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Bolitho bemerkte seinen schnellen Blick auf die Uhr. Vier Cherubim mit aufgeblähten Backen stellten darauf die vier Winde dar. Er erhob sich.»Sie finden mich in London, Mylord. Ihr Sekretär hat meine Adresse.»

«Ja, richtig. Lord Brownes Stadthaus, nicht wahr?«Sein Lächeln verblaßte.»Er war wohl Ihr Flaggleutnant, ehe er aus der Navy austrat.»

«Ja. Ein guter Freund.»

«Daran haben Sie wirklich keinen Mangel.»

Bolitho wartete, denn er spürte, was in Godschale vorging. Wenn Catherine und Bolitho in Lord Brownes Haus wohnten, dann war diesem die Meinung der Londoner Gesellschaft völlig gleichgültig. Konnte das gefährlich werden? Bolitho rückte seinen Degen zurecht.

«Ich möchte kein Öl ins Feuer gießen«, begann Godschale,»aber gibt es noch eine Chance, daß Sie und Lady Belinda… Verdammt noch mal, Sie wissen schon, was ich meine!»

Bolitho schüttelte ihm die Hand.»Nein, keine Chance, Mylord. Und es ist besser, Sie hören das von mir. Ich weiß, daß Lady Godschale mit Belinda befreundet ist, und möchte keine falschen Hoffnungen wecken. Es ist aus.»

Godschale dachte offensichtlich über eine passende Bemerkung nach, sagte aber nur, weil ihm nichts einfiel:»Wir sehen uns bald wieder, dann gibt es sicher Neuigkeiten. Denken Sie inzwischen darüber nach, wie schnell eine feindliche Kugel auf See verkrüppeln oder töten kann. Hier an Land aber schafft das auch das Gerede der Leute.»

Bolitho ging zur Tür.»Ich halte eine Kugel immer noch für gefährlicher, Mylord.»

Hinter ihm hieb Godschale wütend auf den Tisch. Dieser verdammte, unbelehrbare Starrkopf!

«Mylord wünschen?«fragte sein Sekretär von der Tür her.

«Nichts, verdammt noch mal!»

«Ihr nächster Besucher wartet.»

Godschale setzte sich und goß sich ein drittes Glas Madeira ein.»Ich empfange ihn erst in einer halben Stunde.«»Aber, Mylord.»

«Hört mir denn in diesem Hause niemand zu? Mit etwas Glück wird Bolitho im Wartezimmer auf Konteradmiral Herrick treffen. Ich möchte, daß sie miteinander reden und sich an alte Zeiten erinnern. Haben Sie verstanden?»

Der Sekretär verschwand, und Godschale trank seufzend sein Glas aus. Alles mußte man selber machen, dachte er dabei.

Die beiden Kapitäne im äußeren Wartezimmer saßen so weit entfernt voneinander wie möglich. Sie vermieden selbst den Blickkontakt. Bolitho wußte, sie warteten auf einen Vorgesetzten oder einen Sekretär der Admiralität. Wie oft hatte er wie sie hier nervös Beförderung oder Tadel entgegengesehen — bei der Admiralität lag beides stets dicht beieinander.

Als er den langen Raum durchquerte, standen beide auf, nahmen Haltung an und grüßten. Bolitho grüßte zurück. Sie erkannten ihn und fragten sich jetzt bestimmt: Warum war der Vizeadmiral hier, was bedeutete das für sie?

Bolitho dachte über seinen Flaggkapitän nach. Er verstand ihn nicht. Gewiß, Keen war besorgt gewesen über den großen Altersunterschied zu der Frau, die er liebte. Er war einundvierzig, und Zenoria, die er aus einem Sträflingstransporter mit Ziel New South Wales befreit hatte, wurde gerade zweiundzwanzig. Aber jeder, der sie beobachtete, spürte, wie gut die beiden zueinander paßten. Was war da vorgefallen? Wenn Keen nur aus Loyalität seine Dienste anbot, mußte er ihm absagen.

Da öffnete sich vor ihm eine große Tür, und Thomas Herrick stand da und starrte ihn an, so überrascht, als sei er vom Himmel gefallen.

Herrick war rundlicher geworden und hielt sich etwas gebeugt, als belaste ihn der Rang eines Konteradmirals. Sein Haar war ergraut, doch sonst schien er ganz derselbe, der Bolitho beim letzten Gefecht der Hyperion zu Hilfe geeilt war. Sein Händedruck war immer noch so fest wie damals, als er, ein blutjunger Leutnant, auf Bolithos Phalarope gekommen war. Auch seine Augen strahlten wie früher, blau und leicht verletzlich.

«Was machst du hier…«begannen beide gleichzeitig.

Voll Wärme sagte Bolitho:»Es ist wunderbar, dich wiederzusehen, Thomas!»

Herrick vergewisserte sich, daß die beiden wartenden Kapitäne nicht mithören konnten.»Und dich, Richard!»

Bolitho musterte seinen Freund und spürte dessen Verlegenheit. Es hatte sich also nichts geändert, nach wie vor mißbilligte Herrick Bolithos Verbindung mit Catherine.»Ich werde die Black Prince übernehmen, sobald sie fertig ausgerüstet ist«, berichtete er.

Doch Herrick ließ sich nicht ablenken, er sah Bolitho genauer an.»Was macht dein Auge?«Bolitho schüttelte den Kopf.»Kein Problem. Und was machst du?»

Herrick drückte das Kinn in sein Halstuch.»Ich habe noch die Benbow. Und einen neuen Flaggleutnant. De Broux war zu weich für mich, nicht mein Fall.»

Bolitho fühlte sich seltsam berührt. Vor einigen Jahren war die Benbow sein Schiff gewesen und Herrick sein Flaggkapitän. Das

Schicksal ging manchmal schon seltsame Wege.

Herrick sah auf die Uhr.»Ich bin mit Lord Godschale verabredet. «Er sprach den Namen verächtlich aus, und Bolitho ahnte, wie Herrick den Admiral einschätzte.

«Ich werde ein Geschwader in der Nordsee übernehmen. Patrouillendienst«, berichtete er.»Darin kommandiert Adam meine einzige Fregatte, die Anemone.«Er lächelte kurz.»In manchem ändert sich unsere Marine nie, aber ich bin froh, daß ich wenigstens Adam habe.»

Irgendwo schlug eine Uhr, und Herrick fragte nervös:»Dein Flaggschiff wird in Chatham ausgerüstet?«Etwas bedrückte ihn offenbar, das er noch loswerden wollte.»Wie ich dich kenne, wirst du dabei in der Nähe deines Schiffes bleiben. Nimm dir doch bitte die Zeit und besuche meine Frau. Dulcie würde sich freuen.»

«Stimmt was nicht, Thomas?»

«Ich bin mir nicht sicher. Aber sie ist seit kurzem immer so müde. Sie mutet sich mit ihren Hilfsdiensten zuviel zu, trotzdem kann ich sie nicht davon abbringen. Sie ist eben einsam. Wenn wir Kinder hätten, wenigstens eins, wie du und Lady Belinda. «Er hielt inne.»Aber so ist wohl der Lauf der Welt.»

Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm.»Ich werde Dulcie besuchen. Catherine will, daß ich unbedingt einen Arzt aufsuche. Vielleicht finde ich bei der Gelegenheit auch einen für Dulcie.»

Herricks blaue Augen wurden härter.»Tut mir leid. An sie habe ich nicht gedacht. «Er sah an Bolitho vorbei.»Vielleicht ist es doch besser, ihr besucht Dulcie nicht.»

Bolitho starrte ihn an.»Steht also Catherine immer noch zwischen uns?»

Verzagt sah Herrick auf.»Es ist nicht meine Schuld«, sagte er, schon im Gehen.»Alles Gute, Richard. Meine Bewunderung für dich kann nichts beeinträchtigen.»

«Bewunderung — ist das alles?«rief Bolitho ihm nach.»Thomas, verdammt noch mal, was ist aus uns geworden?»

Die beiden Kapitäne erhoben sich, und ihre Blicke flogen zwischen den beiden Admiralen hin und her. Bolitho eilte nach draußen.

«Hau ab, du Krüppel!»

Ein junger Mann, zwei Mädchen am Arm, schüttelte drohend die Faust gegen einen Mann, der in einem zerlumpten roten Rock am

Straßenrand mit einer Zinnschale bettelte. Die Mädchen kicherten.

«Stopp!«Bolitho hielt das Trio an und ging zu dem Bettler.»In welchem Regiment haben Sie gedient?»

Der Mann sah auf, als habe er nicht richtig gehört. Er besaß nur noch einen Arm, und seine Beine waren schrecklich verdreht. Er sah sehr alt aus, aber Bolitho schätzte ihn auf unter vierzig.

«Im 31. Infanterieregiment, Sir. «Der Krüppel sah an den Gaffern vorbei.»Es war das alte Huntingdonshire-Regiment. Wir wurden als Seesoldaten eingesetzt. «Sein Stolz war schon wieder verflogen.»Das hier hab' ich unter Lord Howe abbekommen!»

Bolitho sah den jungen Gecken an.»Wo Sie gedient haben, frage ich besser nicht. Man sieht, was Sie für ein Typ sind.»

«Sie haben kein Recht, mich so zu behandeln!»

«O doch, junger Mann. Gerade ist mein Leutnant mit einem Preßkommando hierher unterwegs. Wenn ich den rufe, werden Sie schnell lernen, was es heißt, für König und Vaterland zu kämpfen. «Das war eine billige Lüge, denn kein Preßkommando hätte es gewagt, diese vornehme Gegend zu durchstreifen. Doch der junge Mann war im Handumdrehen verschwunden, und seine beiden Begleiterinnen konnten ihm nur verwundert nachstarren.