen Finger gleiten lässt. Im Laufe des Urlaubs muss ich mir einige Male den sehnlichsten, aber unerfüllbaren Wunsch meiner Tochter anhören: »Mama, ich möchte auch solche Haare!« Von nun an unternehmen wir viel gemeinsam, denn Andreas Freund liest lieber stapelweise Hefte am Pool, als sich mit seiner netten Frau zu unterhalten. Ich kann das nicht verstehen und weiß nur, dass es besser ist, allein Ferien zu machen, als zu zweit allein zu sein. Wenngleich ich es in der ersten Woche sehr genieße, einfach nur herumzuhängen und zu faulenzen, werde ich in der zweiten Woche unruhig und würde gerne mehr unternehmen. Obwohl mich zu Beginn alles daran erinnerte, ist dieses Land mit Kenia nicht zu vergleichen. Kenia ist wilder, vielseitiger und vor allem tierreicher. Irgendwie vermisse ich Kenia und ziehe automatisch immer wieder Vergleiche. So bin ich nicht allzu traurig, als der Urlaub zu Ende geht.

Zu Hause gehe ich mit voller Energie meinem neuen Job nach. Die bedruckten und bestickten T-Shirts kommen überall gut an, sei es als Werbegeschenk oder als Uniform in verschiedenen Unternehmen. Mittlerweile ist der Boom so groß, dass viele Gastronomiebetriebe flippige T-Shirts und bestickte Mützen als Werbeträger sogar verkaufen können. Das Geschäft blüht und damit stimmt die Haushaltskasse. So kann ich einer Frau aus unserer Gruppe, die sich mit ihren zwei Kindern nicht einmal den Bus leisten kann, einen Hunderter zustecken, und durch meine Beziehungen bin ich auch in der Lage, der einen oder anderen Mutter eine bessere Arbeit zu verschaffen.

Ich lerne interessante Frauen kennen, mit denen ich mich häufig auch privat treffe. Eine von ihnen ist Hanni, die sich immer wieder meine Afrikageschichten anhört, während ich ihr die Kollektion zeige. Sie ist so begeistert von den Erzählungen, dass sie mir jedes Mal rät, mein Leben in Buchform zu fassen. Ich lache und sage: »Hanni, erstens kann ich das nicht und zweitens habe ich einen Vollzeitjob, und dazu noch eine Tochter und einen Haushalt.« Für mich ist das Thema damit erledigt, doch Hanni wird auch in den kommenden Monaten keine Ruhe mehr geben.

Mitte Februar 1994 erhalte ich erneut einen Brief aus Kenia. Voller Neugier öffne ich ihn und lese zuerst wie immer die lieben Grüße von der ganzen Familie. Dann schreibt James, dass er in Mombasa gewesen sei und Lketinga gefunden hätte. Er sei in einem sehr schlechten, abgemagerten Zustand gewesen und hätte viele Probleme gehabt. Er besitze kein Auto mehr, ja nicht einmal mehr ordentliche Kleider. Er, James, hätte ihm erst einmal welche kaufen müssen und habe ihn nun nach Hause begleitet. Jetzt sei er bei Mama. Lketinga wolle wieder heiraten, doch James denke nicht, dass das möglich sein wird, weil er für eine Heirat nicht genug besitzt. Weiter schreibt er, dass das monatliche Geld, das ich für Mama auf die Mission einbezahlt hatte, seit diesem Monat aufgebraucht sei. Mama wolle sich bei mir nochmals bedanken für die lang andauernde Unterstützung. Dann bittet er um einen erneuten Geldbetrag, da Mama Augenprobleme habe, die nur ein Arzt lösen kann. Er werde wieder schreiben, sobald es Neues zu berichten gäbe, speziell über Lketinga.

Ich bin beruhigt, dass Lketinga nun endlich, nach so langer Zeit, wieder zu Hause wohnt. Gleichzeitig bin ich traurig, dass nichts, aber auch gar nichts von dem einstigen Reichtum übrig geblieben ist. Trotzdem hoffe ich, dass er einen Weg finden wird, um wieder heiraten zu können. Komisch, denke ich, vor nicht einmal zwei Monaten wurde ich von Lketinga geschieden, nachdem ich über drei Jahre nichts mehr von ihm gehört hatte, und jetzt taucht er zu Hause auf und spricht seinerseits von Heirat. Wie seltsam das Schicksal doch ist!

Die Zeit vergeht wie im Flug. Die Wochenenden sind meistens für meine Freundinnen und ihre Kinder reserviert. Jetzt im Winter gehen wir öfter Schlittschuhlaufen oder an den Hängen am Dorfrand Schlitten fahren, was uns vor allem nachts großen Spaß macht. Danach sitzen wir alle in meiner warmen Wohnung und quatschen, während die Kinder am Boden spielen.

Eines Tages, es geht auf den Frühling zu, klingelt das Telefon und ich bin erstaunt, die Stimme von Andrea, der Deutschen mit den langen blonden Haaren, zu vernehmen. Im Urlaub tauscht man ja oft Adressen aus, wenn die Ferien dem Ende zugehen, aber in der Regel hört man dann nichts mehr voneinander. Andrea möchte uns nun besuchen. Napirai freut sich sehr. Bereits eine Woche später trifft sie bei uns ein, allerdings ohne ihren Lebenspartner. Wir tauschen Urlaubsfotos aus und erzählen einander viel. Dabei erfahre ich, dass sie in ihrer Beziehung nicht mehr recht glücklich ist, da ihr Freund nahezu keine Zeit für sie hat. Napirai schlägt vor, sie solle uns einfach mehr besuchen kommen. Sie werde ihr dafür wunderschöne Frisuren machen. Andrea ist zwar von dieser Aussicht nicht allzu sehr begeistert, doch verspricht sie ihr, bald wieder zu kommen. Bereits einige Wochen später löst sie dieses Versprechen ein, nachdem ich sie gefragt hatte, ob sie Lust und Zeit hätte, bei einer Geschäftseröffnung von Freunden, die auch gute Kunden sind, mitzuhelfen. Sie war sofort einverstanden und so bewältigen wir gemeinsam die Organisation einer gelungenen Unternehmung. Dieser Abend wird ihr Leben verändern, denn sie verliebt sich. Ein halbes Jahr später wird sie in die Schweiz ziehen und ein Jahr darauf verheiratet sein. Wir pflegen weiterhin eine gute Freundschaft, die später auch mein Leben nochmals drastisch verändern wird.